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WIEN/ Staatsoper: „Dem Zeitlich-Trüben untertan“ – Hans Pfitzners PALESTRINA an der Wiener Staatsoper.

„Dem Zeitlich-Trüben untertan“ – Hans Pfitzners Palestrina an der Wiener Staatsoper, 1. Aufführung der Wiederaufnahme-Serie vom 06.12.2024

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Michaels Spyres, Kathrin Zukowski. Copyright: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Nein, das war kein großer Abend. Solide zwar, stellenweise sogar gut, aber die erhoffte Sternstunde blieb aus. Daran konnten weder die üblichen Claqueure auf der Galerie, noch Christian Thielemann etwas ändern, wobei jener wohl am wenigsten für die Qualität des Abends verantwortlich zu machen ist. Denn dieser hatte bei dieser Wiederaufnahme von Hans Pfitzners Palestrina an der Wiener Staatsoper schlicht in vielerlei Hinsicht mit widrigen Umständen zu kämpfen. Da ist zunächst einmal die viel zu hoch aufgedrehte Heizung im Haus zu nennen (nahm die Staatsoper die angeblich so hohen Heizkosten nicht unlängst noch zum Anlass für Preiserhöhungen?), was bei einem Abend von 4h und 12 Minuten nicht nur auf Instrumente und Stimmen Einfluss hat, sondern auch dem Publikum unnötige Strapazen auferlegt.

Es folgt die wirklich öde Inszenierung von Herbert Wernicke die schlicht die 50er Jahre Architektur des Zuschauerraums und des Marmorsaals der Wiener Staatsoper aufgreift und in diesem Stil einen Konzertsaal mit Bühne errichtet, welcher mit Konzertgestühl ausgestattet mal den (dann überdimensionierten) Arbeitsraum Palestrinas, den Palast des Fürstbischofs Christoforo Madruzzo von Trient als Schauplatz des Konzils, oder das Gefängnis in welchem Palestrina festgehalten wird darstellt. Weshalb das Ganze zusätzlich eine Orgel schmückt weiss man nicht, der Effekt des Aufklappens und Freigebens von Choristen ist nett, wird aber musikalisch leider nicht ausreichend genutzt. Am originellsten ist da noch die Idee, Günther Groissböck als Papst Pius IV aus der linken Proszeniumsloge des ersten Ranges singen zu lassen – was jedoch zur Folge hat, daß ein Drittel des Hauses ihn nicht sehen kann.

Das alles wäre ja ohne weiteres entschuldbar, wenn die musikalische Qualität gestimmt hätte. Doch hierfür fehlte an diesem Abend schlicht das Material, mit dem Kapellmeister Thielemann einen solchen hätte erzeugen können. So wurde bereits im ersten Akt schnell klar, daß die Einsätze auf der Bühne zu wenig mit dem Orchester abgestimmt waren. Was entstand war häufig ein wabernder Klangteppich, der Pfitzners eigentlich Intention leider völlig zunichtemachte: Dieser wollte mit den musikalischen Mitteln seiner Zeit die Weiterentwicklung der Musik unter dem Einfluss ihrer Zeitgenossen darstellen. Hatte sich die klerikale Musik in der Renaissance mit der Polyphonie bereits von den Chorälen der Gregorianik entfernt, stand sie dennoch unter massiver Kritik. Ihre Mehrstimmigkeit führte häufig dazu, daß die Texte der heiligen Messe nicht mehr klar verständlich waren – in Zeiten der Gegenreformation ein vulnerabler Punkt, da die protestantischen Bewegungen die Fokussierung auf das Wort Gottes in den Vordergrund ihrer Ziele stellten und die Glorifizierung von Gott durch die Katholische Kirche als unnützen Tand, ja Häresie darstellten. Die „Rettung“ vor einem Verbot der polyphonen Musik durch Palestrinas Komposition der Missa Papae Marcelli ist Thema von Pfitzners Werk – wenngleich dieser Vorgang nicht den historischen Tatsachen entspricht (und Pfitzner sein Werk somit auch als „Musikalische Legende“ tituliert).

Parallel dazu, greift Pfitzner auf der Meta-Ebene eine ähnliche Thematik mit seiner eigenen Komposition auf, welche sich in den Figuren von Palestrinas Schüler Silla und Palestrinas Sohn Ighino widerspiegelt: Während Silla seinen Meister Palestrina verlässt, um sich in Florenz bei Giovanni de‘ Bardi den Modi der Camerata und dem aufkommenden barocken Generalbass anzuschliessen, bleibt Ighino (noch?) bei Palestrina und feiert seinen Erfolg der Messe. Die Parallele zur Weiterentwicklung der Musik zu Pfitzners eigener Zeit liegt auf der Hand. Nicht umsonst finden sich in Palestrinas starke Anlehnung an Richard Wagner in Pfitzners Verwendung der Leitmotivtechnik und starke Reminiszenzen an Richard Strauss, da dieser selbst die Polychromie weiterentwickeln wollte. Schließlich sollte diese Bewegung zur Weiterentwicklung der „unendlichen Melodie“ in Werken wie denen von Arnold Schönberg führen, welche die Polyphonie letztlich zu neuen Wirkformen und einem neuen (wenngleich auch umstrittenen) Klimax führten.

Eine hochkomplexe Komposition liegt hier also vor, die freilich im Libretto zahlreiche Elemente aus Wagners Meistersingern vorweist (die Schlägerei, der Generationenkonflikt, die Frage nach der Freiheit und dem Zweck der Kunst, etc). Ohne die passenden Einsätze jedoch, kommen Pfitzner komplexe Quart- und Quintverbindungen schlicht nicht zur Wirkung – der wabernde Brei des ersten Aktes war das Ergebnis.

Andererseits benötigt, wie auch bei den Meistersingern selbst, die Aufführung einer solchen Komposition nun auch Stimmen, die letztlich Wagnerianisch geschult sind – und dies liess der Abend fast vollständig vermissen. Sowohl Wolfgang Koch als Kardinal Borromeo, Wolfgang Bankl als Marduscht (Madruzzo), als auch Michael Kraus als Kardinal von Lothringen, fehlte es – wie fast allen männlichen Stimmen auf der Bühne – an ausreichend Kraft und Volumen, häufig gingen sie schlicht in den sich überschlagenden Klängen des Orchesters unter. Großer Klangeffekt? Ausgefeilte polyphone Raffinesse? Fehlanzeige! Auch Patricia Nolz irritierte als Silla an diesem Abend durch ein permanentes Vibrato, was ihrer Stimme jedwede Klarheit und Brillanz raubte. Einzig in dunkleren Stellen schien ihr sonst so faszinierender Mezzo „zwischen den Zeilen“ hervor.

Den Abend retteten letztlich einige Wenige: Hier ist zuallererst Michael Spyres zu nennen. Der „Baritenor“ legte einen astreinen Palestrina vor, dessen Hoffnungen in klar leuchtenden Passagen genauso zum Ausdruck kamen, wie in matt-düsteren Klangfarben die Zweifel an seiner Arbeit und der nagende Verlust seiner großen Liebe Lukrezia (die in Gestalt von Monika Bohinec gleichfalls einen Lichtblick von funkelnder Brillanz während ihres kurzen Auftrittes erzeugen konnte). Ebenso zu nennen sind Michael Laurenz als Bernardo Novagerio und Matthäus Schmidlechner als Bischof von Budoja, die mit herausragenden Stimmen nicht nur Akzente setzen konnten, sondern dauerhaft jenes Niveau boten, welches dieses Stück erforderte: Technische Präzision, klangliche Brillanz und Klarheit, sowie perfekt akzentuiertes Spiel. Günther Groissböcks Auftritt als Papst Pius IV war zwar kurz, aber freilich ohne jedweden Tadel, was nicht anders zu erwarten war. Schliesslich konnte auch Kathrin Zukowski mit ihrem Hausdebüt als Ighino einen mehr als positiven Eindruck hinterlassen: Drohte sie erst ebenfalls mit dauerhaftem Vibrato unangenehm zu wanken, konnte sie im dritten Akt tatsächlich tief emotionale Momente herausarbeiten, deren eingängige Wirkung Lust auf mehr machten. Eine junge Sopranistin, auf die auch in Zukunft zu schauen sein wird.

Beachtlich sind in Gänze dann jene Stellen, in denen Maestro Thielemann das Orchester in Tutti-Passagen zu vollem Effekt herausbilden kann – das sitzt dann natürlich wie eine Eins und erzeugt wenigstens einige Momente intensiver Gefühle und innig wallender Begeisterung. Was an diesem Abend aber leider fehlt sind die kleinen, magischen Momente, das Sezieren  und wieder zusammensetzen des Werkes in einer neuen, nie gehörten Form und schlichtweg das Erleben der Größe des Werks in seiner ganzen Opulenz. Dafür wird auch im Orchester zu häufig bei den Bläsern gequietscht und bei den Streichern unsauber gekratzt.

Als Fazit bleibt zu sagen: Ohne ausreichende Proben kann auch ein Zauberer wie Christian Thielemann ein solches Werk nicht zur Geltung bringen. Dazu fehlt es an der Wiener Staatsoper einfach zu sehr an großen Stimmen, ausreichend Vorbereitungszeit und schlichtweg ausreichender Erfahrung mit großen und gut erarbeiteten (!) Partien. Ein Abend, der zwar solide war, aber keinesfalls den Ansprüchen einer Wiener Staatsoper genügen kann und darf, also der keinesfalls sein Geld wert war. Umso größer ist letztlich die Enttäuschung, stand dieser Abend doch zumindest für Freunde des Deutschen Fachs als Höhepunkt auf dem Spielplan der Saison, bewies aber letztlich doch nur, daß man am Opernring nicht mehr in der Lage ist, solche Werke passend auf die Bühne zu bringen. Wenn eben die Magie eines Ortes zerstört wurde, kann auch der beste Zauberer kein Staunen mehr in den Ruinen von einst erzeugen. Wie Palestrina in Pfitzners Werk eben sagt: „Wie wäre Künstlers schaffendes Organ, nicht auch dem Zeitlich-Trüben untertan“…

E.A.L.

 

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