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WIEN / Staatsoper: CARMEN von Georges Bizet

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Erwin Schrott (Escamillo) und Soldaten. Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: CARMEN von Georges Bizet

7. Aufführung in dieser Inszenierung

8. November 2021

Von Manfred A. Schmid

Ein Deja vu? 2018, noch in der schon ziemlich abgespielten Zefirelli-Inszenierung, hinterließ die französische Sängerin Clémentine Margaine in der Titelpartie einen eher gespaltenen Eindruck. Trotz ihrer dunkel gefärbten, vollen Stimme, die perfekt zur Rolle passen sollte und für die sie auch international bekannt ist, reichte es nur für eine mediokre „Habanera“, auf die eine recht eigenwillig interpretierten „Sevillana“ folgte. Gelungen das neckisch-provozierende „Tra la la“. Ihr Mezzosopran ließ in der Mittellage zu wünschen übrig und klang in den tiefen Tönen zu wenig durchschlagskräftig.

Dieser Befund hat sich bei ihrem nunmehrigen Auftritt in der Calixto-Bieto-Inzenierung, die im Februar ihre (zunächst nur gestreamte) Premiere erlebte, weitgehend bestätigt. Mit dem Unterschied, dass diesmal die Sängerin – infolge einer abklingenden Erkältung – als indisponiert angesagt worden ist, weshalb eine Beurteilung der stimmlichen Leistung ohnehin problematisch wäre. Daher nur noch Anmerkungen zu Margaines darstellerischer Leistung, die durchaus bemerkenswert ist, obwohl sie den tatsächlichen Verhältnissen in dieser Inszenierung nicht ganz entspricht. Das frivole Tändeln, Flirten und Schäkern mit der Männerwelt, bis hin zur Verführung, gelingt ihr glaubwürdig. Auch erotische Spannungen sind vorhanden. In der rauen, brutalen, von Bieito überaus drastisch und schonungslos auf die Bühne gebrachten Gesellschaft aus Soldaten, Tabakarbeiterinnen, Schmugglern, Kleinkriminellen, Gelegenheitsprostituierten, Zuhältern und den nur auf Brot und Spiele erpichten Massen käme es aber mehr auf Sex denn auf Erotik an. Auch die Zornesausbrüche der Carmen könnten in dieser gewalttätigen Umwelt um einiges eruptiver ausfallen. Es wird dem Besetzungsbüro freilich schwerfallen, in Hinkunft mit einer Sängerin aufwarten zu können, die es mit der umwerfenden Anita Rachvelischwili aus der Premiere aufnehmen wird können.

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Clémentine Margaine (Carmen) und Freddie De Tommaso (Don José).

Was für Clémentine Margaine gilt, sollte natürlich auch für Freddie De Tommasos Rollendebüt als Don José in Anspruch genommen werden. Der Sänger wurde ebenfalls als indisponiert angesagt, in diesem Fall infolge einer beginnenden Erkältung. Das vielversprechende Ensemblemitglied, eben erst als guter Einspringer in der Rolle des Ismaele in Nabucco zu bewundern, macht seine Sache in Anbetracht der Umstände gut. In der fein und emotional berührend vorgetragenen „Blumenarie“ zeigt er sein Potenzial. Dass es im weiteren Verlauf in der Höhe zuweilen zu leichten Distonierungen kommt und dass er gegen Schluss schon einigermaßen ermüdet wirkt, ist den Begleitumständen dieses Abends zuzuschreiben. De Tommaso hat alles, was aus ihm – schon bei nächster Gelegenheit – einen guten Don José machen wird.

Erwin Schrott als Escamillo ist an diesem Abend das Hauptereignis. Schon allein seine enorme Bühnenpräsenz, die virile Ausstrahlung, machen ihn zum Zentrum des Geschehens, auch wenn er in dieser Inszenierung, mit einem kecken Hut auf dem Kopf, eher wie ein mittlerer Mafiaboss, dem nur die Sonnenbrille fehlt, in Erscheinung tritt. In Wien würde man dazu „Strizzi“ sagen. Er singt auch durchaus effektvoll und weiß sich in Szene zu setzen.

Die Premierenbesetzung – neben Rachvelischwili und Schrott noch mit Piotr Beczala als Don José – wurde als Fest der Stimmen gefeiert. Davon kann an diesem Abend aus bekannten Gründen nicht die Rede sein.  Aber es gibt noch eine Reihe von Nebenrollen, auf die einzugehen sich lohnt. Vera-Lotte Boecker und Peter Kellner, beide schon bei der Premiere dabei, sind tadellose Hausbesetzungen als Micaela und Zuniga, wobei sich vor allem die Sopranistin im Vergleich zu den vorangegangenen Auftritten deutlich gesteigert hat. Die Arie „Je dis que rien ne m’épouvante“ im dritten Akt gelingt ihr ausgezeichnet.

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Vera-Lotte Boecker (Micaela).

Nicht sehr glaubwürdig als Zuhälter und Schmuggler im Ganovenmilieu ist, trotz sichtlicher Anstrengung, Society-Löwe Clemens Unterreiner. Mit Goldketterln um den Hals, wirkt eher lächerlich und nicht ganz so lässig, wie gewollt. Um einiges robuster tritt da schon Robert Bartneck als Remendado auf. Beeindruckend die Rollendebüts von Joanna Kedzior und Isabel Signoret, Mitglied des Opernstudios, als Frasquita und Mercédès. Der Chor singt und agiert beim Defilee der Toreros, unterstützt von den grandiosen Kindern der Opernschule – vor dem Schatten eines übermächtigen Kampfstieres im Hintergrund und an ein Absperrseil gedrängt – geradezu ekstatisch. Massenhysterie in den Jahren des Franco-Regimes.

Die musikalische Leitung des Abends ist bei Hausdebütant Omer Meir Wellber in guten Händen. Er und sein Orchester sind nicht daran schuld, dass der Gesamteindruck dieses Opernabends insgesamt unbefriedigend ausfällt. Der Applaus ist durchaus enden wollend – schon kurz nachdem der letzte Mitwirkende, der Dirigent, auf der Bühne erscheint.

 

 

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