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WIEN/ Staatsoper: ARMIDE – im Irrgarten der Gefühle

20.10.2016 | Oper

Wiener Staatsoper

IM IRRGARTEN DER GEFÜHLE: GLUCK’S „ARMIDE“ ÜBERZEUGT VOR ALLEM MUSIKALISCH (19.10.2016)

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Gaelle Arquez. Copyright: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

1.Reprise von Christoph Willibalds Gluck’s „Armide“ in der französischen Originalfassung: leere Plätze im Parkett und am  Galerie-Stehplatz, trotz Last-Minute-Angeboten für Spätentschlossene, zuletzt „netter“ Applaus für das Ensemble und verhaltener Jubel für die Protagonisten– Dominique Meyer wird sich daran gewöhnen müssen, dass Wien alles andere als eine „Hochburg“ für Barock-Opern ist. Immerhin  – die musikalische Qualität der modernen Realisierung einer 1777 in Paris uraufgeführten Oper (Text : Phillippe  Quinault) ist hochkarätig. Sowohl der Dirigent der „Armide“ – Marc Minkowski – und seine „Les Musiciens du Louvre“ sind ein Glücksfall, denn sie entlarven die Partitur von Werken wie „Armide“ als Vorboten von Entwicklungen , die zu Beethoven, Verdi und Wagner führen werden .Über den Regisseur Ivan Alexandre und seinen Ausstatter Pierre-André Weitz gehen die Meinungen auseinander – übrigens auch bei den Kritikern. Wieder einmal wird die Welt als Labyrinth und „Irrgarten“ entlarvt. Zweifellos eine kostspielige Angelegenheit für wenige Vorstellungen! Die Besetzung der Hauptrollen wurde zudem echten Staatsopern-„Neulingen“ anvertraut, die zwar bald Publikums-Lieblinge sein könnten, aber zur Zeit nur Spezialisten ein Begriff sind. Sowohl  die französische Mezzo-Sopranistin Gaelle Arquez in der Titelrolle als auch ihr Landsmann Stanislas de Barbeyrac als Renaud  – wie Rinaldo bei Gluck heißt – singen ihre Rollen mit schönen Stimmen, viel Musikalität und doch einer gewissen  „edlen Zurückhaltung“. Im Wettstreit der Gefühle gibt es jedoch vokal kaum echte  Ausbrüche –  das Donnergrollen eines Vulkans ist  nur im Orchester zu vernehmen. Man spielt übrigens – wie könnte es anders sein- natürlich auf Original-Instrumenten samt tieferer Stimmung. Ansonsten werden die großen Emotionen etwas plakativ in Belcanto-Qualität geliefert und verstärken den Eindruck, dass „Armide“ keine Oper sondern eine spätbarocke Allegorie ist. Die Handlung der „Armide“ konnte Gluck zu seiner Zeit als bekannt voraussetzen. Von Lully über Händel, Graun, Salieri bis Jomelli reicht der Bogen der „Armida“-Vertonungen vor Gluck,  nach ihm lieferten Haydn, Rossini und Dvorak Opern über die Liebesgeschichte zwischen der Zauberin Armida und dem Kreuzritter Rinaldo. Die Originalvorlage stammt immerhin von Torquato Tasso und dessen 1575 niedergeschriebenen Epos „Das befreite Jerusalem“ und übte offenbar  Jahrhunderte lang eine große Anziehungskraft auf Komponisten aus. Es ist das Wechselbad zwischen Liebe und besitzergreifender Eifersucht, das Kippen von Liebe in Hass, die Ambivalenz von Zuneigung und Zorn, die Flucht vor der Bindung: kurzum  es sind die Abgründe der Gefühle, die zu so vielen Versionen eines relativ simplen Sagen-Motivs geführt hat. Doch in dem „Wie“ – da liegt der ganze Unterschied… heiß es im „Rosenkavalier“. Und Christoph Willibald Gluck, der zwischen Wien und Paris pendelte als er seine „Armide“ schrieb, hat sich gar nicht bemüht, eine echte Oper wie beim „Orpheus“ zu schaffen. Der „Reformator des Musiktheaters“ begnügte sich bei „Armide“ mit einer spätbarocken Allegorie. Da treten auf – der Hass, die Titelheldin verkörpert die Liebe und Rinaud entscheidet sich zuletzt für den Ruhm als Feldherr. Die Rahmenhandlung ist reduziert, als Chor fungiert der Gustav-Mahler-Chor (die Staatsoper absolviert ja gerade ein Japan-Gastspiel) und dazu kommen noch pantomimische „Knabenträume“ (Choreographie Jean Renshaw), die eher zu „Tod in Venedig“ passen würden als zu Liebesspielen einer Zauberin, die im Auftrag der Muslimen mit allen Mitteln vergeblich versucht, den Kreuzritter von seinem Vorhaben – der Befreiung Jerusalems – abzubringen. Doch wie gesagt, die Regie liefert  raffinierte, aufwendige  Gittergestänge, Kostüme wie bei einer Modell-Schau und ein großes Bett, in dem einmal Armide dann wieder die Jünglinge – sozusagen als Begleiter im Eros-Center –  Platz nehmen.

Die Liste der Mitwirkenden ist lange. In echten Nebenrollen bewähren sich der norwegische Tenor Bror Magnus Todenes (von ihm würde man sich Belmonte wünschen) als Artemidore, der spanische Ensemble-Bariton Gabriel Bermudez  gefällt als Ubaldo, Olga Bezsmertna als seelenvolle Phénice und Hila Fahima als innige Sidonie. Stephanie Houtzeel als Hass – hier wäre eine hochdramatische Stimme von Nöten. Rau und laut poltert hingegen Paolo Rumetz als Hidraot. Mihail Dogotari ist ein adäquater Aronte. Man darf gespannt sein, wie lange sich „Armide“ im Repertoire halten wird…

Peter Dusek

 

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