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WIEN/ Staatsoper: CHOWANSCHTSCHINA. Premiere

15.11.2014 | Oper

Wiener Staatsoper: CHOWANSCHTSCHINA, Premiere 15.11.2014

(Heinrich Schramm-Schiessl)

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Ferruccio Furlanetto und Ensemble. Foto: Michael Pöhn/ Wiener Staatsoper

 Diese neben dem „Boris“ zweite bedeutende Oper Mussorgskys hat im Gegensatz zu jenem eine eher kurze Aufführungsgeschichte im Haus am Ring. Erstmals konnte man sie 1964 in einem Gastspiel der Nationaloper Belgrad sehen, dem 1975 und 1979 zwei Gastspiele der Nationaloper Sofia folgten. Erst 1989 gab es eine Eigenproduktion durch das Team Claudio Abbado – Alfred Kirchner, und diese war sicher eine der erfolgreichsten Premieren der Direktion Drese. Die Produktion brachte es auf 22 Aufführungen und verschwand 1993 vom Spielplan. Die Gründe weiß nur der vorige Operndirektor, aber ich könnte mir denken, dass die technisch etwas aufwendige Inszenierung seinem Spargedanken zuwiderlief.

Der Inhalt des Werkes gliedert sich in drei Handlungsstränge. Auf der einen Seite die politischen Intrigen und der Versuch eines Putsches gegen das Zarenhaus durch den Führer der Palastgarde, Iwan Chowanski, sowie des Fürsten Golizyn, eines Günstlings der Zarin, dann der Kampf der sogenannten „Altgläubigen“, einer Abspaltung der reformierten Kirche, unter der Führung Dosifejs, die die alte Ordnung wieder herstellen wollen und zuletzt die Beziehung der Altgläubigen Marfa zum Sohn Chowanskys, Andrej. Die Schlüsselszene des Werkes ist die Auseinandersetzung zwischen Chowansky, Golizyn und Dosifej im 2. Akt. Am Ende wird der Putsch niedergeschlagen, Chowansky ermordet, Golizyn verbannt und die Ältgläuben suchen den Freitod durch Selbstverbrennung, in den Marfa auch Andrej mitnimmt.

 Ähnlich wie beim „Boris“ muss vor jeder Produktion zunächst die Frage geklärt weden, welche Fassung man wählt. Allerdings gibt es hier keine vom Komponisten geschaffene „Originalfassung“, da dieser vor Vollendung des Werkes starb und praktisch die komplette Instrumentierung fehlte. Das Werk wurde zunächst von Rimsky-Korsakov vollendet. In weiterer Folge schrieb Sergej Daghilev ein neues Finale und ließ dieses von Igor Strawinsky orchestrieren. Schließlich schuf Dimitri Schostakowitsch Ende der 50er-Jahre des vorigen Jahrhunderts eine Neufassung des Werkes.

Bei der nunmehrigen Neuproduktion griff man, wie schon 1989, auf die Schostakovitsch-Fassung zurück, verwendet aber nicht, wie damals, das Strawinsky-Finale. Ich finde es allerdings schade, dass man nicht den Mut hatte, wieder einmal die Rimsky-Korsakov-Fassung zur Diskussion zu stellen, aber offenbar war hier die Angst vor dem Feuilleton, für das diese Fassung das absoluto No-Go ist, zu groß.

 Die nunmehrige Produktion hat ein Problem, nämlich die Inszenierung. Lew Dodin gilt zwar als Gemäßigter und er verzichtet auch weitestgehend auf die Attribute der zeitaktuellen Regie wie Koffer, Klavier oder Alltagskleidung, aber durch das Bühnenbild, das leider der seit geraumer Zeit übliche Einheitsrahmen ist, nimmt er sich praktische jede Möglichkeit zur individuellen Gestaltung. Es handelt sich um ein Gerüst, welches während des Vorspiels hoch- und zum Finale wieder zurückkippt. Man fühlt sich irgendwie an die Wände in Pountneys Bregenzer Nabucco erinnert. Dieses Gerüst, das Kreuze oder Galgen darstellt – aussehen tut es wie die Gerippe, an denen bei Modellbausätzen die Bauteile angebracht sind – umfasst die gesamte Bühnenbreite und –höhe. Der Vorderteil kann hoch und nieder gefahren werden – was praktisch permanent stattfindet – und hat auf drei Ebenen Plattformen, auf denen praktisch das gesamte Geschehen statfindet. Dazu kommt noch davor eine Versenkung in der Bühnenmitte, auf der auch immer wieder Personen hoch- und niedergefahren werden. Dieser eingeschränkte Raum rächt sich natürlich in manchen entscheidenden Szenen. So findet die oben genannte Schlüsselszene praktisch nicht statt, da die drei Personen auf drei Plattformen untereinander stehen und so der Konflikt, der ja fast zur Handgreiflichkeit führt, zumindest darstellerisch nicht stattfindet. Ähnliches gilt für die Szene im Palast von Fürst Chowansky, die auf engsten Raum stattfindet. Das Ballett, für das ebenfalls kaum Platz ist, ist zudem eine ungemein dilettantische Choreographie (Yuri Vasilko). Am eindrucksvollsten ist noch die Hinrichtungszene am Ende des 4. Aktes. Eine echte Personen- oder gar Chorführung findet aber nicht statt. Wozu man dann aber einen eigenen Bewegungsregisseur (Yuri Khamutianskiy) hat, ist nicht klar ersichtlich. Verantwortlich für dieses Bühnenbild ist ebenso wie für die zeitlos  unauffälligen Kostüme Alexander Borovsky.

 Nur Erfreuliches gibt es hingegen von der musikalischen Seite zu berichten. Hier ist in erster Linie einmal der Dirigent Semyon Bychkov zu nennen, der das Werk ausgezeichnet einstudiert hat. Er versteht es in den dramatischen Momenten die Stimmung richtig aufzuheizen, ohne aber zu vergessen, in den lyrischen Passagen das Orchester entsprechend zurückzunehmen. Er wählt ein zügiges Tempo, das er den ganzen Abend über durchhält. Ebenso schafft er es, einen Bogen über die ganze Aufführung zu spannen. Das Orchester folgt ihm mit großem Engagement und wunderbarem Klang. Es beweist wieder einmal, dass es allen gegeteiligen Behauptungen zum Trotz das beste Opernorchester ist.

 Bei den Sängern gab es keinen Ausfall und einige bemerkenswerte Leistungen. An erster Stelle ist natürlich Ferruccio Furlanetto als Iwan Chowansky zu nennen, der die Rolle mit seiner gesamten Persönlichkeit ausfüllt und auch stimmlich einen hervorragenden Abend hat. Die zweite Baßpartie, der Dosifej, wird von Ain Anger gesungen-  und er ist für mich die eigentliche Überraschung. Nicht nur, dass er schön singt – das tut er eigentlich immer – so gestaltet er diesmal die Rolle auch. Elena Maximova, die erst vor zwei Monaten die Rolle der Marfa von Elisabeth Kuhlmann übernommen hat, war ebenfalls ausgezeichnet. Sie begann zwar im 1. Akt etwas verhalten, steigerte sich aber sehr rasch. So war die sogenannte „Weissagung“ nicht nur sehr klug aufgebaut, sondern auch intensiv und spannend interpretiert. Die Vorbehalte die manche – vor allem in unserem Forum – hatten, als die Änderung bekannt wurde, waren völlig unbegründet. Christopher Ventris war ein heldisch-durchschlagskräftiger Andrej Chowansky, der auch den schwächlichen Charakter der Figur gut herüber brachte. Herbert Lippert war als Golizyn sowohl stimmlich als auch gestalterisch gut, auch wenn es in der Höhe manchmal ein bischen eng zu werden schien. Andrzej Dobber sang den Schaklowity mit großer Stimme, hatte aber darstellerisch von allen fast die wenigsten Möglichkeiten. Seine große Szene gestaltete er sehr schön. Norbert Ernst war ein sehr markant und pointiert singender Schreiber und Lydia Rathkolb ließ als Susanna einen schönen frischen Sopran hören. Alle übrigen Mitwirkenden – Caroline Wenborne (Emma), Marcus Pelz (Warsonojew), Marian Talaba (Kuska), Wolfram Igor Derntl (Streschnew), Benedikt Kobel (Vertrauter Golizyns) sowie Hans Peter Kammerer und Il Hong (2 Strelitzen) – gebührt ein Pauschallob.

 Die Chöre waren von Thomas Lang (Staatsopernchor), Jozef Chabrod (Slowak. Philharmonischer Chor) und Johannes Mertl (Kinder der Opernschule) ausgezeichnet einstudiert und boten ebenfalls eine großartige Leistung.

 Am Ende gab es viel Jubel für Sänger, Dirigenten, Orchester und Chöre. Das Regieteam zeigt sich, zumindest so lange ich im Zuschauerraum war, nicht. Bereits auf dem Weg zur Stiege hörte ich dann aber kräftige Buhs, möglicherweise kamen dann zumindest einige der Herren vor den Vorhang.

 Nicht ganz logisch war, warum es zwei Pausen gab und so der Abend unnötig in die Länge gezogen wurde.

 Heinrich Schramm-Schiessl

 

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