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WIEN/ Staatsoper: CARMEN – Premiere der Bieito-Inszenierung via Stream

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Anita Rachvelishvili, Peter Kellner, Slavka Zamecnikova. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Wiener Staatsoper: Premiere CARMEN – 21.2.2021 via TV und Stream

(Heinrich Schramm-Schiessl)

Staatsoperndirektor Bogdan Roscic ist mit dem Ziel angetreten, das Repertoire mit Arbeiten von Regisseuren anzureichern, die noch nie oder bisher nur ganz selten im Haus am Ring gearbeitet haben. Aber anstatt diese zu motivieren, Neues zu erarbeiten, wie es einem Haus wie der Staatsoper angemessen wäre, begab er sich auf einen Einkaufsbummel in die Regietheater-Boutique und holte Inszenierungen ans Haus, die nicht mehr wirklich taufrisch sind und nicht nur bereits an zahlreichen anderen Häusern gezeigt wurden, sondern auch – zum Teil mehrfach – auf DVD oder Blue-Ray erhältlich sind. Nach Anthony Minghella, Hans Neuenfels und Dmitri Tscherniakov ist es nun Calixto Bieito, am Beginn seiner Karriere so etwas wie ein Gottseibeiuns unter den zeitaktuellen Regisseuren, der uns seine Version von Bizets populärem Werk präsentieren darf. Seine Inszenierung löst damit jene von Franco Zeffirelli aus dem Jahr 1978 ab, die vom Publikum sehr geschätzt wurde, aber durch die fragwürdigen Einsparungen durch Joan Holender bei der Statisterie viel um ihre Wirkung – speziell im 1. Akt – gebracht wurde.

Nun, da man die Inszenierung schon kannte, war es keine sogenannte „mit Spannung erwartete“ Premiere. Im Gegenteil, ich habe mich den ganzen Abend gefragt, was an dieser Inszenierung so besonders ist. Bieito, und das muss man ihm attestieren, erzählte die Geschichte. Allerdings lässt er das Stück natürlich nicht in der Zeit spielen, die das Libretto vorgibt, sondern verlegt es nach meinem Dafürhalten in die späten 1970er-Jahre, also die Zeit nach der Franco-Diktatur und auch der Ort der Handlung ist nicht Sevilla, sondern irgend eine Garnisonsstadt. Die Bühne (Alfons Flores) ist bis auf ein paar Versatzstücke komplett leer. Im 1. Akt ist das eine Telefonzelle und ein Fahnenmast, im 2. Akt ein Christbaum, Campingassecoires und ein Auto und im 3. Akt dann im Hintergrund ein Stier – auch nicht neu, das hatte schon Savary seinerzeit in Bregenz – und gleich fünf Autos. Was vielleicht auffällt ist der Umstand, dass Bieito sehr viel Wert darauf legt, die Brutalität sowohl unter den Soldaten als unter den Schmugglern zu zeigen. So muß z.B. im 1. Akt – in dem es übrigens nur Soldaten und Zigarettenarbeiterinnen, aber kein normales Volk gibt – ein Soldat, nur in Unterhose mit einem Gewehr in der Hand offensichtlich Strafrunden drehen bis er entkräftet zusammenbricht. Völlig hergeschenkt wird der Auftritt der Carmen, denn man sieht sie zunächst telefonieren in oben erwähnter Zelle. Wie überhaupt die Personenführung konventionell bis nicht vorhanden ist. Das trifft insbesonders auf den Chor zu, der zumeist in Reih und Glied dasteht und kollektiv die Hände jubelnd in die Höhe streckt oder die Schmuggelware hoch hält. Die zeitangepassten Kostüme waren von Marcé Paloma. Wenn man ein Resümee ziehen soll, kann man eigentlich nur feststellen, dass es fad war.

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Vera- Lotte Boecker, Piotr Beczala. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Erfreulicher mit Einschränkungen der musikalische Teil des Abends. Anita Rachvelishvili ist stimmlich heute wahrscheinlich die beste Carmen, die auch Vergleiche mit manchen früheren Interpretinnen nicht zu scheuen braucht. Sie verfügt über einen schön timbrierten Mezzo, hat weder in der Höhe noch in der Tiefe Probleme und singt durchaus ausdrucksvoll. Einzige Einschränkung war für mich die Kartenarie, die mir zu wenig düster unf geheimnisvoll war. Darstellerisch konnte sie mich nicht überzeugen, aber womöglich lag das am Regisseur, der sein Konzept durchziehen wollte und nicht auf ihr optisches Erscheinungsbild eigegangen ist. Man nahm ihr einfach die Frau, wegen der die Männer den Kopf verlieren, nicht ab.  Pjotr Beczala, der den Don José vom erkrankten Charles Castronovo übernommen hat, war stimmlich in ausgezeichneter Verfassung. Er sang sehr schöne Phrasen und die Spitzentöne kamen problemlos. Ein Problem war leider auch bei ihm die Rollengestaltung. Sicher, er tat alles, was man sich von einem José erwartet, aber man glaubte es ihm nicht. Sehr gut gefallen hat mir auch Erwin Schrott als Escamillo. Wie die meisten Sänger die sich sowohl im Bariton- als auch im Bass-Fach bewähren, hat er mit der nicht unkomplizierten Tessitura keine Probleme und ist auch darstellerisch in seinem leicht schmierigen Machogehabe durchaus zufriedenstellend. Am wenigsten vom Solistenquartett hat mir Vera-Lotte Boecker als Micaela gefallen. Auch sie ist – sogar relativ kurzfristig – eingesprungen. Was mir bei ihr fehlte, war eine gewisse Innigkeit in der Stimme. Besonders ihre Arie war ziemlich gefühlsarm und berührte überhaupt nicht. Dazu kam, dass sie relativ stark forcierte und in der Höhe etwas schrill klang. Darstellerisch blieb sie eher blass. In den Nebenrollen alte und neue Ensemblemitglieder – Slávka Zámecniková und Szilvia Vörös (Frasquita und Mercedes), Carlos Osuna und Michael Arivony (Remendado und Dancairo) sowie Peter Kellner (Zuniga) und Martin Häßler (Morales) – die sich auf der Höhe ihrer Aufgabe befanden. Hervorzuheben wäre eventuell Szilvia Vörös, die sich überlegen sollte, ob sie wirklich in Nebenrollen versauern will. Natürlich gab es, wie es im Regietheater so der Brauch ist, eine aufgewertete Nebenrolle, diesmal den Lillas Pastia, der vielleicht so eine Art Spielleiter war und von Yto Morona – der offensichtlich mit Bieito von Produktion zu Produktion mitreist – dargestellt wurde.

Andrés Orozco-Estrada am Dirigentenpult blieb eher unauffällig. Er war zwar den Sängern ein ordentlicher Begleiter, eine spezifische Orchestergestaltung konnte man nicht feststellen. Die Tempi waren größtenteils in Ordnung, aber an manchen Stellen klang es jedoch etwas schleppend. Das Orchester kennt das Werk natürlich und versuchte das Beste aus der Sache zu machen. Sehr gut der Chor, der offenbar glücklich war, endlich wieder eine grosse Aufgabe in einer Premiere zu haben, nachdem man ja im „Onegin“ aus nicht wirklich nachvollzierhbaren Gründen auf ihn verzichtet hat.

Nun haben wir also eine „neue“ Carmen. Wir weden mit ihr zu leben lernen.

Heinrich Schramm-Schiessl

 

 

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