WIEN / Staatsoper: CAVALLERIA RUSTICANA & PAGLIACCI
110. zw. 112. Aufführung in dieser Inszenierung
15. Juni 2023
Von Manfred A. Schmid
Mit Cavalleria rusticana und Pagliacci steht wieder einmal das bewährte Verismo-Doppelpack über tödlich endende Liebe und Eifersucht von Pietro Mascagni und Ruggero Leoncavallo auf dem Spielplan der Wiener Staatsoper. Den Auslöser für die jeweils aus verletzter Mannesehre verübten Morde liefern in beiden Fällen zutiefst verletzte und gekränkte Personen (Santuzza bzw. Tonio) , die aus Rache für erlittene Zurückweisung den jeweils Betrogenen (Alfio, Canio) über die Untreue seiner Partnerin (Lola, Nedda) in Kenntnis setzen. Südländisch-sizilianische Vergeltungsaktionen sind die unaufhaltsamen Folgen.
Die Inszenierung aus den Jahr 1985 stammt vom französischen, auch für Bühne und Kostüme verantwortlichen Theatergenie Jean-Pierre Ponnelle. Bühnenbildlich gediegen und schon etwas museal anmutend, ist es vor allem die klare Personenführung, die weiterhin begeistert. Auch die Charaktere sind fein herausgearbeitet. Besonderes Augenmerk schenkt Ponnelle der Landbevölkerung, die das jeweilige Geschehen kommentierend mitverfolgt und zunehmend beunruhigt und sorgenvoll reagiert.
Daniel Harding, dem musikalischen Leiter des Abends, gelingt es vorzüglich, die dramaturgisch effektvoll eingesetzten Chöre in die Handlung einzubinden. Die Osterhymne „Regina Coeli, laetare wird von den Kirchenbesuchern voll Freude über die Erlösung gesungen, während vor ihren Augen die sich ankündigende Katastrophe bereits grausam zu manifestieren beginnt. Das berühmte „Intermezzo“ aus Cavalleria setzt erst nach einer dramatischen Pause ein, in der das bedrohliche Ausmaße annehmende Geschehen vorübergehend zur Ruhe kommt, entführt in himmlische Sphären und erhält zurecht Szeneapplaus. Umso packender dann die wiedereinsetzende, sich unbarmherzig zuspitzende Tragödie. Ähnlich geht es auch in Pagliacci zu, wo das Publikum bei der Vorstellung der im Ort gastierenden Schauspielertruppe lange glaubt, eine traditionelle, auch musikalisch im Stil der Commedia del arte dargebrachte, komischen Eifersuchtsgeschichte serviert zu bekommen und erst spät bemerkt, dass da vor ihren Augen längst ein blutiges, reales Beziehungsdrama verhandelt wird. Der Staatsopernchor zeigt sich, ebenso wie der Kinderchor, angesichts der gesanglichen und rhythmischen Herausforderungen, in Topform. Harding meistert die veristischen, melodramatischen Zuspitzungen, ohne jemals zu plakativ zu werden, und lässt die innige, mitternächtliche Begegnung Neddas mit ihrem Verehrer Silvio, gewissermaßen das von leoncavallische Gegenstück zum Intermezzo in der Cavalleria, voll von Zärtlichkeit und emotionaler Aufrichtigkeit erklingen. Besonders gelungen ist das kantable Liebesduett zwischen Nedda und Silvio in der dritten Szene, das in einem Kuss endet, das vom Violoncello begleitet wird.
Es gibt erfreuliche Rollendebüts, allen voran Elena Stikhina als Santuzza. Berührend beklagt sie ihr seelisches Leid, ausgelöst durch Turiddu, dem sie sich hingegeben hat und der sie zugunsten einer Affäre mit seiner inzwischen verheirateten Jugendliebe Lucia im Stich gelassen hat. Man versteht, dass sie, nach einem offenen Gespräch mit Turiddus Mutter Lucias, von Turuiddu so enttäuscht und gedemütigt fühlt, dass sie seine Untreue verrät.
Yonghoon Lee ist in Wien als Turiddu nicht zum ersten Mal zu erleben. Der höhensichere südkoreanische Tenor trat schon 2019, damals an der Seite von Elina Garanca als Santuzza, in dieser Rolle auf. Während Garanca nicht nur für ihren Mut, als Mezzo diesen Schritt gewagt zu haben, gefeiert wurde, sondern vor allem für ihre fulminante Leistung bejubelt wurde, bemängelte man an Yonghoon Lee einen zwar strahlend hellen, aber doch etwas eindimensional wirkenden Tenor sowie seine Eigenart, stets bis zum Anschlag zu singen. Auch diesmal hört sich sein Turiddu so an, als ob er sich in jeder Situation die Seele aus dem Leib singen müsste. Das gelingt ihm zwar, ohne das sein Tenor jemals überfordert klingt, ist aber einfach nicht immer nachvollziehbar. Als Canio in Pagliacci gelingt es ihm, seine Stimme differenzierender einzusetzen. Da gibt es weniger gewichtig vorgetragene Passagen, was dann die Momente emotionaler Ausbrüche umso eindrucksvoller werden lässt, weshalb er bei seinem großen Monolog auch zurecht mit Szenenapplaus bedacht wird.
Eine deutliche Steigerung, vor allem darstellerisch, ist dem aus der Mongolei stammenden Bariton Armatuvshin Enkhbat zu attestieren, der gesanglich schon bei seinem Wiener Debüt als Nabucco auf sich aufmerksam gemacht hat und auch als Vater Germont in der Traviata zum Einsatz kam, aber bei der spielerischen Gestaltung bisher weniger überzeugen konnte. Sein Alfio in der Cavalleria ist ein frohgemuter, unbekümmerter, selbstbewusster Fuhrwerker, der nach der Heimkehr von einer längeren Fahrt ein ausgelassenes Trinklied intoniert und sich von den Dorfbewohnern feiern lässt. Als er von der Untreue seiner Frau erfährt, wird er zunächst ganz still, bevor er dann, um seine Mannesehre bemüht, energisch reagiert. Als Tonio in Pagliacci kann er, nach dem mit Beifall belohnten, fesselnden „Prolog“ vor dem Vorhang, auch sein komisches Talent ausspielen, ohne aber dabei sein Schicksal als körperlich und wohl auch seelisch beeinträchtigter Mensch – Nedda wird ihn einen „Krüppel“ nennen – ganz auszublenden. Eine bemerkenswerte Leistung, die auf weitere Entwicklungen und neue Rollen neugierig macht.
Isabel Signoret ist in der Cavalleria eine Sinnlichkeit ausstrahlende Ehebrecherin, die an die Folgen ihres Verhaltens kaum gedacht haben mag. Turiddus Mutter Lucia wird von Noa Beinart als bekümmerte, ratlose, von den Ereignissen überforderte Frau dargestellt. Der Bitte ihres Sohnes, dass sie, falls ihm etwas zustoßen sollte, sich der Santuzza als Mutter anzunehmen, wird sie folgen und darin vielleicht etwas Trost finden.
Die Rolle der Nedda in Pagliacci ist bei Asmik Grigorianin besten Händen. Sie brilliert in den komödiantisch-koketten Bühnenpossen und in ihrem lautmalerisch angelegten, variantenreichen „Vogellied“, ist aber auch glaubwürdig in ihrer Sehnsucht, sich aus der bedrückenden, erdrückenden Ehe mit dem alles kontrollierenden Canio zu befreien. Ihr lyrischer Sopran klingt in allen Lagen sehr ausgewogen. Insgesamt eine gelungene, eindrucksvolle Leistung.
Der erfahrene Haustenor Jörg Schneider ist ein witziger, quirliger Beppo in der Truppe der Komödianten, das vielseitige Ensemblemitglied Stefan Astakhov gibt mit seinem angenehm timbrierten Bariton ein sympathisches Rollendebüt als jugendlicher Liebhaber Silvio.
Wataru Sano und Veli-Pekka Varpila als sind gute, rollendeckende Besetzungen für Erster und Zweiter Bauer.
Das Publikum zeigt sich begeistert von der Aufführung und dankt mit freudigem Applaus.