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WIEN/ Staatsoper: CHOWANSCHTSCHINA – Furlanetto wieder zurück

28.11.2014 | Oper
Ferruccio Furlanetto als Iwan Chowanski   Foto: Michael Pöhn

Ferruccio Furlanetto als Iwan Chowanski Foto: Michael Pöhn

Wiener Staatsoper: CHOWANSCHTSCHINA – 5. Vorstellung am 27.11.2014

 

Furlanetto ist wieder zurück!

 Es war sicher ein mutiger Schritt, Chowanschtschina von Modest Mussorgski – wie heute üblich in der Bearbeitung von Dmitri Schostakowitsch – mit einer Neuinszenierung wieder in den Spielplan aufzunehmen: Zum einen können sich noch viele Opernfreunde an die denkwürdige Produktion aus den Jahren 1989 –93 mit Ghiaurov und Atlantow in der Inszenierung von Alfred Kircher erinnern und legen dort den Vergleichsmaßstab an; zum anderen ist diese komplexe Geschichte über den „Moskauer Aufstand 1682“ aus dem zaristischen Russland sicher kein Selbstläufer und kann nur dank der zahlreichen Besucher aus der russischen Community auch zu einem wirtschaftlichen Erfolg werden.

Die aktuelle Inszenierung von Lev Dodin hat sehr polarisiert und wir versuchen nach dem dritten Besuch, eine möglichst freundliche Einschätzung abzugeben: Mit dem Einheitsbühnenbild, das aus mehreren hydraulisch bewegten Plattformen, vielen angedeuteten Kreuzen und Balken besteht wird eine teils bedrohliche, teils sakrale Stimmung erzeugt, ermöglicht den zügigen Wechsel zwischen den vielen Schauplätzen der Geschichte; die starre Aufstellung des Chores auf den versenkbaren Plattformen verhindert aber jegliche Personenführung – eine vergebene Chance für einen dynamischen Handlungsablauf. Die Kostüme sind nichtssagend und meist zwischen dunkelgrau und hellschwarz „gestaltet“ – sie könnten aber auch von der Caritas-Altkleidersammlung stammen. Die Choreographie ist entweder – aufgrund der starren Käfige – nicht vorhanden oder beim „erotischen Ballett“ der Persermädchen lächerlich bis peinlich. Der größte Pluspunkt der Regie ist aber, dass sie die doch sehr unübersichtliche Geschichte ohne störende Privatinterpretationen erzählt und auf die oft verwendeten Hilfsmittel (Koffer, Maschinenpistolen usw) dankenswerter Weise verzichtet. Die statische Inszenierung ist bestimmt repertoiretauglich; sie erleichtert das Eintreten von neuen Akteuren in die Produktion und unterstützt die Vorteile des „Rampensingens“ ohne dass die Sänger dafür kritisiert werden können.

Elena Maximova und Ain Anger

Elena Maximova und Ain Anger

 Einhellige Zustimmung fand die musikalische Umsetzung, ausgehend von einem wunderbar disponierten Staatsopernorchester unter der Leitung von Semyon Bychkov, der uns nach Daphne und Lohengrin nun auch mit der Musik seiner Heimat verzauberte. Das Klanggemälde reichte von fröhlichen Volksliedern über bedrohliche Kriegsmusik bis zu den schwermütigen Weisen, die so typisch für die russische Seele sind: „Leiden, ohne dabei traurig zu sein!“

Die gewaltigen sinfonischen Passagen gelangen detailreich und technisch perfekt; die Sängerbegleitung war einfühlsam und präzise, nutzte aber alle Möglichkeiten, die die großen Männerstimmen eröffneten. Die zweite Säule des musikalischen Erfolges war der hervorragende Staatsopernchor, der von den Kindern der Opernschule und vom Slowakischen Philharmonischen Chor in bewährter Weise unterstützt wurde.

 In der Titelrolle erlebten wir diesmal wieder den genesenen Ferruccio Furlanetto mit der leidenschaftlichen, ausdrucksstarken Interpretation einer weiteren großen russischen Opernfigur. Sein Fürst Iwan Chowanski wird dank perfekter Sprachmelodie und hingebungsvoller darstellerischer Gestaltung lebendig – die stimmliche Leistung erreichte fast wieder das Niveau der Premiere – man merkte nur an einer leichten Rauhheit und an oftmaligem Räuspern, dass die Normalität noch nicht ganz wiederhergestellt ist. Zu unser aller Sicherheit saß Dan Paul Dumitrescu – der erfolgreiche Einspringer der vorigen Vorstellung in der Künstlerloge in „Bereitschaft“. Jedes Opernhaus darf sich glücklich schätzen, das einen Weltstar in einer nicht alltäglichen Partie mit einem Mitglied des Ensembles auf Augenhöhe ersetzen kann.

 Der junge Fürst Andrei Chowanski war bei Christopher Ventris in besten Händen; sein klarer geradlieniger Heldentenor kommt nicht nur bei Wagner sondern auch im russischen Fach mit metallener Strahlkraft sehr schön zum Klingen. Herbert Lippert hat mit dem FürstenWassili Golizyn eine weitere Paraderolle gefunden, die ihm wunderbar in der Kehle liegt. Er hat mit jeder Vorstellung Sicherheit gewonnen und wandelte sich von „konzentriert und gespannt“ in der Premiere zu „souverän und locker“ in der gestrigen (fünften) Vorstellung. Auch versuchte er – im Rahmen der sehr eingeschränkten Möglichkeiten dieser Inszenierung – die Figur darstellerisch zu gestalten. Dieses Bestreben war auch beim zweiten Ensemble-Tenor zu bemerken. Norbert Ernst sang einen makellosen Schreiber, der sich auch in akrobatischen Situationen nicht von der Gesangslinie abbringen ließ. Durch den Einsatz bei Chowanschtschina konnte er nicht den Sänger in der  parallel laufenden Rosenkavalier-Serie singen – eine „win-win“ – Situation, denn diese Partie liegt ihm wirklich nicht!

 Andrzej Dobber erfreute nach dem Nabucco und dem Simon Boccanegra nun als Bojar Fjodor Schaklowity mit seiner dritten Rolle in Wien. Sein klarer schön timbrierter Bassbariton klingt kompakt und unangestrengt – könnte das nicht ein wunderbarer Wotan werden?

 Wie auch im wirklichen Leben – und dank der mächtigen, voll ausgereiften Stimme von Ain Anger – ist der Religionsführer die bedrohlichste Figur. Wie schon vor kurzem als Großinquisitor im Don Carlo steht er auch hier als Dossifei – Anführer der Altgläubigen – im Zentrum des Geschehens. Eine erfreuliche Entwicklung aus dem Ensemble der Wiener Staatsoper zu einer Weltkarriere – Bravo!

 In Anbetracht der großartigen männlichen Leistungen hatten die Damen in dieser Vorstellung keinen leichten Stand. Elena Maximova gelang im Rahmen ihrer Möglichkeiten eine sehr gute Marfa – ihre Stimme war in der tiefen Lage zwar nicht sehr präsent, blühte aber in der Höhe sehr schön auf und erfreute mit eindrucksvoll gestalteten Passagen – gefühlvoll, zart und ohne Schärfe. Auch die Susanna – Lydia Rathkolb und die Emma – Caroline Wenborn überzeugten in den kleineren Partien mit schöner, unangestrengter Interpretation.

Die kleinen Männerrollen waren durchwegs ausreichend bis gut besetzt: Marcus Pelz (Warssonofiew), Marian Talaba (Kuska), Hans Peter Kammerer und Il Hong (Strelitzen) sowie Benedikt Kobel (Vertrauter des Golizyn) waren darstellerisch unterfordert – einzig Wolfram Igor Derntl bekam als Streschnew die Möglichkeit, durch den Versuch einer Personenführung schauspielerische Präsenz zu zeigen. Sein heldenhafter Tenor klingt sicher und schön – er empfiehlt sich schon längere Zeit für größere Aufgaben.

 Für Menschen mit Liebe zur russischen Musik und zum russischen Wesen war diese Chowanschtschina ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk und wir hoffen, dass sie – in dieser musikalischen Qualität  – möglichst lange im Repertoire bleiben möge.

 Maria und Johann Jahnas

 

 

 

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