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WIEN/ Staatsoper: CARMEN – die zweite Vorstellung

Eigenwillige Einzelleistungen in einem soliden Ensemble

10.09.2018 | Oper


Anita Hartig/ Micaela. Copyright: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

WIEN/Staatsoper: CARMEN

Eigenwillige Einzelleistungen in einem soliden Ensemble

9.9.2018

Von Manfred A. Schmid

Mit einer Ausnahme gab es beim zweiten Durchgang die gleiche Besetzung wie in der vorangegangenen Aufführung der Carmen zum Saisonstart: Nur die bewährte Einspringerin Ileana Tonca (zuletzt Ende der vergangenen Saison im „Freischütz“ für Daniela Fally als Ännchen eingesprungen) sang die Frasquita und machte wiederum einen tadellosen Eindruck, wie überhaupt in den Nebenrollen – das sind weiters noch Margaret Plummer als Mercedes, Orhan Yildiz als Morales, Carlos Osuna als Remendado, Manuel Walser als Dancairo und Hacik Bayvertian als Lillas Pastia – durchwegs zufriedenstellende bis gute Leistungen zu bewundern waren. In dieser Aufzählung fehlt allerdings einer:  Zuniga. Diesen singt Sorin Coliban so gut er kann. Der Staatsopernchor hingegen singt verlässlich wie immer.

Den bei weiten größten Szenenapplaus des Abends erhielt zu Recht Anita Hartig, die mit ihrer fein timbrierten Stimme eine von Herzen kommende Wärme ausstrahlt und so eine mit Aufrichtigkeit, Treue und Zuversicht ausgestattete Micaela porträtiert, mit der man gerne mitfühlen und mithoffen kann. Ihre Schlussarie, in der sie Gott um Hilfe anruft, allen Mut zusammennimmt und um José und ein gemeinsames Glück zum kämpfen bereit ist, gelingt ihr ergreifend schön. Es spricht für das kundige Wiener Publikum, dass es diesen einsamen Höhepunkt als solchen erkannt und bejubelt hat und sich nicht allein von den „großen Namen“ blenden ließ.

Erwin Schrott erhielt bei seinen beiden großen Auftritten den zweitstärksten Beifall. Nicht ganz verdient allerdings, denn er versucht als Escamillo mit Gewalt den eher unmöglichen Spagat zwischen markant-markigem Macho-Gehabe und Super-Lässigkeit – das nennt man heute wohl Coolness – zu vollbringen. Dabei ergeht es ihm stimmlich und gestalterisch wie dem sprichwörtlichen Mann, der vor lauter Stärke dann kaum noch gehen (singen) kann. Seiner Toreador-Arie klang eher schlampig phrasiert und neigte zu gefährlich schwankender Intonation, dazu kam noch ein so hochnäselndes Französisch, dass es fast wie eine Parodie klang. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Partitur und den Anforderungen dieser Partie sieht anders aus und hört sich anders an. Wenn er aus dem Hintergrund sang und nicht zu sehen war, war es erträglicher.

Carmen, Clémentine Margaine, bereits total dem prominenten Stierkämpfer und Charmeur verfallen: Erwin Schrott (Foto (C) M.Pöhn-WSO)

Clémentine Margain, die in der Titelpartie in Wien erstmals dabei ist, führte sich mit einer sehr ordentlichen, wenn auch nachhaltig nicht sehr beeindruckenden Habanera ein und überraschte dann sogleich mit einer recht eigenwillig interpretierten Sevillana, bei der man schon die Ohren spitzen konnte. Leider fehlt es ihrem gefälligen Mezzo dabei an der in diesem Stück besonders stark geforderten Tiefe. Und das Staatsopernorchester unter der Leitung von Fréderic Chaslin deckte sie bei diesen Stellen ziemlich unsensibel zu. An temperamentvoller Beweglichkeit, tänzerischen und so gekonnt wie koketten Einlagen mangelt es ihr nicht, aber verführerische Erotik ist ihre Sache wohl nicht. Insgesamt kann man mit ihrer Darbietung aber dennoch recht gut leben.

Der Don José von Marcelo Alvarez ist ein ähnlich gelagerter Fall. Gut, aber steigerungsfähig. Er braucht einige Zeit, bis er seinen kraftvollen Tenor zur Entfaltung bringt und in der Schlussszene, in der tödlich endenden Auseinandersetzung mit Carmen, einen starken Eindruck hinterlässt. Schon in der Blumenarie zuvor hat er allerdings gezeigt, dass er den Kern dieser tragischen Figur erfasst hat und dass er diese Erkenntnis auch in seine Gestaltung einfließen lässt. Das Ganze ist ja eine sich langsam herantastende Liebeserklärung. Doch wenn er sich letztendlich zur Beteuerung „Carmen, je t´aime“ durchringt, ist das keineswegs ein strahlendes Bekenntnis, sondern klingt eher ein wenig verzagt. Da schwingt so Vieles mit: die Angst vor der Zukunft, vor der dämonischen Macht Carmens und ihres unbändigen Freiheitswillens, der das vor programmierte Scheitern einer Liebesbeziehung schon ins sich trägt. Nicht zuletzt auch die Scham, gegen besseres Wissen die aufrichtige Zuneigung Micaelas zurückgestoßen und sich auf eine höchst suspekte und unsichere Beziehung eingelassen zu haben. Vom Verrat an der Mutter ganz zu schweigen.

Angst ist überhaupt der Schlüssel zu diesem Werk. Micaela hat Angst vor Carmen, die sie als „schön und gefährlich“ empfindet, und davor, ihren geliebten José an sie zu verlieren. Carmen hat Angst vor einer zu engen Bindung, weil diese ihrem unbändigen Freiheitswillen entgegensteht. „Sie liebt nie lange“, meint daher einer der Schmuggler über sie und fasst damit ihr Dilemma treffend zusammen. José hat Angst vor der Frau, die er liebt, obwohl er schon früh erkennt, dass sie ein „Dämon“ und ein „Teufel“ ist, wie er sagt. Nur Escamillo kennt – schon von Berufswegen – keine Angst. Für ihn ist die Beziehung zu Carmen, die er zwar, wie er bekennt, „bis zum Wahnsinn“ liebt- sie sagt das übrigens auch, sowohl über José als auch über Escamillo – von Vornherein nur eine Episode mit Ablaufdatum.

Ein Wort noch zur Ausstattung: Die jahrzehntealte Zefirelli-Inszenierung wirkt tatsächlich schon recht unbekömmlich. Das liegt auch an der Monumentalität des Bühnenbildes – die Kaserne der Gendarmen/Soldaten ist z.B. so wuchtig, dass sie in die Aida besser passen würde nach Sevilla. Und die großen Massenszenen mit den vielen Nebenschauplätzen, wo es immer wuselt und so pausenlos für unnötige Ablenkung gesorgt wird, sind recht unerträglich. Das fällt bei der ebenfalls noch auf dem Spielplan stehenden Zefirelli-Inszenierung samt Bühnenbild von Puccinis La Boheme – schon wegen des intimeren Rahmens im ersten und letzten Akt – nicht so sehr ins Gewicht. Zudem ist bei der Carmen über die Jahre die Personenführung ziemlich abhandengekommen. Die oft von außen kommenden Besetzungen der Hauptrollen bringen dann das mit, was sie sich aus zahlreichen anderen Inszenierungen verinnerlicht haben. Das ist zwar manchmal recht reizvoll und sorgt für Abwechslung, spricht aber nicht dagegen, es besser doch mit einer Neuproduktion zu versuchen. Da kommt Einiges auf den nächsten Staatsoperndirektor zu. Und wehe, er denkt dabei auch an die noch verbliebenen und legendären Schenk-Inszenierungen wie Fidelio, Rosenkavalier und Meistersinger. Das würde dann wohl nicht ohne wütende Proteste und allgemeines Geheule abgehen.

Manfred A. Schmid

 

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