WIEN / Staatsoper: ARIADNE AUF NAXOS
34. Aufführung in dieser Inszenierung
21. Jänner 2023
Von Manfred A. Schmid
„Unerläßlich ist die Andeutung, daß hier ein Spiel im Spiele, eine Bühne auf der Bühne gemeint sei. Diese kann erfolgen durch ein eingebautes Proszenium als Bühnenrahmen mit vergitterten Logen sowie ein paar Statisten: auch drei im Stil des XVIII. Jahrhunderts in die heroische Bühne hineinhängende Kronleuchter werden zu dieser Illusion beitragen, die jeweils von dem Regisseur auch auf anderem Wege erzielt werden kann.“ Sven-Eric Bechtolf hat sich in seiner Inszenierung von Ariadne auf Naxos aus dem Jahr 2012 ziemlich genau an diese Anweisung des Librettisten Hugo von Hofmannsthal gehalten. Die Bühne spiegelt tatsächlich den Zuschauerraum der Staatsoper wider: Im Hintergrund ragen ein paar mit barocken Stühlen bestückte Stufen in die Höhe, wo die nicht gerade zahlreich erschienenen Gäste Platz nehmen, die der adelige Gastgeber zur Erstaufführung einer von ihm beauftragten tragischen Oper mit darauffolgender kurzweiliger Unterhaltung durch eine burleske Commedia dell’arte-Truppe und einem Feuerwerk zum krönenden Abschluss in seinen Palast eingeladen hat. Nur gibt es statt der von Hofmannsthal empfohlenen drei Kornleuchter insgesamt fünf Luster, die Bühnenbildner Rolf Glittenberg allerdings erst im Finale der griechischen Tragödie, die mit einem Liebeszauber endet, herunterfahren lässt, um das Glück der von Bacchus wieder ins Leben geküssten Ariadne in hellem Glanz versöhnlich erstrahlen zu lassen.
Im Vorspiel zur Aufführung erlebt man die im Palast eintreffende Künstlerschar, die erst jetzt davon in Kenntnis gesetzt wird, dass der Auftragsgeber neben der Tragödie auch eine Komödie aufführen lassen will. Der Komponist – eine von einer Frau gesungenen Hosenrolle – zeigt sich ebenso entsetzt über diese Zumutung wie die gekränkte Diva, die die Ariadne spielen wird. Dem Musiklehrer ist es eben erst gelungen, die erregten Gemüter einigermaßen zu beruhigen, da eröffnet der blasierte Haushofmeister den Künstlern die nächste Katastrophe: Es sei nun der endgültige Wunsch seines Herrn, dass die Tragödie und die Komödie gleichzeitig gespielt werden müssten…
Dass diese unerhörte Konstellation schließlich doch und höchst vergnüglich über die Bühne gehen wird, ist dem Genie von Richard Strauss und seinem kongenialen Textdichter zu verdanken. Indem Hofmannsthal eine sich zart entspinnende Liebesbeziehung zwischen dem Komponisten und der Komödiantin Zerbinetta einführt, erscheint die unmögliche Zusammenarbeit zwischen den zwei unversöhnlichen Welten – U- und E-Musik – doch irgendwie plausibel und machbar.
Die ausgewogene Personenführung Bechtolfs kommt den Intentionen dieser burlesken Tragikomödie sehr entgegen. Bewundernswert, wie es ihm gelingt, den Komponisten auch später noch präsent in die Handlung einzubeziehen: Er begleitet Zerbinetta an einem der beiden die Bühne im Ariadne-Teil dominierenden, ziemlich derangierten Konzertflügeln und schreibt weiterhin an der sich ständig ändernden Oper: Ein work in progress. Auch der Tanzlehrer und der Musiklehrer absolvieren bei Bechtolf noch kurze Auftritte, was so im Libretto eigentlich nicht vorgesehen ist, aber keinesfalls schadet, sondern das Vorspiel und die eigentliche Oper sinnvoll verlinkt.
Es gehört zur Bühnentradition, dass die das Vorspiel prägende Sprechrolle des arroganten Haushofmeisters von einem berühmten Schauspieler gestaltet wird. Burgschauspieler wird diesmal keiner aufgeboten, aber immerhin ein Kammersänger: Hans Peter Kammerer, der seine Sache gut macht, an den unvergessenen Peter Matic aber erwartungsgemäß nicht heranreichen kann.
Großartig in seiner kalmierenden, hilfreich beratenden Funktion ist dafür der wortdeutliche und wohlklingende Musiklehrer von Adrian Eröd, aber auch der geziert durch die Gegend flitzende Tanzlehrer von Norbert Ernst.
Krassimira Stoyanova ist im Vorspiel eine Primadonna mit Diva-Allüren, in der Oper dann eine zutiefst enttäuschte, den Tod herbeisehende Ariadne, die sich von der Welt zurückgezogen hat und in Einsamkeit versinkt. Ihr farbiger Sopran lotet in den Monologen die nuancenreiche Stimmungslage Ariadnes aus und verleiht ihren verletzten Gefühlen beredten Ausdruck. Trauer, nahe an der Verzweiflung, aber niemals hysterisch, sondern mit bewundernswerter Gelassenheit und Ruhe. Vor allem aber von bezwingender stimmlicher Schönheit, auch in den schwierigsten Passagen dieser fordernden Rolle. Bemerkenswert der Umstand, dass sich bei ihren Auftritten der Maestro Suggeritore Mario Pasquariello offenbar besonders ins Zeug legt und von der Galerie aus seine Handbewegungen deutlich zu sehen sind. Und das, obwohl Stoyanova mit Bechtolfs Inszenierung bestens vertraut sein sollte, da sie ja bereits die Premierenbesetzung der Ariadne war. Beim Schlussapplaus bedankt sich Stoyanova jedenfalls ausdrücklich und beugt sich zu ihm hinunter.
Mit großen Erwartungen befrachtet ist Daniel Franks Rollendebüt als Der Tenor/Bacchus. Dieser Sänger hat am Ende der letzten Saison als Einspringer in Der Ring des Nibelungen an der Staatsoper debütiert und sich als Siegmund wie auch als Siegfried recht gut bewähren können. Daniel Frank, der sich davor vor allem an mittleren Bühnen als Heldentenor einen Namen gemacht hat, verfügt über eine angenehme, nicht allzu große, dafür aber warmklingende und stets textdeutliche Stimme. Die zum Start unbarmherzig abverlangten hohen „Circe“-Rufe aus dem Off klingen zunächst noch etwas verhalten, werden dann aber eindringlich und klar. Bei den zarten Passagen wirkt seine Stimme in der Höhenlage etwas dünn, die ausdrucksstarke Mittelstimmlage hingegen überzeugt mit satten Tönen. Stephen Gould ist er (noch) keiner.
Die französisch-zypriotische Sopranistin Sarah Aristidou feierte in Ligetis Le Grande Macabre ihr Hausdebüt und entzückt nun als koloratursichere und darstellerisch einnehmende, quirlige Zerbinetta das Publikum. Ihre Arie „Großmächtige Prinzessin“ wird zu Recht mit Applaus bedacht. Aristidous Zerbinetta ist kein oberflächliches Geschöpf, sondern offenbart ihre dunkle Seite und bemüht und sorgt sich sehr um Ariadnes Wohlbefinden. So entsteht der Eindruck, dass zwischen beiden eine seelische Verbindung besteht oder zumindest in Entstehung begriffen ist.
Die aus Irland stammende Sopranistin Tara Erraught ist ein energischer, selbstbewusster Komponist, der die Liebe zu entdecken beginnt und dabei erkennen muss, dass es neben der „heiligen Kunst“ der Musik im Leben noch andere Dinge zu entdecken gibt.
Die männlichen Nebenfiguren sind mit bewährten, spielfreudigen und auch gesanglich gefälligen Kräften aus dem Haus besetzt. Clemens Unterreiner, Carlos Osuma, Ilja Kazakov und Hiroshi Amako agieren frohgemut als Komödianten rund um Zerbinetta und müssen zur Kenntnis nehmen, dass sich ihre Angebetete immer mehr für den Komponisten zu interessieren beginnt.
Das Ariadne begleitende Terzett kann neben Maria Nazarova als Najade mit zwei Rollendebütantinnen aufwarten: Christina Bock (Dryade) aus dem Ensemble und Jenni Hietala (Echo) aus dem Opernstudio. Ihr romantisch-melodienseliges Terzett hinterlässt einen nachhaltigen Eindruck.
Mit Michael Boder ist ein umsichtiger und erfahrener musikalischer Leiter am Werk, der die feine, kammermusikalisch instrumentierte Musik wunderbar transparent zum Klingen bringt und dabei stets ein helles Gehör für die Sängerinnen und Sänger auf der Bühne hat. Boder hat auch Sinn für Witz und Humor und keine Angst vor Momente voll von enfesseltem Klangrausch und ist daher geradezu deal für diese einzigartige, wundersame Oper.
Kurzer, aber heftiger Applaus im leider nicht ausverkauften Haus. Dass Ariadne auf Naxos ursprünglich nicht auf dem Spielplan stand und nun statt Medea gespielt wird, ist schon länger bekannt und dürfte somit nicht unbedingt der Grund dafür sein. Was daran erinnern lässt, dass schon die Premiere 2012 unter der Leitung von Franz Welser-Möst merkwürdigerweise nicht ausverkauft war.