Tatjana Serjan (Maddalena). Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn
Andrea Chenier 2. Vorstellung am 9.1.2019 – „Ein großer Abend an der Wiener Staatsoper“
Vorweg: Die mehrstündige, weite Anreise aus dem tief verschneiten Mühlviertel durch Wind und Wetter hat sich in jedem Falle gelohnt und es war sehr schön, dieses mitreißende Meisterwerk von Umberto Giordano in glanzvoller Besetzung zu hören.
Wie wunderbar ist es dieses Bühnenbild- Relikt aus einer Glanzzeit der Wiener Oper von Meisterregisseur Otto Schenk wieder einmal zu sehen. Es ist wie ein Wunder! Gott sei Dank hat es nicht nur die Wirren von Giordanos französischen Revolution, sondern vor allem jene des Regietheaters unbeschadet überstanden .
Otto Schenk– stets ein bescheidener und zurückhaltender Regisseur, stellte sich ganz in den Dienst der Kunst und des Werkes und zauberte vor vielen, vielen Jahren ein dem Sujet entsprechendes Bühnenbild. Er traut dem Publikum sogar gewisse intellektuelle Fähigkeiten zu und verzichtet auf die so beliebten Zeitreisen moderner Regisseure , wie z.B. die Verlegung der französischen Revolution in den Zweiten Weltkrieg mit Andrea Chenier als Widerstandskämpfer gegen das NS- Regime . Vielen Dank, dass man die Oper einmal so sehen kann, wie es der Librettist und Komponist vorgesehen haben!
Doch nun zu den Sängern! In den Hauptpartien stehen sich drei hochwertige Sänger gegenüber.
Beginnen wir mit der Titelpartie- Gregory Kunde. Dieser außergewöhnliche Sänger, der auch zum „Male Singer oft he Year“ bei den international Opera Awards 2016 gewürdigt wurde, hat eine sehr überzeugende Darstellung dieser sehr schwierigen Tenorpartie abgegeben. Die Partie des Andrea Chenier wird vom Stimmfach zwar dem italienischen Zwischenfach zugeschrieben, zog aber schon immer Tenöre aller Stimmgattungen an. Sie wurde von italienischen Heldentenören, wie Mario del Monaco, Franco Corelli und Giuseppe Giacomini genauso gerne gesungen, wie von den lyrischen Stimmen eines Benjamino Gigli, Luciano Pavarotti, Placido Domingo oder Jose Carreras. Für die lyrischen Stimmen ist der Andrea Chenier aber eine gefährliche Rolle, da viele- vor allem zu junge Sänger – die Mittellage forcieren, was bei längerer Missachtung des Fachwechsels oftmals zu einem Verlust der Höhe und einer vorzeitigen Beendigung der Gesangskarriere geführt hat.
Gregory Kunde kommt aus dem Belcanto Fach. Die Stimme hat in den letzten Jahren zunehmend an Volumen gewonnen, ohne dabei aber an Höhe zu verlieren. Er hat mittlerweile in Partien wie Il Trovatore, La Forza Del Destino, Otello von Verdi oder Manon Lescaut von Puccini in der ganzen Welt glänzende Erfolge gefeiert.
Er verfügt zwar naturgemäß –vom Belcanto Fach kommend- nicht über eine so reiche Mittellage mancher seiner dramatischeren Fachkollegen, kann aber mit den eigenen Vorzügen punkten. Basierend auf einer außergewöhnlichen Gesangstechnik ist er in allen Stimmlagen der Partie gut hörbar. Er kann sich in der mittleren Lage und Übergangslage durch die perfekte Platzierung der Gesangsstimme gegenüber dem opulenten Orchester und der etwas voluminöseren Stimme von Tatjana Serjan gut durchsetzen. Kunde kann sich aufgrund seiner jahrzehntelangen Erfahrung als Sänger ohne Rücksicht auf Verluste in die Partie hineinlegen und überzeugt mich durch seine Bühnenpräsenz. Er besticht in der Rolle vor allem durch stupende Spitzentöne von vor Strahlkraft gleißender Intensität.
Tatjana Serjan, eine russische Sopranistin, ist sowohl stimmlich als auch darstellerisch für die Rolle überaus geeignet. Sie verfügt über eine voluminöse, dunkle Stimme mit reicher Mittellage. In ihrer großen Arie „La mamma morta“ kann sie alle Nuancen wunderbar schattieren. Sehr schön sind auch die großen Duette mit Gregory Kunde und die große Szene mit Gerard im 3. Akt.
Der Italiener Luca Salsi als Carlo Gerard verfügt über eine in allen Lagen prachtvolle und maskuline Baritonstimme, die er effektvoll einzusetzen versteht. Auch er glänzt durch strahlende Spitzentöne und erntet mit der herrlichen Arie“ Nemico della patria“ großen Applaus.
Aber auch alle kleineren Rollen sind sehr gut besetzt. Besonders hervorheben möchte ich die bezaubernde französische Mezzosopranistin Virginie Verrez als Bersi. Sie hat eine wunderbare Bühnenpräsenz und bringt viel Leben in diese kleine Rolle. Neben ihrer anmutig, grazilen Erscheinung verblüfft sie durch eine sehr voluminöse und schöne Stimme. Auch KS Wolfgang Bankl zeigt, dass man mit einer kleinen Rolle viel anfangen kann.
Höchstes Lob gilt natürlich auch dem Orchester der Wiener Staatsoper unter der Leitung von Frederic Chaslin, der für einen vollen Orchesterklang sorgt, ohne dabei die Sänger zu überdecken.
Dr. Alexander Gallee