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WIEN/ Staatsoper: DANTONS TOD

Carmagnole und Marseillaise – faszinierend, schaurig

27.05.2019 | Oper


Benjamin Bruns, Olga Bezsmertna. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: Gottfried von Einem: „DANTONS TOD“
Carmagnole und Marseillaise – faszinierend, schaurig
26.5. 2019 – Karl Masek

Ich schrieb nie eine Oper, die nicht ihren direkten Bezug zur Zeit gehabt hätte. ‚Dantons Tod‘. ‚Der Prozess‘, ‚Kabale und Liebe‘ weisen eine Gemeinsamkeit auf: Das Gericht. Das ist die oberste Instanz, sie war mir im Ablauf der Ereignisse immer ein wichtiges, dramaturgisches Element…“, so Gottfried von Einem im Aufsatz „Ich träumte, ich wäre Danton“ über seine Beschäftigung mit Opernstoffen.

Einem begann mit der Arbeit an der Oper „Dantons Tod“ nach dem fehl geschlagenen Widerstand und dem Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944. Ursprünglich war es ja eine Auftragsarbeit der Semperoper Dresden gewesen. Der Generalmusikdirektor Karl Elmendorff ließ Einem beim Sujet völlig freie Hand. Nicht auszudenken, wäre das Werk noch während der Nazi-Zeit wie vorgesehen in Dresden uraufgeführt worden! Wurden doch schon seine allerersten Werke wie die Uraufführung seines Concerto für Orchester vernichtend kritisiert. Besonders die Jazz-Passagen des Schluss-Satzes trugen ihm den Vorwurf des „Kulturbolschewismus“ ein. Und nun die Adaption des Büchner-Stücks mit aufmüpfigem Libretto über die Verführbarkeit der Massen – und für Einem über die Darstellung der Französischen Revolution hinaus eine Auseinandersetzung mit den Geschehnissen des Zweiten Weltkriegs, ist das Erstlingswerk aber letztlich auch als eine Absage an jede Form des Totalitarismus zu verstehen. Eine Oper – am Pulsschlag der (damaligen) Zeit! Freilich, der große geistige NS-Dissident dürfte Einem eher nicht gewesen sein. Er gehörte wohl zu jenen Künstlern, die in den Jahren der Nazidiktatur zwischen Anpassung und Widerstand lavierten. Dass Einem, der begnadete Netzwerker, 2002 posthum vom israelischen „Yad Vashem“ als „Gerechter unter den Völkern“ geehrt wurde, soll aber auch erwähnt sein. Verschaffte er seinem jüdisch-stämmigen musikalischen Assistenten Konrad Latte einen Decknamen, unterstützte ihn 2 Jahre im Untergrund, bewahrte ihn vor der Deportation und rettete ihm damit das Leben.

Der 21-jährige Georg Büchner schrieb im später berühmt gewordenen Brief an seine Braut den Satz: „Ich fühle mich wie zernichtet unter dem grässlichen Fatalismus der Geschichte“. Diesen Satz hat Einem ganz bewusst seiner Partitur zu seinem Opus 6 vorangestellt. Hätte er damals Ingeborg Bachmann bereits gekannt, würde er vielleicht 2 weitere Zitate seinem Werk vorangestellt haben: „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“ oder, immer wieder von trauriger Aktualität: „Geschichte ist eine Lehrmeisterin, aber sie hat keine Schüler“

Das Libretto (nach Georg Büchner) schrieb hauptverantwortlich Einems verehrter Lehrer und Mentor Boris Blacher. In knapper, rhetorisch brillanter Sprache, komprimiert auf etwa 90 Minuten reine Spielzeit. Gottfried von Einems Musik hatte schließlich 1947 einen Uraufführungserfolg bei den Salzburger Festspielen. Widerstände gegen einen noch nicht dreißigjährigen Zeitgenossen gab es im Vorfeld. Einer der Kritiker des Danton-Projekts war übrigens Herbert von Karajan mit völlig anders gelagertem Ästhetik-Begriff und damit einer völlig anderen Vorstellung von der künstlerischen Ausrichtung von Festspielen.

Viel gespielt blieb dieser Opernerstling, aber auch angefeindet von damaligen Dogmatikern der „reinen Kompositionslehre“ Darmstädter Zuschnitts. Nach langer Flaute erleben neuerdings zumindest 3 von Einems Opern (auch „Der Prozess“ und der „Besuch der alten Dame“) ein Revival. Vielleicht auch geschuldet durch die 100. Wiederkehr seines Geburtstags, 2018. Aber man entdeckt auch die Theaterpranke wieder, die seine Werke auszeichnet. Einem war beim Komponieren ein Hörender, entschied sich dann während des Schaffensprozesses immer für einen größtmöglichen Obertonreichtum seiner Musik, wie sein Schüler, Heinz Karl („Nali“) Gruber treffend analysiert.

Als „gemäßigt modern“ (was immer das heißt!) wird seine Musik gerne bezeichnet. Man meint wohl die emotionale Zugänglichkeit und die musikalische Eindringlichkeit, die Vielfalt der Stilistik. Und es ist eine Chor-Oper. Die großen Chor-Szenen gehören zu den faszinierendsten Passagen des Werkes. Die gewaltige Musik des Tribunals nimmt es durchaus auf etwa mit Modest Mussorgskys „Waldlichtung bei Kromy“ (Boris Godunow) und den Chortableaus in der „Chowanschtschina“.

Michael Boder ist der Dirigent dieser Wiederaufnahme. Er beeindruckt einmal mehr durch die klare Strukturierung der Partitur, in der es nur ganz wenige agogische Angaben gibt. Durch das gekonnte Mischen der Klangfarben, durch angemessen harte Akzente, durch das Vermeiden von „Romantizismen“. Die Gespaltenheit der emotional aufgehetzten Volksmenge eskaliert ja bis zu tumultöser Massenhysterie. Was Einem da vorgeschwebt ist: Boder setzt es mit klarer Gestik, die in jedem Moment Sicherheit ausstrahlt, mit genau kalkulierten Steigerungen, mit brillanter Rhetorik, um. Insofern befindet er sich in der kongenialen Fortsetzung einer Traditionslinie durch den Uraufführungsdirigenten, Ferenc Fricsay, den die zeitgenössische Kritik damals als „Ingenieur der Töne“ bezeichnet hat. Die „Carmagnole“ und die „Marseillaise“ türmt er schaurig-faszinierend übereinander.

Das Orchester der Wiener Staatsoper befindet sich in den Tagen des 150-Jahr-Jubiläums in besonderer Geberlaune. Da war alles: Der spröde, dichte Klangteppich, die harte Gangart, jener Stilmix, der zu Einems Personalstil wird. Das Höchstmaß an melodischer und rhythmischer Energetik, die Einem hier vorlegt. Bis hin zum „beinahe Wienerlied“ der beiden Henker, wenn sie nach ihrem „Tagewerk“ im Mondschein nach Hause gehen. Die hämmernden Ostinati, die eindringliche Sogwirkung der Zwischenspiele. Aber auch die Ruhepunkte, samt gekonnten Instrumentationseffekten und episch breiten Solokantilenen, z.B. für Querflöte und Klarinette.

Schwierig die Entscheidung an diesem Abend: Wer ist „Hauptheld“? Vielleicht doch der Chor der Wiener Staatsoper mit dem Chorleiter Martin Schebesta? Mächtig tönend, sich bis zum Wutgeschrei verausgabend, mit darstellerischem Totaleinsatz in der Bühnenaction (zur Szene und zu Josef Ernst Köpplinger komme ich noch).

Jedenfalls beiden Säulen der jubilierenden Wiener Staatsoper ein aufrichtiges Pauschallob!

Tomasz Konieczny ist der neue Danton. In Interviews zeigte sich der sehr reflektierte und damit auch selbstkritische Bassbariton noch gebührend vorsichtig, ob er, sinngemäß, mit dieser vielschichtigen und fordernden Täter/Opferrolle „Freundschaft“ schließen könne. Er kann! Im zweiten Auftreten in dieser Rolle scheint er künstlerisch vollständig angekommen zu sein. Dem revolutionären Geschehen gegenüber ist er überdrüssig, längst schwankend zwischen seinem immer noch vorhandenen politischen Wollen und dem dazugehörigen Charisma (und der brillanten Rhetorik), dem Wunsch nach den „schönen Seiten des Lebens“ und dem Wissen um die blutigen Auswüchse des Robespierr’schen Schreckensregimes – und einer fatalistischen Todesbereitschaft. Müde ist er, ja, aber nicht träge, wie ihm die Freunde vorwerfen. Seine Stimme ist schier grenzenlos belastbar, übertönt scheinbar mühelos die wildesten Orchester- und Chorwogen. Bei der berühmten Stelle: „Ich sehe großes Unglück über die Menschen hereinbrechen … Das ist die Diktatur!“ hat man ihn vermutlich noch an der Opernkreuzung gehört.

Benjamin Bruns hält als Camille prächtig mit, vereint farbig-schönes Tenortimbre mit stetig wachsender Stimmkraft, dem damit einhergehenden Höhenglanz und dem berührenden Spiel des im Gefängnis Gebrochenen.

Thomas Ebenstein verleiht dem tyrannischen Extremisten Robespierre eine unheimliche Aura fanatischer Verbissenheit, verbunden mit widerlich süßlichem Auftreten. Sein Charaktertenor hat die Valeurs vom ängstlichen „überall-Feinde-Wittern“, weinerlichem Selbstmitleid, von allen verlassen zu werden („Auch du, Camille…“) bis zum schneidenden Befehl zur Beseitigung der Gegner. Auch er mit einer Glanzleistung.

Olga Bezsmertna
ist ein unverzichtbares, wertvolles Ensemblemitglied! Sie berührt als Lucile mit Schmerzenstönen – ihr sind die leisen Momente der Partitur anvertraut, mit ihrem Lied vom „Schnitter Tod“ und dem abschließenden „ES LEBE DER KÖNIG“ lässt sie förmlich den Atem anhalten.
Michael Laurenz (Hérault), Peter Kellner (Saint-Just), Clemens Unterreiner (Herrmann), Wolfgang Bankl (Simon), Wolfram Igor Derntl (der junge Mensch, bei dem es genügt, in Aristokratenmanier ein Taschentuch dabei zu haben, um beinahe aufgehängt zu werden; und der Erste Henker, der dann das Wienerlied anstimmt), Marcus Pelz (Zweiter Henker) sowie Szilvia Vörös, Ildikó Raimondi und Lydia Rathkolb sind erstklassige Besetzungen der weiteren Rollen, bis hin zur kleinsten Charge.

Josef Ernst Köpplinger lässt sich von Rainer Sinell ein Einheitsbühnenbild bauen. Eine Scheune mit quergestellten Balken oder ein „Revolutionsstall“, wie er es auch ausdrückt (mit Beutestücken aus adligen Häusern wie einer umgestürzten Kutsche). Oder einen „Zeittunnel“, aus dem es kein Entrinnen gibt. Diesen Begriff kennen wir aber schon von der Berliner „Ring“- Inszenierung des Götz Friedrich aus den 90er Jahren des vorigen Jahrtausends. Diese Metapher ist so neu nicht! Auf der Bühne ereignet sich sehr viel „Action“, auf offener Bühne dann die angedeuteten „Verwandlungen“ durch die vielbeschäftigte Komparserie (Einem hat Zwischenmusiken geschrieben, um die Verwandlungen für insgesamt 6 Bilder zu ermöglichen, das nur am Rande!). Die Kostüme von Alfred Mayerhofer bleiben weitgehend historisierend, was man in Zeiten von Bühnen-Einheitskleidung und undefinierbarem Fetzenlook mittlerweile fast schon wieder dankbar zur Kenntnis nimmt. Feuer auf der Bühne macht sich immer gut, Fahnen sind auch immer ein guter Blickfang – und auch die Lichtregie „passt“.

Begeistert von der „8. Aufführung in dieser Inszenierung“ zeigte sich das Publikum, das „drin“ war. Verschwiegen sei nicht, dass das Haus keineswegs voll war. Die 12. Reihe Parkett links war zur Gänze leer. Der Stehplatz war nur im Parterre recht gut gefüllt; eher schütter besetzt die Stehplatz-Galerie. Also anscheinend ist das 74 Jahre alte Werk immer noch nix fürs breite Opernpublikum! In der letzten Saison der Direktion Meyer bleibt Danton im Fundus. Wenn es die neue Direktion wieder ins Repertoire hievt, sind wir sicher nicht böse!

Karl Masek

 

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