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WIEN/ Staatsoper: „Chi la vuole, con musica e parole?“ – IL TRITTICO an der Wiener Staatsoper, 3. Aufführung der Seria

 

„Chi la vuole, con musica e parole?“ – Il trittico an der Wiener Staatsoper, 3. Aufführung der Seria am 20.10.2023

 Als Puccini 1904 mit den Arbeiten zu Il trittico begann, schwebte ihm mitnichten ein Werk vor, daß durch einen thematischen Bogen drei Einakter verbinden sollte. Vielmehr wollte er gewisse Farben (tinti) musikalisch umsetzen und somit ein Triptychon des menschlichen Lebens zeichnen. Dies dauerte 14 Jahre, erst 1918 konnte das Werk an der Met zur Uraufführung gelangen. Das Ergebnis waren ein tragisches Werk (Il tabarro), ein lyrisches Werk (Suor Angelica) und ein heiteres Werk (Gianni Schicchi). Auch wenn alle drei Einakter nur selten gemeinsam gespielt werden, handelt es sich doch um wichtige Werke der Operngeschichte, nicht zuletzt auch, weil Puccini mit ihnen einen gewissen Endpunkt in seiner Entwicklung setzte – den er in späteren Werken allerdings wieder aufbricht. Ein Opernzyklus also, der für ein Haus wie die Wiener Staatsoper prädestiniert ist, denn er hat sowohl den künstlerischen Anspruch als auch einen Aufwand in der Umsetzung, dem das Haus nicht nur gewachsen sein sollte. Es soll und muss Anspruch der Wiener Staatsoper sein, ein Werk wie Il trittico erfolgreich auf die Bühne zu bringen.

 

Bogdan Roscic hat zu diesem Zwecke Tatjana Gürbaca verpflichtet, die damit ihr Debut am Ring gibt – und gnadenlos scheitert! Ein Bühnenbild existiert als solches nicht, wir sehen im Tabarro im Hintergrund große Leuchtbuchstaben mit den Worten „SCHWER GLÜCKLICH SEIN“. Zwischen diesem und den agierenden Rollen bewegen sich Statisten in gelegentlich abstruser Kostümierung, wobei das Wort Kostümierung hier fehl am Platze ist, denn überwiegend stehen alle Darsteller in Kleidung auf der Bühne, die aus der Altkleidersammlung stammen könnte, aber noch nicht einmal Retro-Charme aufweist. Ausnahmen sind zwei in weisse Plüschtierkostüme gepackte Statisten, die die fehlenden Worte „wie“, „es ist“ und „zu“ in Leuchtbuchstaben über den Hintergrund der Bühne schieben und somit die Leuchtbuchstaben als Zitat aus dem Libretto des Mantels aufzeigen. „Wie schwer es ist glücklich zu sein“ – „Come è difficile esser felici!“ seufzt Giorgetta anlässlich ihres tragischen Dilemmas. In seltsam bizarren Kostümierungen sind auch der Liederverkäufer (exzellent gesungen von Katleho Mokhoabane) als auch das unbekannte Liebespaar (ebenfalls wunderschön im Klang Florina Ilie und Ted Black) zu sehen. Ersterer in einen schwarzen Mantel mit Glitzeraufschlägen gepackt und grosse herzförmigen Ballons verkaufend, zweitere in weisser Unterwäsche. Die Requisiten stimmen auch sonst nicht: Wenn Michele von seiner Pfeife singt, ist diese nirgends zu erkennen, von Paris und der Seine keine Spur. Auch die gesellschaftskritischen Aspekte, welche im tabarro ja nun deutlich mit der veristischen Schilderung des Alltags der Schiffer ins Libretto geschrieben sind („In questo vino affogo i tristi pensieri“, „Lo so bene: tu non ml batti“, „I sacchi in groppa e giù la testa a terra!“, etc. etc.) werden in keiner Weise aufgegriffen.

Der Abend beginnt also mit der Abwesenheit einer Inszenierung und lässt auch musikalisch einiges vermissen: Philippe Jordan, für den es an diesem Abend keinen Eingangsjubel gibt, als er den Orchestergraben betritt, hat im tabarro offensichtlich weder das Orchester noch die Sänger im Griff: Beim Chor stimmen die Einsätze durchgängig nicht, hier herrscht ein regelrechtes Durcheinander an Stimmen. Obschon Herr Jordan zu Beginn des tabarros dann fast schon mozartesk dirigiert, verliert er sich dann schnell wieder in dröhnender Lautstärke. Gleichzeitig verlieren sich die Streicher ohne jedwede Koordination, zusätzlich hetzt Herr Jordan in seinem Dirigat in sehr hohem Tempo, durch das das Stück und so scheint dieser Teil des Abends zu einer Schlacht zwischen Chor, Streichern und Philippe Jordan zu werden.

Als Resultat dessen, sind die Sänger des Abends geradezu verloren. Anja Kampe muss sich in ihrer Rolle als Giorgetta überhaupt Gehör erkämpfen, was dann stellenweise darin resultiert, dass sie mehr schreit als singt, beispielsweise bei „Ma chi lascia il sobborgo vuol tornare“ und gleich wieder bei „C’è là in fondo Parigi“. Nur liegt da wie gesagt nicht Paris, sondern eben einfach abstruses nichts auf der Bühne. Leonardo Neiva, der kurzfristig für Michael Volle einsprang, schlägt sich durchaus anständig, kann aber natürlich in der kurzen Vorlaufzeit von einem Tag nur schwer Akzente setzen. Und naturgemäß ist das Spiel auf der Bühne da nur wenig abgestimmt, was man ihm aber natürlich nicht zum Vorwurf machen kann. Dass er sich am Ende des tabarros die Kehle auch selber aufschlitzen muss, darf viel mehr als Sinnbild für das verstanden werden, was die Direktion hier wieder einmal den Sängern antut: Zu glauben, dass ein Säger gleichzeitig den Michele, als auch den Barak in Frau ohne Schatten singen kann (welcher parallel in einer Seria an der Staatsoper läuft) grenzt an gesanglichen Selbstmord, auch für einen Michael Volle!

Joshua Guerrero ist durchaus passabel als Luigi, hat aber ebenfalls seine liebe Mühe bei der Lautstärke, die Jordan an den Tag legt. Das ist ausnehmend schade, denn auch bei ihm können wir einen wunderschönen, gepflegten Tenor erahnen, von dem wir wirklich gerne mehr gehört hätten. Alles in allem kommt in diesem tabarro die erdachte, dunkle Stimmung nicht auf, Puccinis Farbe wird verfehlt, nicht einmal ansatzweise coloriert und tatsächlich verlassen bereits jetzt erste Gäste die Galerie (rechts oben). „Resta vicino a me! La notte è bella!“ erbittet Michele von Giorgetta – dieser tabarro geht fünf Minuten vor annoncierter Zeit zu Ende und wir bleiben nicht, sondern flüchten uns in die erste Pause, denn in dieser Nacht war bislang nur wenig schön.

Nach der Pause stellen wir fest, daß sich die Reihen weiter gelichtet haben, es sind bereits 16 Plätze im Parkett leer und zwei in der Mittelloge. Frau Gürbaca verändert dann in Suor Angelica nur die Platzierung grauer Blöcke, lässt die Bühne bis auf wenige Requisiten leer und nur die Leuchtschrift „SEIN“ aufscheinen. Immerhin sehen wir tatsächliche Kleidung von Nonnen und Novizinnen und mit etwas Phantasie lässt sich auch das karge Nichts der Bühne als die Mauern eines Klosters erahnen. Glücklicherweise lässt der langsame und intime Charakter von Suor Angelica Herrn Jordan wenig Möglichkeiten, in die Vollen zu gehen und wieder jene Lautstärkenwalze auszupacken, die jeden Sänger platt macht. Und so erhaschen wir doch ein wenig musikalisches Glück (offensichtlich ist das doch nicht so schwer, glücklich zu sein?): Denn die eingesetzten Stimmen aus dem Ensemble sind wirklich von tadelloser Güte: Daria Sushkova beeindruckt durch den wunderschönen Klang ihrer Stimme als Suora Zelatrice, Patricia Nolz spielt herrlich ihre bernsteinfarbenen Mezzo-Klänge als Maestra delle novizie aus und hier kann Florina Illie nun gänzlich die Qualitäten ihres Soprans vorstellen, der frohlockend und klar die Suor Genovieffa intoniert. Zwar hat Michaela Schuster hier keinen guten Abend, sie klingt als Fürstin recht belegt mit viel Tremolo, meistert den Abend aber mit Anstand.

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Suor Angelica: Eleonora Burratto. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Und dann ist da natürlich Eleonora Burratto. Mit großer Eleganz kann diese ihren Sopran wie einen funkelnden Klangteppich durch den Saal fließen lassen. Edel, präzise, ausdrucksstark und intensiv zeichnet sie hier eine zutiefst gebrochene Suor Angelica die sich in absoluter Demut dem Wohl ihres Kindes unterworfen hat. Bei „O madre eletta, leggimi nel cuore“ zeigt sie dann das volle Ausmaß ihrer Qualität: Obschon Herr Jordan wieder das Orchester zu ohrenbetäubender Laustärke ansetzen lässt, bleibt sie davon völlig unbeeindruckt und singt konsequent, ohne in Schreie zu verfallen ihren Part so emotional, dass es ihr gelingt mit dem Ausdruck ihrer Stimme das Getöse zu überwinden. Ganz große Klasse und echte Professionalität. Mit der Arie „Senza mamma, o bimbo“ erklimmt sie dann wahrhaft musikalische Gipfel, wer hier unberührt bleibt, hat kein Herz – was für eine emotionale Arie, bravissima Eleonora Buratto!

Dass Frau Gürbaca auch hier wieder glaubt, das Libretto verändern zu müssen ist ärgerlich, anmaßend und unnötig: Anstatt sich zu vergiften, muss Angelica einen Spiegel zerschlagen und dessen Scherben essen, während sie gleichzeitig vom Gift der Blumen singt, die sie selber gepflanzt hat. Zu guter Letzt wird noch der Tod des Kindes von Angelica gestrichen und ein lebendes Kind auf die Bühne geführt, welches im Libretto gar nicht mehr lebt. Hier sei auf die Regieanweisung Puccinis hingewiesen: „Auf der Schwelle erscheint die Königin des Trostes, vor ihr ein kleiner blonder Knabe, ganz in Weiß. Die Jungfrau sendet das Kind zu der Sterbenden.“

Wie überheblich muss eine Regie eigentlich sein, um sich größer als Puccini zu wähnen? Wie ignorant und selbstverliebt kann eine Direktion eigentlich sein, daß sie so etwas zulässt?
„Madonna! Madonna! Salvami! Salvami!“ – zweite Pause!

Wir ignorieren den Dilettantismus der „Regie“ des Abends, denn Suor Angelica bildete dann doch einen zumindest gesanglich hochqualitativen Einakter und wir freuen uns auf Gianni Schicchi, denn dieses Stück aus Dantes Göttlicher Komödie ist ein Garant für exzellente Unterhaltung. Offensichtlich sehen das aber nicht alle so, die Reihen im Parkett haben sich weiter gelichtet, wir zählen nun sage und schreibe 43 (!) freie Plätze im Parkett. Wahrscheinlich hat man sich hier im Vorfeld weitergehend mit der Regie beschäftigt, denn was wir nun – noch vor Einsatz der Musik – auf der Bühne sehen, ist ein Buoso, der im Trainingsanzug Spaghetti ist und dabei (so der Andruck auf dem Display für das Libretto) „Reden aus 50 Jahren Radio Mussolini“ hört. Dieser stirbt an einem Herzanfall, fällt kopfüber in die Spaghetti und im Hintergrund werden seine Verwandten in abstrusen Kostümen auf die Bühne hochgefahren, um dann ein Plakat gegen den Faschismus zu entrollen. Offensichtlich wird Gianni Schicchi in den italienischen Faschismus versetzt, so sehen wir beispielsweise Serena Saénz in einem sehr kurzen, pinken uniformartigen Kostüm, welches an die Uniformen des Faschismus‘ angelehnt ist, und Dan Paul Dimitrescu, der gleich eine echte Unform trägt, die lediglich durch eine später dann ganz abgelegte Tunika verdeckt wird. Das ist gleich mehrfach abstrus: Denn Gianni Schicchi aus der Renaissance in den Faschismus zu verlegen, zeugt von so viel Unkenntnis der Geschichte, als auch dem Libretto, dass es einem die Sprache verschlägt. Während „Mio babbino caro“ zeigt Lauretta dann ihrem Vater Gianni einen positiven Schwangerschafts-Schnelltest – ein befremdlicher Anachronismus.

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Gianni Schicchi/ Ensemble. Foto:Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Auch sonst verfällt Gianni Schicchi eher in hektischen Slapstick, der auch noch mit einer Sexualisierung der weiblichen Rollen einhergeht, da diese alle Gianni Schicchi erotisch umgarnen müssen, was natürlich ins Obszöne abgeleitet und ebenfalls nicht im Libretto steht. Dass dies jedweder emanzipatorischen Idee entgegensteht, muss nicht erwähnt werden, zeugt dafür aber von einem bedenklichen Weltbild: Wenn ich halt keine Ideen habe, nehme ich kurze Röcke und irgendwas mit Faschismus – voilà, das verkauft sich immer. Oder eben auch nicht.

Und auch Philippe Jordan dreht hier wieder voll auf, das Dirigat wird in Kombination mit dem hohen Tempo unsauber, das Schicchi-Leitthema kann kaum wirken, überhaupt vermischen sich die verschiedenen Leitthemen zu einem einzigen Kuddelmuddel, ganz analog zur chaotischen Szenerie auf der Bühne. Diese ist genauso wenig abgestimmt, wie die musikalische Orchestrierung. Und auch hier ist das mehr als bedauerlich, denn das Ensemble auf der Bühne ist hochgradig kompetent, wieder können Daria Sushkova und auch Anna Bondarenko Akzente durch ihr Spiel und ihren Gesang setzen, auch Attila Mokus und Dan Paul Dimitrescu legen sehr gut vor, alleine erstickt das klangliche Chaos aus dem Orchestergraben jeden Ansatz von Witz, Finesse und dem musikalischen Genie Puccinis. Alles an Humor und fein abgestimmte Details, was eben bei Gianni Schicchi den Reiz ausmacht, aber auch nötig ist, um das Stück gelingen zu lassen fehlt hier schlichtweg.

Selbst die grandiosen Stimmen von Ambrogio Maestri, Bogdan Volkov und Serena Saénz können das nicht mehr richten: Herr Maestri stemmt sich mit aller Gewalt gegen den unkoordinierten Krach und kann natürlich durch seinen Witz punkten, dennoch ist er chancenlos gegen die Übermacht aus dem Orchestergraben. Bogdan Volkov erfreut mit seinem jugendlichen und umschmeichelnden Tenor, ist ebenfalls chancenlos gegen die Übermacht aus dem Orchestergraben und muss sich zusätzlich in einem mühsamen Eselskostüm, als auch mit Lauretta auf dem Boden wälzend in einem wirklich albernem Set-Up bewegen. Und Serena Saénz kann die berühmte Arie „Mio babbino caro“ zwar wunderbar einleiten, wird dann jedoch durch das immer höher werdende Tempo, welches Herr Jordan vorgibt, schlicht abgehangen. So wirkt Gianni Schicchi vor allen Dingen planlos, chaotisch und enervierend. Was für ein Trauerspiel: Da stehen fabelhafte Sänger auf der Bühne und der gesamte Abend endet in einem hektischen Wirrwarr, 12 Minuten vor annonciertem Ende um 22:33 Uhr.

Was wir also an diesem Abend erleben mussten, ist nicht nur eine Schande für das Haus. Es würdigt die fabelhaften Sänger herab und spuckt dem Publikum wortwörtlich ins Gesicht. Wieder holt Bogdan Roscic unter dem Vorwand der Verjüngung der Oper eine Regietheater-Produktion ans Haus, die vor Unwissenheit und Hybris nur so strotzt. Sie ignoriert nicht nur Puccini, sondern auch Dante Alighieri. Das stieß bereits bei der Premiere auf heftige Buh-Rufe und wurde auch an diesem Abend mit dem frühzeitigen Verlassen des Hauses etlicher Besucher beantwortet. Da Defizite am Ring aber ohnehin durch Steuergelder ausgeglichen werden, scheint das in der Direktion nicht zu interessieren.

Zusammenfassend ist das Thema des Abends also nicht „Come è difficile esser felici!“. Es ist ein Satz des Liederverkäufers aus dem tabarro: „Chi la vuole, con musica e parole?“ – Wer will das und wer braucht das?

E.A.L.

 

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