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WIEN/ Staatsoper: CAVALLERIA RUSTICANA/ PAGLIACCI


Nach der Vorstellung „Zwangskasernierung“ im Foyer. Foto: Dominik Troger

Wiener Staatsoper, 2. November 2020, Staatsoper, „Cavalleria rusticana / Pagliacci“

Die letzte Aufführung vor dem neuerlichen Convid-19-bedingten Lockdown wurde vom Terroranschlag in der Wiener Innenstadt überschattet. In der Pause nach „Cavalleria rusticana“ machte das Ereignis schnell die Runde, das ganze Ausmaß war zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht abzusehen. Die Vorstellung lief weiter wie geplant. Nach einem kurzem Schlussbeifall etwa gegen 22.15h wurde das Publikum informiert, dass es im Haus bleiben soll, die Staatsoper sei zum Schutz mit Sicherheitskräften umstellt, man werde informieren wie es weitergeht.


Auch Armin Wolf hatte gestern seinen Auftritt in der Staatsoper, im Foyer. Foto: Dominik Troger

Das Publikum schwärmte in die Foyers, die Buffetts hatten geöffnet, man bemühte sein Smartphone um die neuesten Nachrichten, auf den Foyerbildschirmen, die Zuspätgekommenen das Verfolgen der Vorstellung ermöglichen, wurde die aktuelle ORF-Berichterstattung eingeblendet. Plötzlich vernahm man Applaus aus dem Zuschauerraum, spontan hatte man ein Streichquartett „arrangiert“. Nach dem zweiten Satz, so mir erinnerlich, wurde verlautbart, dass eine U4 nach Hütteldorf bereitstünde, und dass das Publikum zum Zwecke deren Benützung auf der Seite des Karajanplatzes das Haus verlassen dürfe. Das war gegen 23.30h. Dann wurde auch der Zugang zur Tiefgarage freigegeben.


Streichquartett wärend der Kasernierung. Foto: Dominik Troger

Angesichts des weitgehend gesperrten öffentlichen Verkehrs und der Unsicherheit ein Taxi zu bekommen macht sich ein Teil des Publikums gegen Mitternacht aber auch zu Fuß auf den Heimweg in nahe anliegende Bezirke (bzw. dürften für ältere und/oder weniger fußfitte Personen auch  individuelle Transportmöglichkeit bereit gestellt worden sein, aber darüber habe ich keine genauere Kenntnis). Der Zugang zur Inneren Stadt war ebenfalls gesperrt und wurde meines Wissens für Anwohner nur reglementiert freigegeben. Ich selbst ging dann zu Fuß die Zweierlinie entlang, wo mäßiger Autoverkehr herrschte, mir auch ein 49er oder 46er „begegnete“ (die Erinnerung ist nach drei Stunden Schlaf etwas lückenhaft), jedenfalls dürfte man die nur den Ring punktuell anfahrenden Linien tlw. nicht gesperrt haben (der Ring selbst war gesperrt).

Unter anderen Umständen würde ich natürlich mehr über die betont unpolemische kurze Ansprache von Staatsoperndirektor Bogdan Roščić  berichtet haben, in der er sich beim Publikum am Beginn des Abends für die Treue bedankte und versicherte, man werde so weiter arbeiten wie bisher, um zum behördlich genehmigt frühest möglichen Zeitpunkt wieder spielen zu können. Der Schlusssatz aus dem „Bajazzo“ – „La commedia è finita“ – war zu passend, um nicht auch von ihm zitiert zu werden. Auch sein Hinweis auf Bertold Brecht „Den Vorhang zu und alle Fragen offen“ umschrieb sehr passend die behördlich „verstrickte“ Coronasituation. Das Publikum bedankte sich für die Ansprache mit sehr positiv gestimmtem Beifall.

Erwähnt werden muss außerdem, dass die Staatsoper „süffisant“ vor Vorstellungsbeginn einen Ausschnitt aus der Lockdown-Verordnung auf den kleinen Untertitel-Tablets angezeigt bzw. bei offener Bühne auf eine großen Leinwand projiziert hat. Anhand des Verordnungstextes könnte man mutmaßen, dass den Erstellern Kultureinrichtungen wie Theater, Konzertsäle, Kinos erst nach Freizeit- und Vergnügungsparks, Bädern, Tanzschulen, Wettbüros, Automatenbetrieben, Schaubergwerken (!!), Einrichtungen zur Ausübung der Prostitution (!!!) eingefallen sind. Schade, dass nicht ganz auf die „Kultur“ vergessen wurde, denn dann hätte die Wiener Staatsoper heute „Eugen Onegin“ spielen können. Aber der Staatsoperndirektor soll als Vorbild dienen: keine Polemik!

Nun ist die Wiener Staatsoper an diesem schrecklichen Abend wahrscheinlich einer der sichersten Plätze des Ersten Bezirkes gewesen – aber fühlte man selbst nicht auch die Unangemessenheit kultureller Vergnügungen, während sich fünfhundert Meter entfernt Menschen in Lokalen unter Tische oder aufs WC flüchten, um nicht einem Terroranschlag zum Opfer zu fallen? Diesen Zwiespalt wurde man, nach den ersten, in der Pause gewonnenen Informationen, während des ganzen „Bajazzos“ nicht mehr so richtig los – er sei hier formuliert, weil es letztlich einfach ein Glück ist, dass man sich zu diesem Zeitpunkt gerade hier und nicht dort befunden hat. Ich selbst habe vor der Oper so gegen 18.30h noch eine Runde durch die Innenstadt gemacht, um den derzeit weniger geliebten öffentlichen Verkehrsmitteln auszuweichen. Die Schanigärten waren voller Menschen, es herrschte eine fast ausgelassene Stimmung, man wollte sich noch treffen, man wollte gemeinsam ein „Vierterl“ heben oder einen Abendkaffee nach der Arbeit genießen, man wollte auch der Regierung und ihrem „Lockdown“ noch ein bisschen eins auswischen (in Sachen Seuchenprävention sicher kein allzu lobenswertes Verhalten). Dank des frühlingshaften Wetters waren sehr viele Menschen unterwegs – Rotenturmstraße, am Graben, die Kärtnerstraße – doch wäre man eineinhalb Stunden später dort geschlendert oder im vom Heizschwammerl erwärmten Gastgarten gesessen … das sind so Gedanken, die sich unwillkürlich einstellen.

Die Aufführung der beiden Einakter selbst hinterließ einen sehr intensiven, musikalisch allerdings etwas „grellen“ Eindruck. Die Protagonisten schienen ganz aus sich herausgehen zu wollen, um zumindest auf diese Weise lautstark ihre Stimme zu erheben. Den Rezensionen, die nach der ersten Vorstellung erschienen sind, ist aus meiner Seite beizupflichten, „Pagliacci“ war diesbezüglich das einprägsamere Stück dieses berühmtesten aller „Opern-Einakter-Duos“. Aber der Reihe nach, Eva-Maria Westbroek (Santuzza) forcierte ihren Sopran hochdramatisch – und übertünchte damit so manche Schramme, die ihre Stimme im Laufe ihrer Karriere schon abgekommen hat; Brian Jagde (Turridu) sang mit forciert-metallischem, kräftigem, aber kaum differenziert eingesetztem Organ; Ambrogio Maestri gab einen immerhin unterschwellig gefährlichen Alfio. Mara Zampieri wird im Nachhinein noch froher sein, wegen COVID nicht angereist zu sein – was von vielen Fans, die sie hier in Wien immer noch hat – natürlich sehr bedauert wurde. Als Mama Lucia kam deshalb Zoryana Kushpler zu einem sich unspektakulär gestalteten Einsatz, auch etwas zu blass – und außerdem zu wenig kokett – gab sich die Lola der Isabel Signoret. Mit ihrem schlanken Organ hat sie kaum gegen Santuzza und Turridu bestehen können. Dabei ist Lola gewissermaßen das „Zünglein auf der Waage“.

Ambrogio Maestri verklammerte als Tonio die beiden Einakter, wobei er mir als Tonio insgesamt besser gefiel. „ Pagliacci“ gestaltete sich ebenfalls sehr intensiv, Roberto Alagna als Canio war das Zentrum der Aufführung, mit sehr viel Szenenapplaus nach seiner Arie und seinen Schluchzern. Alagna bleibt auch als Canio immer noch Stilist genug um zu wissen, dass es nicht nur darum geht, laut zu singen. Aleksandra Kurzak gab eine selbstbewusste Nedda, stimmlich schon etwas zu „lebenserfahren“, um als „liedträllerndes“ „Vögelchen“ durchzugehen – aber letztlich lebt diese Oper ja von der Zuspitzung des Spiels im Spiel und wenn das Publikum im Finale um Nedda zittert und an Canios Wahn verzweifelt – so wie an diesem Abend – ist alles gewonnen. Und Roberto Alagana gelang es zudem mit seinem „La commedia è finita“ die Sache auf den Punkt zu bringen, höchste emotionale Erregung und ihr gleichzeitiges Abflauen zum Ausdruck zu bringen, den Kulminationspunkt zu erfassen, in dem das Schauspiel wieder ganz ins Leben überwechselt – und welche bittere Wahrheit war an diesem Opernabend damit verbunden.

Sergey Kaydalov (Silvio) und Andrea Giovanni (Beppo – schon im Vorfeld der Serie eingesprungen für Jörg Schneider) ergänzten passend. Der Erste Bauer (Jens Musger) und der zweite Bauer (Martin Müller) erfüllten ihren Dienst. Marco Armiliato stand am Pult eines im Laufe des Abends immer eindrucksvoller aufspielenden Orchesters, das in dem halbleeren Saal einfach eine Nuance schärfer und greller klingt, wie mir scheint. An Lautstärke hat es auch im Orchestergraben nicht gemangelt. Die Inszenierung ist seit 35 Jahren bekannt, Details dazu erspare ich mir. Wann die Staatsoper wieder öffnen darf? Man wird sehen. Sicher haben englische Wettbüros dafür schon eine Quote angesetzt.

Ganz zum Schluss noch ein großes Dankeschön an das Krisenmanagement der Staatsoper und der Exekutive, die dem Publikum unermüdlich mit Hilfe und Auskunft zur Seite gestanden sind.

Dominik Troger (auch www.operinwien.at)

 

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