Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

WIEN / Staatsoper: DAS RHEINGOLD. Start zum ersten Ring-Zyklus

Dank Michael Laurenz als Loge ein gelungener Einstieg mit viel Luft nach oben

 

WIEN / Staatsoper: DAS RHEINGOLD

22. Aufführung in dieser Inszenierung

1. Juni 2023

Von Manfred A. Schmid

rei6
Eric Owens (Wotan) und seine Götterschar. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

„Am Golde hängt, zum Golde drängt doch alles. Ach wir Armen!“ heißt es in Goethes Faust. Das gilt auch für die Saga über Macht, Gier, Liebe, Verrat, Betrug und Verderben, die in Wagners Der Ring des Nibelungen verhandelt wird und durchaus mit Serien wie Dynasty, Denver Clan, Mafiafilmen à la Der Pate oder, aus jüngerer Zeit, House of Cards, aber auch mit einer stinknormalen Aufsichtsratssitzung eines internationalen Autokonzerns verglichen werden kann. Wagners Auftakt mit Rheingold, auch „Vorabend des Bühnenfestspiels“ genannt, erzählt die Vorgeschichte des in einer Katastrophe mündenden Geschehens und ist zugleich Ausganspunkt einer verhängnisvollen Entwicklung, die unaufhaltsam auf die Götterdämmerung zusteuert. Ernste Warnungen von Fricka, vor allem aber von der Erda, werden nicht erhört. So wird Alberichs Fluch schließlich eine ganze Welt zum Einsturz bringen und Platz machen für Neues.

reinop
Michael Laurentz (Loge), Michael Nagy (Alberich). Foto: Michael Pöhn/Wiener Staatsoper

Rheingold ist gewissermaßen der Appetizer, der Lust machen soll auf die folgenden Abende mit Walküre, Siegfried und Götterdämmerung. So richtig gelingt das diesmal allerdings nur dem großartigen Michael Laurenz mit seiner Darstellung des umtriebigen Winkeladvokaten Loge, der als listiger, mit allen Wassern gewaschener Mastermind, Spin-Doctor und Chefdramaturg jenseits von Gut und Böse im Hintergrund die Strippen zieht und dessen Rat Wotan blindlings vertraut. Wie er rastlos, einem dämonischen Faun mit feuerroten langen Haaren gleich, umherschwirrt, sich verrenkt, mit den Fingern in die Luft sticht, sie wie züngelnde Flammen flirren lässt und alle anwesenden Götter mit seinen Vorschlägen verwirrt und betört, ist eine Klasse für sich. Dieser Figur, Halbgott des gezähmten Feuers, hat der für die Inszenierung verantwortliche Sven-Eric Bechtolf viel Platz zur Entfaltung ihrer manipulativen Fähigkeiten und Intrigen eingeräumt. Das ehemalige Ensemblemitglied Laurenz hat sich intensiv darauf vorbereitet und weiß die Chance eindrucksvoll zu nützen. Der ausdrucksstarke deutsche Charaktertenor, der in seinen Wiener Jahren u.a. als Josef K. in Gottfried von Einems konzertant bei den Salzburger Festspielen aufgeführter Oper Der Prozess gefeiert wurde, zieht alle Aufmerksamkeit auf sich. Schade, dass Michael Laurenz und sein Loge, das verführerische, komische und zugleich auch gefährliche Kraftzentrum der Aufführung, in den folgenden drei Teilen des Rings nicht mehr zu sehen und zu hören sein wird. Loge, der Anstifter des kommenden Unheils, hat bekanntlich nur diesen einen Auftritt.

Wotan, der Boss der Götterwelt, der auch in den weiteren Folgen immens gefordert sein wird, ist mit Eric Owens besetzt. Ob er die dafür nötige stimmliche Kraft und Ausstrahlung mitbringt, ist nach seinem Hausdebüt noch nicht eindeutig zu beantworten. Der dunkel timbrierte, angenehm klingende amerikanische Bassbariton singt wortdeutlich, wirkt aber insgesamt etwas zu blass. Um diese Partie mit Würde und Macht auszustatten, wird noch Einiges dazukommen müssen. Denn derzeit zieht er gegenüber seinem Widersacher Alberich noch bei weitem den Kürzeren. Michael Nagy ist ein eindrucksvoller, zäher, entschlossener, autoritärer Anführer der Unterwelt, der viel geopfert hat, um den zaubermächtigen Ring zu bekommen. Dass er ihm von Wotan trickreich geraubt wurde, wird er nicht hinnehmen. Nagy hat jedenfalls das stimmliche und darstellerische Zeug für einen stets präsenten, achtungsgebietenden Alberich. Auf ihn darf man ebenso gespannt sein wie auf Matthäus Schmidlechner, der als Mime gute Figur macht und über einen ausdrucksstarken Charaktertenor verfügt. Ein vielversprechendes Hausdebüt des am Landestheater Linz engagierten Gastes, das für den Siegfried Neugierde weckt.

reifr
Tanja Ariane Baumgartner (Fricka). Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Tanja Ariane Baumgartner singt mit einem fein modulierenden Mezzosopran und versucht als Fricka Wotan in ihrer Eigenschaft als Hüterin von Moral und der Ehre von nicht so sauberen Geschäften abzubringen. Sie ergreift auch stark Partei für ihre Schwester Freia, die sich als Pfand in den Händen der beiden Riesen befindet, die Walhall erbauten und ungeduldig auf ihre Belohnung warten. Regine Hangler ist eine bewährte Hausbesetzung in dieser Rolle und steigert sich, erregt ob ihrer heíklen Lage, in stimmliche Höhen, ohne je allzu schrill zu klingen.

Der mahnende, aufrüttelnde Appell der Erda übersteigt diesmal offenbar die Fähigkeiten von Noa Beinart. Das hat man schon viel eindrucksvoller und nachhaltiger gehört. Auch Ilja Kazakov (Fasolt) und Ain Anger (Fafner) liefern eher nur rollendeckende Leistungen ab, ohne wirklich herauszuragen.

Nicht zufriedenstellend sind die Rheintöchter Ileana Tonca (Woglinde), Patricia Nolz (Wellgunde) und Daria Sushkova (Flosshilde). Ihr Gesang klingt so fahl und grau wie die Stoffbahnen, die die Wellen des Rheins darstellen sollten (Bühne Rolf Glittenberg), aber nur im Schlamm verebben.

Als sich in den Vordergrund drängende Jungspunde in der Götterversammlung betätigen sich Martin Häßler als Donner und Daniel Jenz als Froh. Sie nehmen sich wichtig und stolzieren mit ihren Statussymbolen in der Hand herum: Froh, der Herr über Regen und Sonnenschein, mit einem gewölbten Wasserglas, Donner als Herr der Gewalt und des Zornes mit einem Hämmerchen bewaffnet: Die sich etwas lächerlich machende Buberlpartie Wotans.

Die musikalische Leitung von Franz Welser-Möst, der im Vorfeld wissen ließ, dass er damit zum letzten Mal den Ring zu dirigieren werde, ist solide und bleibt zunächst noch eher unspektakulär. Im Vorspiel mit den wogenden Wellen des Rheins sorgt das hohe Blech für einige unsaubere Töne, aber in weitere Folge sind keine auffälligen Absonderlichkeiten mehr auszumachen. Der Schlussapplaus fällt überraschend laut und begeistert aus. Ein einziger Solo-Buhrufer macht sich bei der Verbeugung von Welser-Möst bemerkbar. So schlecht war es wohl nicht. Aber es gibt noch – insgesamt – Luft nach oben.

 

Manfred A. Schmid

 

Diese Seite drucken