WIEN / Staatsoper: „CAVALLERIA RUSTICANA/PAGLIACCI“ – 22.01.2025
Jonas Kaufmann. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn
Der Canio in „Pagliacci“ ist eine Partie, die Jonas Kaufmann derzeit sehr gut liegt. Wenn er auch weder das Publikum derart erschüttert, wie es ein Jon Vickers oder ein Plácido Domingo konnten, noch über jene unermüdliche Stimmkraft eines Wladimir Atlantow oder Johan Botha verfügt, kann er doch durch subtile Gestaltung des alternden aber rasend eifersüchtigen Schmierenkomödianten stimmlich und darstellerisch überzeugen. Er beeindruckt vor allem in seiner großen Arie „Vesti la giubba“ und im Finale. In einer Videobotschaft auf einem Social Media Kanal hat Kaufmann erklärt, warum er in dieser Aufführungsserie neben dem Canio auch noch den Prolog des Tonio gesungen hat. Er meint, dass dieser Prolog „ein Baritenor“ sei. Nun, Ruggiero Leoncavallo hat diesen Prolog nachträglich extra für Victor Maurel, den Sänger der Uraufführung, geschrieben, der schon zuvor den Titelhelden in der revidierten Fassung des „Simon Boccanegra“, den Jago in „Otello“ und den Falstaff in den Uraufführungen der Verdi-Opern gesungen hat. Victor Maurel war also bestimmt kein Baritenor. Auch in der letzten Vorstellung dieser Aufführungsserie sang Jonas Kaufmann neben dem Canio auch noch den Prolog des Tonio. Während er dies in der ersten Vorstellung wenig beeindruckend mit fahler Stimme und glanzlosen Höhen tat, gelang ihm „Si può?“ in den letzten beiden Vorstellungen eigentlich ganz gut. Dafür war er dann in diesen Vorstellungen als Canio nicht ganz so gut wie in der ersten Aufführung. In der letzten Aufführung schwächelte er bereits in der ersten Szene des Canio („A ventitré ore!“ – À propos: Warum wird eigentlich in der Untertitelungsanlage „A ventitré ore“ mit 19 Uhr übersetzt????). Aber wenn für Jonas Kaufmann der Canio zu wenig war, warum ist er dann nicht in den ersten beiden Vorstellungen für den absagendenden Jonathan Tetelman als Turiddu eingesprungen? Bei den Salzburger Osterfestspielen 2015 hat er noch beide Partien an einem Abend gesungen.
Maria Agresta ist mit ihrer immer schwerer werdenden Stimme als Nedda von Aufführung zu Aufführung besser geworden, am letzten Abend haben nur noch zwei scharfe Spitzentöne den insgesamt positiven Eindruck beeinträchtigt.
Die Partie des Tonio ist ohne Prolog nicht sehr ergiebig. Adam Plachetka musste sich also mit dem Rest der Partie zufriedengeben, tat dies aber überzeugend mit mächtigem Bariton.
Es ist immer wieder eine Freude Jörg Schneider als Beppe zu hören, den er schönstimmig und spielfreudig gestaltet.
Es wurden ja in der Vergangenheit schon mehrfach gewaltsame Eingriffe in die großartige Inszenierung von Jean-Pierre Ponnelle vorgenommen. Aber wer kam nur auf die Idee, dass Canio am Ende dem armen Silvio (Stefan Astakhov) die Kehle aufschlitzt? Wenn in früheren Aufführungen Canio das Messer dem herbeieilenden Silvio in den Leib stieß, war das viel überzeugender.
Jonathan Tetelman. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn
Vor der Pause galt das Interesse vor allem Jonathan Tetelman. Im Jänner 2022 sorgte der in Chile geborene, in den USA aufgewachsene Tenor bereits bei seinem Wien-Debüt im Theater an der Wien als Cavaradossi (in der schrecklichen „Tosca“-Inszenierung von Martin Kušej) für Furore. Nach mehreren Anläufen hat er nun doch endlich an der Staatsoper debütiert. Bereits bei seinem Debüt in der vorletzten Aufführung dieser Serie hat er sich in die Herzen des Wiener Staatsopernpublikums gesungen. Seine schöne Stimme mit einem leichten, erotisierenden Vibrato, seine strahlenden, mühelos gesungenen Höhen, sein exzellentes Spiel und nicht zuletzt sein gutes Aussehen prädestinieren ihn für die Partie des feschen Dorfcasanovas Turiddu. Seit Luis Lima haben wir keinen so überzeugenden Turiddu mehr in Wien erlebt. Und die Chemie zwischen ihm und Elīna Garanča muss gestimmt haben. Da sprühten die Funken zwischen zwei ehemals Liebenden. An seinem zweiten Staatsopernabend gab er noch mehr Gas, noch mehr Stimme als bei seinem Debüt. Das wäre vielleicht gar nicht notwendig gewesen, war aber durchaus eindrucksvoll. Dafür wurde er vom Publikum bei seinem Solovorhang mit einem unbeschreiblichen Jubelsturm belohnt.
Dieser Jubel schwoll beim Solovorhang von Elīna Garanča noch mehr an und erreichte Orkanstärke. Elīna Garanča ist als Santuzza derzeit wohl weltweit konkurrenzlos. Sie ist weder die rasend eifersüchtige Sizilianerin, wie es die unvergleichliche Fiorenza Cossotto war, sie ist aber auch nicht die starre, griechische Göttin, wie es Agnes Baltsa war. Elīna Garanča ist genau in der Mitte, eine wahrhaft Liebende, eine in ihrer Liebe zutiefst Verletzte, eine von der Gesellschaft Ausgestoßene. Mit ihrem glutvollen Mezzosopran glänzt sie von Anfang bis zum Ende. Pietro Mascagni hat diese Partie ja für dramatischen Sopran geschrieben. Die Uraufführung sang Gemma Bellincioni, die übrigens 1893/94 in dieser Partie sowie als Suzel in „L’Amico Fritz“ und als Traviata an der Wiener Hofoper gastierte. Doch schon bald nach der Uraufführung begannen sich die ersten Mezzosopranistinnen für diese Partie zu interessieren, was Mascagni nicht goutierte. Hätte er Elīna Garanča gehört, er hätte seine Meinung bestimmt geändert.
Adam Plachetka bewältigt die Auftrittsarie des Alfio viel besser als viele seiner italienischen Kollegen und überzeugt als gehörnter Fuhrmann.
Elena Zaremba als liebevolle Mamma Lucia und Anita Monserrat als schönstimmige und verführerische Lola komplettierten die Besetzung dieser großartigen Aufführung.
Der Dirigent Nicola Luisotti schaffte erst im Laufe der Serie die vielen Wackelkontakte zwischen dem (nicht immer sauber spielenden) Orchester und dem stimmgewaltigen Chor der Wiener Staatsoper zu reduzieren. Möglicherweise waren aber die langsamen Tempi, die er bevorzugte, für die Koordinationsprobleme verantwortlich.
Somit waren die Aufführungen – dank einiger Sänger – ein Fest für Opernfans. Wer das versäumt hat – oder wer das noch einmal sehen will: die Aufführungen wurden für das Fernsehen aufgezeichnet. ORF III wird den Mitschnitt am 9. Februar ausstrahlen!
Walter Nowotny