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WIEN/ Staatsoper: CARMEN

WIEN / Staatsoper: „CARMEN“  –   08.04.2022

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Anna Goryachova, Vittorio Grigolo. Copyright: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

 Als die Inszenierung von Calixto Bieito an der Wiener Staatsoper am 21. Februar 2021 (Corona-bedingt ohne Publikum nur als gestreamte und im TV ausgestrahlte Vorstellung) Premiere hatte, war sie für mich nicht neu. Ich hatte sie bereits viele Jahre zuvor am Gran Teatre del Liceu in Barcelona gesehen. Die Inszenierung betont vor allem das Elend der Protagonisten und die Brutalität der sie umgebenden Gesellschaft. Darin unterscheidet sie sich extrem von der Vorgängerproduktion, die uns in ein Bilderbuch-Sevilla entführte. Allerdings muss ich hier schon festhalten, dass ich mir die Zeffirelli-Produktion unendlich oft ansehen konnte und immer wieder von der dort geschilderten Atmosphäre begeistert war, während mich die Bieito-Inszenierung nun bereits beim vierten Mal gelangweilt hat, vor allem weil es der Wiener Staatsoper wieder nicht gelungen ist eine überzeugende Interpretin der Titelpartie zu finden. Leider musste man feststellen, dass in den bisher 13 Vorstellungen an der Staatsoper nur ein einziges Mal eine gute Carmen aufgeboten wurde, nämlich Anita Rachvelishvili in der Premiere. Alle nachfolgenden Sängerinnen überzeugten wenig bis gar nicht.

In letztere Kategorie fällt nun leider auch Anna Goryachova. Ich habe die russische Mezzosopranistin bereits 2018 an der Covent Garden Opera in London als Carmen gesehen. Bereits dort hat sie mich nicht beeindruckt; allerdings führte ich das damals auf die katastrophale Barrie Kosky-Inszenierung zurück. Aber auch hier in der Bieito-Inszenierung fesselt sie den Besucher keine Sekunde lang. Dazu kommt noch, dass sie auch stimmlich mit der Partie völlig überfordert ist. Sie besitzt eine sehr schöne Tiefe, aber zugleich auch eine eher kleine Stimme. Deshalb muss sie in den Höhen, vor allem in den dramatischeren Passagen, stark forcieren, wodurch ihre Stimme schrill und scharf klingt und manchmal sogar bedrohlich scheppert. Auch die Intonation leidet dann darunter. Das ist sehr bedauerlich, denn als Olga und als Cenerentola hinterließ sie in Wien einen sehr guten Eindruck. Sie wäre bestimmt eine gute Besetzung für die Mercédès, aber bestimmt nicht für die Titelpartie. Nicht jedes gute Aschenputtel ist auch eine gute Carmen. Aber sie möge sich trösten, auch viel prominentere Sängerinnen sind an der Carmen gescheitert.

Da ihm eine gleichwertige Partnerin fehlte, hatte es Vittorio Grigolo als Don José schwer. Er ist ein überzeugender, liebender, leidender, eifersüchtiger Macho – ganz im Gegenteil zu dem Muttersöhnchen, das etwa seinerzeit José Carreras oder Luis Lima verkörperten. Und stimmlich gibt Grigolo alles, singt ohne Rücksicht auf Verluste. In der finalen Auseinandersetzung wirkt er so bedrohlich „echt“, dass man fast um das Leben seiner Partnerin fürchten muss. Nicht auszudenken wie spannend der Abend hätte verlaufen können, wäre ihm eine Carmen-Interpretin auf Augenhöhe gegenübergestanden.

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Alexander Vinogradov. Copyright: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Der russische Bassist Alexander Vinogradov ist einer der wenigen Sänger, der sowohl die Tiefen als auch die Höhen des Escamillo mühelos bewältigt und über genügend Stimmvolumen verfügt. Darüber hinaus besitzt er auch die erforderliche Macho-Ausstrahlung für den Stierkämpfer. Der Kampf zwischen Don José und Escamillo hätte in diesem Fall eigentlich zu einem szenischen Höhepunkt werden können, aber leider dürfen die beiden Sänger in dieser Inszenierung nur über die Autodächer Fangenspielen – einfach lächerlich.

Erstmals zu Gast an der Wiener Staatsoper ist die ukrainische Sopranistin Olga Kulchynska als Micaela. Mit ihrer hübschen Stimme und berührendem Ausdruck beeindruckte sie nicht nur in ihrer Arie im dritten Akt.

Sehr gut waren auch die beiden anderen Soldaten (Peter Kellner als Zuniga und Martin Häßler als Moralès), zufriedenstellend die übrige Partien (Ileana Tonca als Frasquita, Isabel Signoret als Mercédès, Carlos Osuna als Remendado, Michael Arivony als Dancaïre) besetzt.

Homogen und stimmstark der Chor der Wiener Staatsoper. Ebenfalls nicht neu für mich war der argentinische Dirigent Alejo Pérez, der nun erstmals am Pult der Staatsoper stand. Ich habe ihn schon öfters an der Opéra de Lyon und bei den Salzburger Festspielen erlebt. Mit klarer und eleganter Zeichengebung leitete er das gut disponierte Orchester der Wiener Staatsoper. Sehr erfreulich war, dass er – im Gegensatz zu vielen anderen neuen Dirigenten – nicht zu laut aufspielen ließ und daher auch die Sänger nicht zudeckte. Nur mit dem Kinderchor hätten zusätzliche Proben nicht geschadet – da war man sich in den Tempi nicht einig.

Beim Schlussapplaus auf offener Bühne erschien dann Olga Kulchynska mit einer blau-gelben ukrainischen Fahne und umarmte ihre russische Kollegin ganz herzlich. Politiker sollten sich an Künstlern ein Vorbild nehmen. Vielleicht wären ja Künstler sogar die besseren Politiker? Aber diese Frage mögen andere beantworten.

Walter Nowotny

 

 

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