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WIEN/ Staatsoper: CARMEN – eine gute Besetzung muss nicht immer die richtige sein

WIEN / Staatsoper: „CARMEN“ – 09.09.2022 –

Eine gute Besetzung muss nicht immer die richtige Besetzung sein

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Slavka Zámečníková, Elina Garanca, Maria Nazarova, Piotr Beczala und Isabel Signoret. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

 Bereits im Vorspiel zum 1. Akt konnte man mit Freuden feststellen, dass das Orchester der Wiener Staatsoper wieder auf bekannt hohem Niveau spielte, die wenig zufriedenstellende Leistung des Orchesters in der ersten „Bohème“-Vorstellung hat man da schon längst wieder vergessen. Und das Orchester hielt das hohe Niveau fast den ganzen Abend über durch, nur vor dem Schlussduett Carmen – Don José gab es einige Patzer und Ungenauigkeiten bei den Holzbläsern. Ebenso erfreulich ist die Rückkehr von Yves Abel an das Pult der Wiener Staatsoper nach 9 Jahren Abwesenheit. Der kanadische Dirigent bringt Bizets Partitur mit flotten Tempi zum Erblühen und ist – niemals zu laut – den Sängern auf der Bühne ein aufmerksamer Partner. Die Koordination mit der Bühne und dem stimmstarken Chor der Wiener Staatsoper (inklusive Kinderchor der Opernschule der Staatsoper) funktionierte einwandfrei.

Vokaler Höhepunkt der Aufführung war Piotr Beczała als Don José. Er begeistert mit seiner guten Technik, schöner Phrasierung und strahlenden Spitzentönen. Die große Bandbreite zwischen betörend schönen Piani und kraftvollen Stentortönen in den Eifersuchtsszenen ist schon beeindruckend. Wie er die Phrase „Et j’étais une chose à toi“ am Ende der Blumenarie in zartestem Pianissimo singt – das macht ihm kein anderer Tenor nach. Bravo! Da er in der Premiere für den erkrankten Charles Castronovo eingesprungen war, konnte er die Partie mit dem Regisseur erarbeiten, wodurch er hier auch darstellerisch glaubwürdig ist. 

Slávka Zámečníková war mit ihrem klaren, glockenreinen Sopran eine gute Micaëla, die in dieser Inszenierung nicht die sympathische Lichtfigur sein darf wie in anderen Produktionen. Ich glaube kaum, dass Ileana Cotrubas oder Mirella Freni (die beiden waren die besten zwei Sängerinnen, die ich live als Micaëla erleben durfte) in dieser Produktion aufgetreten wären.  

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Roberto Tagliavini. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Roberto Tagliavini hat zwar alle Töne für den Escamillo, aber er überzeugt weder stimmlich noch darstellerisch. Obwohl er in dieser Inszenierung bereits mehrmals (in Paris) aufgetreten ist, glaubt man ihm weder den Womanizer noch den erfolgreichen Torero, im Gegensatz etwa zu Erwin Schrott, der in der Zusatzvorstellung am 14. September singen wird.

Zufriedenstellend waren Ilja Kazakov als Zuniga, Stefan Astakhov als Moralès, Carlos Osuna als Remendado und Michael Arivony als Dancaïre.

Die Sommergrippe, mit der sich Elīna Garanča noch in der ersten Vorstellung dieser Aufführungsserie entschuldigen ließ, scheint bereits überwunden zu sein. Ihre Stimme klingt heute viel voller, dunkler, dramatischer als 2013 bei ihrem Wiener Rollendebüt. Stimmlich ist sie heute wohl die beste Interpretin der Carmen. Aber sie konnte keine Sekunde lang glaubhaft die Carmen, die sich Regisseur Calixto Bieito erdacht hat, darstellen. Die Inszenierung spielt im Hurenmilieu und betont vor allem das Elend der Protagonisten und die Brutalität der sie umgebenden Gesellschaft. Während Maria Nazarova (Frasquita) und Isabel Signoret (Mercédès) überaus glaubwürdig als Nutten auftraten, gelang das Elīna Garanča in keinem Moment. Selbst wenn sie die Blume zwischen ihren Beinen durchzieht, bevor sie sie Don José entgegenwirft, wirkt das bei Garanča gekünstelt und nicht überzeugend. Sie wirkte den ganzen Abend lang wie im falschen Stück. Sie wäre bestimmt in einer traditionellen Inszenierung viel überzeugender, wie in der Zeffirelli-Inszenierung in der Arena von Verona, die man vor ein paar Tagen im TV mit ihr sehen konnte. Nun rächt es sich bitter, dass die Wiener Staatsoper die wunderschöne hauseigene Zeffirelli-Inszenierung verschrotten ließ und stattdessen diese ebenfalls nicht mehr ganz neue Version von Bieito ins Repertoire genommen hat. Bis jetzt konnte nur Anita Rachvelishvili in dieser Produktion überzeugen, alle nachfolgenden Sängerinnen konnten das nicht glaubhaft umsetzen. Und somit war auch heute eine sehr gute Besetzung der Titelrolle dennoch die falsche Besetzung.

Ich glaube jedoch, dass das Buh nach dem „chanson des bohémiens“ (ich schreibe das auf Französisch um nicht das Z-Wort zu verwenden, das dann wieder Anlass zu Diskussionen führen könnte) im 2. Akt nicht ihr sondern den drastischen Sexszenen gegolten hat.

Die Wiener Staatsoper sollte jedenfalls diese Produktion nur ansetzen, wenn Anita Rachvelishvili (oder eine andere Sängerin mit überzeugender Darstellungsfähigkeit) zur Verfügung steht.

Walter Nowotny

 

 

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