Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

WIEN/ Staatsoper: ARABELLA

am Fiakerball in den verrückten „Zwanzigern“

09.02.2019 | Oper


Chen Reiss (Zdenka). Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: „ARABELLA“ – Am Fiakerball in den verrückten „Zwanzigern“

8.2. 2019 – Karl Masek

In der Wiener Staatsoper ist Faschingszeit auch „Arabella“-Zeit. Nach dem Willen des Librettisten Hugo von Hofmannsthal für den zweiten Aufzug: „Vorraum zu einem öffentlichen Ballsaal, prunkvoll im Geschmack der 1860er Jahre…“. Nach dem Inszenierungskonzept des Sven-Eric Bechtolf im Hotel Metropol der ausgehenden 20er Jahre des nächsten Jahrhunderts (der Entstehungszeit der letzten Gemeinschaftsproduktion Strauss/Hofmannsthal). Mitsamt vieler schräger Ballgäste, dem Zeitgeist der verrückten Zwanziger Jahre entsprungen, die einer „Fiakermilli“ (und der Königin des Balles, Arabella) huldigen.

Nicht von allen goutiert, ist diese Inszenierung aus dem Jahr 2006 in der mittlerweile 51. Aufführung eine Regiearbeit, die überdauert hat – und die „im Repertoire funktioniert“, wie man heute sagt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Modernistisches Inszenierungs-Outfit (Bühne: Rolf Glittenberg, Kostüme: Marianne Glittenberg), ohne allzu viel Risiko. Soll nichts Schlimmeres passieren, außer, dass die originale, leibhaftige Alt-Wiener Fiakermilli mit dem Namen Emilie Tureček (warum fällt mir bloß Ernst Hinterberger, der Autor der legendären Fernsehserie „Kaisermühlen-Blues“, ein?) so um das Jahr 1929 40 Jahre nicht mehr am Leben war …

Axel Kober war der Dirigent der aktuellen Aufführungs-Serie. Der Düsseldorfer GMD hat sich mit einem weit mehr als bloß respektablen „Ring“- Dirigat (auch „Hänsel & Gretel“ kam schon sehr gut an!) für weitere Aufgaben im Haus am Ring wärmstens empfohlen. Auch er ist ein Meister – ein Kapell-Meister! – des „Gewusst-wie“. Wie soeben auch Markus Poschner in Linz mit „Elektra“. Kober schafft die waghalsigsten dirigentischen Husaren-Ritte mit Ruhe, Klarheit, Sachlichkeit, Transparenz. Ohne vorherige Orchesterproben! Nebst rein dirigentischer (nämlich schlagtechnischer, aber auch gestalterischer) Souveränität konstatiert man erfreut Theaterinstinkt, das Wissen um all die Gesetze (und damit Voraussetzungen) einer erstklassigen Musik-Theateraufführung. Das Wissen um all das , was Sänger auf der Bühne brauchen . Der deckt keinen Sänger zu, dreht aber mächtig auf, wenn es „recht an der Zeit“ ist und Sänger das auch „vertragen“. Die sensitive, leise Seite der „Arabella“-Partitur, das Gefühlvolle – und auch „Gefühlige“! – wird nicht ausgespart. „Aber der Richtige…“ , „Und du wirst mein Gebieter sein…“ kommt mit einer Zärtlichkeit und Innigkeit von der Bühne und aus dem Orchestergraben, dass man sprachliche und sonstige heutzutage belächelte „Unzeitgemäßheiten“ plötzlich völlig ausklammert. Für den großen Hofmannsthal war das damals „heutig“. Nehmen wir es also genau auf diese Weise an! Und: Weltklasse an diesem ganz normalen Repertoire-Abend das Orchester der Wiener Staatsoper!

Das Ensemble konnte sich an diesem Abend unterstützt, geborgen, motiviert, positiv angestachelt,… fühlen. In der Reihenfolge des Programmzettels:

Wolfgang Bankl ist der Stamm-Waldner. Er war schon bei der Premiere dieser Inszenierung dabei. Er hat den authentischen (Alt)-Wienerischen Zungenschlag für den Rittmeister, der durch seine Spielsucht abgehalftert ist bis hin zur vermeintlichen Unausweichlichkeit, keinen zweiten weiblichen Nachwuchs „standesgemäß“ aufwachsen zu lassen. Das Heruntergekommene (mit mühsam erspielter Aufrechterhaltung der gräflichen „Normalität“) spielt er idealtypisch. Eine seiner Leib-und Magenrollen neben dem „Capriccio“-LaRoche!

Ebenbürtig Stephanie Houtzeel als schöne, mondäne, Standesdünkel-hafte, Migräne-affine Gattin Adelaide. Ihr glaubt man zugleich, dass sie sich beim Fiakerball am liebsten den bubenhaften Grafen Dominik krallen würde.

Emily Magee tritt jedenfalls respektabel in die großen Fußstapfen von „Arabella“- Rollenvorgängerinnen. Sprachlich ausgefeilt – die amerikanische Sopranistin macht den Eindruck, sie weiß in jedem Moment, w a s sie da singt, bis hin zum schönbrunnerhaften Dialekt! –. Sie bleibt pointensicher auf subtilste Art, mit schon mehr fraulichen als mädchenhaften Tönen kreiert sie eine überlegene gräfliche Tochter, Sensibilität, Unsicherheit und Sehnsüchte nach „dem Richtigen“ hinter einer kompliziert-kapriziösen, durchaus auch arrogant daherkommenden Attitüde verbergend. Stimmlich? Ja, ein paar Töne im 1.Aufzug kommen mühevoll erarbeitet, weil sozusagen von unten angepeilt. Doch sehr rasch scheint sie freigesungen und offeriert einen mittellage-fundierten Sopran mit warmen Aufschwüngen und sicher gesetzten Spitzentönen.

Chen Reiss ist auch als Zdenka, die in die Knaben/Jünglings-Maskerade Zdenko (von verantwortungslosen Eltern!) hineingezwungen wird, von glühender Bühnenpräsenz. Die Verwicklungen bis hin zum Fast-Duell zwischen Mandryka und Matteo auslösend. Da ist jede stimmliche Schärfe (was hat sich Strauss DABEI gedacht, wer soll solche Hochdramatik stimmlich bringen??) beglaubigt mit dem emotionalen Grenzgängertum, dem dieses Mädchen ausgesetzt ist!

Tomasz Konieczny ist nach den Wotan/Wanderer-Strapazen mit niemals erlahmender stimmlicher und mentaler Wucht ein Mandryka, wie ihn Hofmannsthal kreiert hat. Er erfüllt als Erscheinung die Regieanweisung Hofmannsthals: „…kräftiger, eleganter Mann von höchstens fünfunddreißig Jahren, etwas undefinierbar Ländliches in der Erscheinung …“ auf Punkt und Komma. Und auch das Wesen erspielt er minutiös („ … Verzeihen Sie, ich bin ein halber Bauer, bei mir geht alles langsam, aber stark…“).

(Einschub: Wenn er in den Momenten des ersten Zusammentreffens mit Arabella tatsächlich von seiner verstorbenen „engelsguten“ Frau zu erzählen beginnt, was Arabella sofort die Gesichtszüge einfrieren lässt nach dem Motto, was ist mit diesem Langeweiler los, so wird augenblicklich auch die Musik des Richard Strauss so richtig uninspiriert, als würde ihn das Komponieren gerade unsäglich langweilen: Das ist zugleich ein genialer musikalischer Moment dieses Abends: Frau Magee und Herr Kober am Pult haben ihn hörbar gemacht.)

So bleibt’s natürlich nicht, wie wir wissen. Konieczny: kraftstrotzend, von tiefen Gefühlen durchdrungen, aber auch schwerblütig, kompliziert strukturiert, kein einfacher Fall für das große Glück. Das alles beglaubigt er (Aber das ist Arabella ja auch nicht).

Daniel Behle: Von stimmlicher Pracht her der beste Matteo seit langem. Er erklimmt die extremen emotionalen Höhen-Explosionen mit tenoraler Schwindelfreiheit, ohne Verlust an Stimmschönheit.


Daniel Behle. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Die Jung-Aristos und erfolglosen Verehrer Arabellas sind glaubwürdig (vorbei die Zeiten, als solche Rollen von gesetzten bis alternden Kammersängern auf die Bretter gestellt wurden): Michael Laurenz (Elemér), Rafael Fingerlos (Dominik) und Peter Kellner (Lamoral). Auch nach zwölf Jahren bei der Premiere zwitschert Daniela Fally die halsbrecherischen Jodler der Frau Emilie Tureček (alias Fiakermilli) virtuos und lässt auch den Spagat nicht aus. Ulrike Helzel war mit darstellerischem und stimmlichem Nachdruck die Kartenaufschlägerin,

Eine sehr gute Repertoire-Vorstellung, die es nicht nötig machte, das Mängel- und Fehlerfeststellungsradargerät auszupacken. Das Gemerk brauchte diesfalls nicht aufgestellt zu werden. Tafel und Beckmessers Kreide konnte getrost in der Jackentasche verbleiben. Kein saures Amt an diesem Abend.

Der Kritikerdaumen war vielleicht nicht senkrecht und ganz nach oben („Zwölf Uhr Mittag“) gerichtet. Aber elf, halbzwölf war es allemal.

(Übrigens: Oft beklagten Exodus nach der Pause gab es diesmal nicht.)

Karl Masek

 

 

 

 

 

 

 

 

Diese Seite drucken