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WIEN/ Staatsoper: ARIODANTE von G.F.Händel. Wiederaufnahme

„Welch endlos Tönegeleis‘!“

09.11.2019 | Oper


Stephanie Houtzeel. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

WIEN/Staatsoper: „ARIODANTE“ von Georg Friedrich Händel – Wiederaufnahme

„Welch endlos Tönegeleis‘!“

8.11. 2019 – Karl Masek

Die Erstaufführung an der Wiener Staatsoper (Premiere: 24. Februar 2018) war das, was man einen großen Publikumserfolg nennt. Ein Barock-Meisterensemble (Les Arts Florissants), ein Großmeister der Alten Musik (William Christie) am Pult, der auch den überlangen Arien, selbst den ausufernden Dacapi Innenspannung gab. So war damals der Höreindruck.  Eine gediegene Inszenierung (David McVicar), die Barock Barock sein ließ und nichts auf „heutig“ umdeutete, eine ansehnliche Bühnenlandschaft (Vicky Mortimer). Stürmischer Jubel für einen spannenden Barockopernabend.

Seltsam, dass die „6. Aufführung in dieser Inszenierung“, 21 Monate später,  über weite Strecken zäh anmutete. Woran mochte das liegen? Am anderen Orchester? Diesfalls war es Les Talens Lyriques.  In Wien durch Gastspiele , u.a. im Theater an der Wien mit Purcell und im Haus am Ring mit Gluck inzwischen altbekannt und geschätzt. Schönes, seidiges Musizieren. Und doch verfestigte sich mit Fortdauer des überlangen Abends (4 Stunden 15 Minuten) der Eindruck, Christophe Rousset ließ mit „angezogener Handbremse“ spielen. An der teilweise neuen Besetzung? Außer Chen Reiss und Hila Fahima gaben alle ihr Rollendebüt an der Wiener Staatsoper. Und wie Tags zuvor in der „Weiden“-Wiederaufnahme schien zeitweilig gegenüber der Premierenserie Luft nach oben zu bleiben, was die Innenspannung anlangte. An der schlicht gestrickten Handlung?  (Es ist ja eigentlich  fast eine Nicht-Handlung), die doch ziemlich einförmig Arie an Arie aneinanderreiht. Kaum Rezitative, auch der Chor wird nur sparsam eingesetzt. Der Gustav Mahler Chor zieht sich mehr als achtbar aus der Affäre.

Ein Liebespaar (Ariodante und die Königstochter Ginevra) wird durch perfide Intrigen des bösen  Polinesso, der ebenso wie Ariodante König von Schottland werden will, auseinandergebracht.  Williges Werkzeug dabei ist Dalinda, die in Verkleidung die untreue Ginevra mimt. Bis zum Lieto fine und der Wahrheitsfindung der Unschuld Ginevras und der Ermordung des Bösewichts durch Ariodantes Bruder Lurcanio dauert es bis 22:45 Uhr (Beginn der Vorstellung: 18:30).


Peter Kellner, Stephanie Houtzeel. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Dabei gibt es einige sehr schöne Stimmen zu hören. An der Spitze der mehrfach preisgekrönte junge kanadische Tenor Josh Lovell. Er ließ bereits in der Premiere von „A Midsummer Nights Dream“ aufhorchen  und überzeugte als schöntimbrierter lyrischer Tenor mit sanften Farben, lyrischem Schmelz, Höhensicherheit  und ergiebiger Mittellage als Lurciano. Mit der eher tiefliegenden Tenorpartie hat er nicht das geringste Problem. Das ebenfalls neue Ensemblemitglied Peter Kellner war mit kernigem, nobel grundiertem Bassbariton, den er gekonnt auf „alt“ färbte, ein markanter, schönstimmiger Il Re di Scozia. Schließlich an dritter Stelle in der „Kritikergunst“ an diesem Abend  Stephanie Houtzeel in der Titelpartie. Nicht leicht, in die sängerischen Fußstapfen der Sarah Connolly zu steigen. Houtzeel tat dies sehr respektabel. Bühnenpräsenz, optische Glaubwürdigkeit und intensiven, dramatischen Ausdruck muss man ihr zugestehen. Die große Arie „Scherza infida“ hatte den Schmerzensgestus, der alle Formelhaftigkeit eines konventionellen Arienablaufs hinwegfegt.

Chen Reiss konnte als Ginevra die eindrucksvolle Premierenleistung von 2018 bestätigen. Hila Fahima konnte mit angestrengter Tongebung und überfordert klingenden Koloraturen nicht auf Augenhöhe anschließen.

Blass, insgesamt enttäuschend Max Emanuel Cenčic als Intrigant Polinesso. Kehlig klang sein Countertenor, monochrom die Stimmfarbe. Und die größte Überraschung: Er war so überhaupt nicht böse! Carlos Osuna war der verlässliche Odoardo.

Das Wiener Staatsballett war für die barocken (Ausdrucks)Tanzeinlagen mit Engagement bei der Sache.

Wie das manchmal bei Barockopern so ist: Ungestrichen wirken sie sie durch ausufernde Dacapi und den Ziergesang, der dann emotionale Dringlichkeit verliert, ziemlich langatmig. Um Walther von Stolzing zu zitieren: „Welch endlos Tönegeleis!“ Händel hin, Händel her: Man sollte sich schon trauen, auch ein bisschen zu streichen.

Während der Aufführung geizte das Publikum mit Szenenapplaus. Am Ende kurzer, aber stürmischer Jubel samt Pfiffen, was nach Theater an der Wien klang. Da sind etliche Barock-Afficionados für diese Aufführung vom Naschmarkt an den Ring übersiedelt. Ein paar schüchterne Buhs für Cenčic und Fahima.

Karl Masek

 

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