24.11. – „CHOWANSCHTSCHINA“ – Lev Dodin als Hydrauliker
Dan Paul Dumitrescu. Foto: Wiener Staatsoper
Würde der Regisseur Lev Dodin die in Österreich wohlbekannte Frage „Was war meine Leistung ?“ stellen, so müsste die Antwort wohl lauten: Einerseits in der Mechanisierung der Personenführung (Der Sänger hat sich auf der Unterbühne nur auf das richtige Podest zu stellen und wird hydraulisch zu seinem Platz befördert, liefert dort seinen Part ab, braucht sich nicht darum zu kümmern, wo eventuelle Partner postiert sind und wird von der Hydraulik auch wieder sicher zurückgebracht,) Zum anderen hat er mit seinem Ausstatter Alexander Borovsky jemanden mitgebracht, der Überschriften wie vorgestern hier bei einer Besprechung der Stuttgarter Chowanschtschina – Dem Chor gehört die große Bühne – fragwürdig erscheinen lassen. Mit seiner Lösung des topologischen Problems einer möglichst dichten Packung von Choristen auf möglichst geringer Stellfläche ist ihm tatsächlich etwas Innovatives eingefallen. Die Lösung hat außerdem den Vorteil, den Chor möglichst rasch wieder verschwinden zu lassen und das scheint dem Regisseur durchaus willkommen, da er mit großen Menschenmengen auf der Bühne absolut nichts anzufangen weiß. Interessanterweise ist auch ein Choreograph (Yuri Vasilko) auf dem Besetzungszettel angeführt. Diesem ist wohl das peinliche Ballett der persischen Sklavinnen anzulasten, das einzig Chowanski als Auftraggeber nicht verfolgen kann / muss, da es genau einen Stock unter ihm aufgeführt wird. Wenn sich während der Morgendämmerung erstmals das imposante Gerüst aufbaut, so scheint sich zunächst ein interessanter Rahmen für die Handlung abzuzeichnen. Da aber in den folgenden vier Stunden die Aktionen sich im Wesentlichen auf das Auf und Ab verschiedener Aufzüge beschränkt, entsteht etwa soviel Spannung wie beim Beobachten der Großbaustelle beim Zentralbahnhof. Immerhin lässt sich der Aufbau am Schluss auch wieder geräuschlos versandfertig verpacken.
Tatsächlich lohnend macht diesen Abend das Orchester der Wiener Staatsoper, das unter der Leitung von Semyon Bychkov zu Hochform aufläuft und alle Facetten dieser genialen, von Schostakowitsch instrumentierten Musik aufblitzen lässt. Auch der Chor der Wiener Staatsoper (Thomas Lang), der um den Slowakischen Philharmonischen Chor (Jozef Chabroň) verstärkt wurde, hat musikalisch einen großen Anteil an dieser Aufführung, auch wenn er von der Regie immer möglichst rasch in die Versenkung geschickt wird.
Jahrelang hat Dan Paul Dumitrescu für Ferruccio Furlanetto den Cover machen dürfen, ohne je mit einem Abend dafür belohnt zu werden. Durch die Erkrankung Furlanettos in der dritten Vorstellung kam er nun erstmals dazu, zu beweisen, dass er nicht nur ein Notnagel ist, sondern eine sehr gute hauseigene Besetzung im großem Bassfach darstellt. Die große, samtige Stimme würde zwar wahrscheinlich noch besser für den Dossifei passen und seine Erscheinung wirkt für die Partie zu gutmütig, aber die Regie bietet auch kaum Möglichkeiten zu einer schauspielerischen Entfaltung. Die restliche Besetzung ist gleich wie bei der Premiere. Christopher Ventris als durchschlagskräftiger Andrei, der auch einige schöne lyrische Passagen bietet und Herbert Lippert als höhensicherer Golizyn in den beiden großen Tenorpartien sind tadellose Besetzungen, Andrzej Dobber als um die Zukunft Russlands besorgter Intrigant Schaklowity kann besonders mit seiner Szene im dritten Akt beeindrucken. Beim Dossifei von Ain Anger, der mit mächtigem Bass beeindruckt, könnte man sich eine weichere Stimme wünschen. Die Marfa, die Elena Maximova übernommen hat, liegt vor allem bei ihren Orakel für die Sängerin doch ziemlich tief und da muss sie mit viel Druck arbeiten, im Finale bietet sie aber wunderschöne Pianophrasen. Sehr gut ihre Gegenspielerin Susanna (Lydia Rathkolb) in ihrer kurzen Szene, während nicht ganz klar wird, warum sich die beiden Chowanskis um die schrillstimmige Emma von Caroline Wenborne streiten. Nach langer Zeit hat Marian Talaba wieder eine Partie des slawischen Faches und kann in den Szenen des Kuska zeigen, wo er eigentlich stimmlich zu Hause gewesen wäre. Von den kleinen Partien schießt aber sicher Norbert Ernst als Schreiber den Vogel ab. Als einer der Wenigen macht er auch aus einem „Mann ohne Unterleib“ eine ganze Persönlichkeit mit markantem Charaktertenor. Wolfram Igor Derntl verkündet mit voller Stimme den Strelitzen ihre Begnadigung und gibt den Einsatz zu den Fanfaren des Zaren Peter, die stark an das Prinz-Eugen-Lied erinnern. (Aber das passt ja auch zeitlich zusammen.)
Wolfgang Habermann