Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

WIEN/ Staatsoper: AIDA – Zwei Königinnen auf Augenhöhe

WIEN / Staatsoper: „AIDA“  –  18.01.2023 – Zwei Königinnen auf Augenhöhe

aida 17 garancaElina Garanca. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

 Da wird immer von einer Krise der Oper gesprochen und dass man nicht genügend Publikum für diese Kunstform findet. Der Generalmanager der Metropolitan Opera Peter Gelb hat vor kurzem angekündigt, künftighin mehr zeitgenössische Opern und weniger klassisches Repertoire spielen zu wollen. Was war geschehen? Eine Aufführungsserie von Verdis „Don Carlos“ ohne Stars war an der MET vor halbleerem Haus gelaufen, während die Vorstellungen der soeben uraufgeführten Oper „The Hours“ von Kevin Puts vom Publikum gestürmt wurde. Peter Gelb glaubt also, dass sein Publikum mehr auf zeitgenössische Musik steht. Dabei ist die Antwort viel einfacher: das Publikum will Stars auf der Bühne sehen. Die Aufführungen von „The Hours“ wurden höchstwahrscheinlich nicht wegen der Musik gestürmt, sondern weil in diesen Vorstellungen Publikumslieblinge wie Renée Fleming und Joyce DiDonato auf der Bühne standen.

Dass ich mit meiner Vermutung nicht ganz so danebenliegen dürfte, bewies nun die „Aida“-Aufführung an der Wiener Staatsoper. So voll hat man das Haus in den letzten drei Jahren nur bei den Vorstellungen mit Cecilia Bartoli gesehen. Es war direkt schwierig Karten für eine der „Aida“-Vorstellungen zu bekommen, waren doch drei der größten Opernstars unserer Zeit angesetzt. Aber ich bin sicher, wenn Direktor Bogdan Roščić Anna Netrebko, Elīna Garanča und Jonas Kaufmann in „Lulu“ ansetzen würde, wäre sogar die Alban Berg-Oper ausverkauft.

Schon im Sommer 2020, kurz vor Bogdan Roščićs Antritt als Direktor der Wiener Staatsoper, kursierten Gerüchte über eine geplante „Aida“-Premiere an der Wiener Staatsoper mit Anna Netrebko, Elīna Garanča und Jonas Kaufmann. Angesichts der vielen Premierenflops der letzten zwei Jahre, bei denen mehr oder weniger gute Inszenierungen durch noch viel schlechtere Neuproduktionen ersetzt worden sind (ich denke da nur an „Tristan und Isolde“, „Parsifal“, „La Traviata“, „Carmen“, „Faust“, „Il barbiere di Siviglia“, „Wozzeck“ und „Don Giovanni“) muss man direkt froh sein, dass es nun keine Premiere, sondern „nur“ eine Wiederaufnahme der „Aida“-Produktion aus dem Jahr 1984 gab. Obwohl die Inszenierung von Nicolas Joel schon bei der damaligen Premiere kein Geniestreich war und bereits einige Änderungen vorgenommen wurden (wer erinnert sich noch an das Boot, mit dem Amneris und Ramfis zu Beginn des Nilaktes auf die Bühne fuhren?), gab sie doch einen spielbaren Rahmen für gastierende Opernstars ab. So konnten wir in den bisher mehr als hundert Vorstellungen u.a. Maria Chiara, Sondra Radvanovsky, Anna Tomowa-Sintow und Julia Varady als Aida, Olga Borodina, Grace Bumbry, Fiorenza Cossotto, Elena Obraztsova, Anita Rachvelishvili, Stefania Toczyska und Dolora Zajick als Amneris, Franco Bonisolli, Johan Botha, Giuseppe Giacomini und Luciano Pavarotti als Radames, Piero Cappuccilli, Simon Estes, Franz Grundheber, Juan Pons und Bernd Weikl als Amonasro, Anatoli Kotscherga, Jewgenij Nesterenko und Kurt Rydl als Ramfis in dieser Inszenierung erleben. Und am Pult standen gelegentlich auch so große Dirigenten wie Lorin Maazel, Zubin Mehta oder Giuseppe Sinopoli.

In der nunmehrigen Aufführungsserie kann man erstmals in Wien Anna Netrebko in der Titelpartie und Jonas Kaufmann als Radames erleben und Elīna Garanča gab ihr Rollendebüt als Amneris. Garanča war natürlich nicht eine vor Eifersucht rasende Pharaonentochter wie es seinerzeit Fiorenza Cossotto war. Garanča ist eine eher kühl wirkende Prinzessin, die ihre Gefühle beherrscht, was nicht heißen soll, dass sie weniger leidenschaftlich liebt. Im Gegenteil, sie beherrscht die Bühne wie eine Königin und weiß vor allem mit ihrer Stimme die in ihr lodernde Leidenschaft auszudrücken. Sie beeindruckt vor allem mit ihren phänomenalen Höhen und weiß die Spitzentöne, mit denen sich viele andere Sängerinnen abmühen, bombensicher und strahlend zu platzieren. In der Tiefe würde man sich noch etwas mehr Fundament wünschen, da klingt die Stimme derzeit noch etwas dünn (vor allem in der großen Auseinandersetzung mit Aida im 3. Bild), aber das wird hoffentlich noch kommen. Piotr Beczała sagte erst kürzlich in einem Interview, dass man eine neue Partie erst „drauf“ hat, wenn man sie fünf oder sechs Mal gesungen hat. Ich bin sicher, dass Elīna Garanča diesbezüglich mit den folgenden Aufführungen noch besser wird als sie ohnehin schon ist. Für ihre fulminante Leistung in der Gerichtsszene erhielt sie auch zu Recht den größten Applaus des Abends.

aida 30 salsi netrebko
Luca Salsi, Anna Netrebko. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Anna Netrebko braucht als Aida keine Konkurrenz zu fürchten. Mit ihrem satten, in allen Lagen ebenmäßig klingenden Sopran, der ohne jede Registerbrüche geführt wird, mit runder Tongebung, mit farblichen Schattierungen und dynamischen Feinabstufungen, mit herrlich tragenden und sauber schwebenden Piani sowie mit ihrer überzeugenden Darstellung ist sie geradezu die Idealbesetzung für die äthiopische Prinzessin. Es ist geradezu atemberaubend, wie sie mit einem wundervollen Legatobogen den Aufstieg auf das hohe C in der Nilarie singt, oder wie sie im Finale des Triumphaktes ihre Stimme glanzvoll über alle anderen Solisten, Chor und Orchester legt. Sie erwies sich auch als rücksichtsvolle Partnerin, denn sie konnte ihre Stimme in den Szenen mit Radames voll zurücknehmen, um Jonas Kaufmann nicht zuzudecken. Bewundernswert, wie sie mit ihm das Finalduett im Piano gestaltete. Sie hat an diesem Abend wieder einmal bewiesen, dass sie noch immer die Beste in ihrem Fach ist.

aida 10 kaufmann
Jonas Kaufmann. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Aber was ist nur mit Jonas Kaufmann los? Nach seiner eher schwachen Leistung als Andrea Chénier vor wenigen Wochen enttäuschte er nun stimmlich auch als Radames. Obwohl er sichtbar bemüht war „Celeste Aida“ auf Linie zu singen, wollte ihm das nur sehr bedingt gelingen. Auch danach bot er eine schwache Leistung, immer sehr leise, manchmal kaum hörbar. Erst am Ende des Nilaktes dürfte er einen Adrenalinschub bekommen haben, denn bei „Sacerdote, io resto a te“ drehte er plötzlich auf und lieferte einige sehr beeindruckende Töne ab. (Hat er sich bis dahin absichtlich geschont?) Auch die Gerichtsszene mit Amneris geriet dann sehr gut und das Finale gestaltete er berührend im Piano und Pianissimo. Gelegentlich hat man jedoch den Eindruck als ob er seine Stimme nicht mehr unter Kontrolle hätte. Am Abend vor dieser Vorstellung konnte man Jonas Kaufmann bestens gelaunt im TV in der Late Night Satire Talkshow „Willkommen Österreich“ sehen. Dabei wurde er von Moderator Christoph Grissemann als „der beste Wagner-Tenor der Welt“ angekündigt. Aber wie will Jonas Kaufmann in dieser Stimmverfassung in wenigen Wochen den Tannhäuser bei den Salzburger Osterfestspielen singen?

Luca Salsi strotzte als Amonasro hingegen vor Kraft. Alexander Vinogradov (Ramfis), Ilja Kazakov (König), Anna Bondarenko (Priesterin), Hiroshi Adamo (Bote) sowie der Chor der Wiener Staatsoper ergänzten zufriedenstellend.

Am Pult des sauber spielenden Orchesters der Wiener Staatsoper stand diesmal Nicola Luisotti. Er führte sicher und sängerfreundlich durch die Vorstellung ohne aber besondere Akzente zu setzen. Dass er gelegentlich andere Tempi dirigierte als die Sänger auf der Bühne sangen, lässt auf zu wenig Proben schließen.

Am Ende gab es Jubel für Garanča und Netrebko, in den Höflichkeitsapplaus für Kaufmann mischten sich auch vereinzelt schüchterne  Buhs.

Walter Nowotny

 

 

Diese Seite drucken