WIEN / Staatsoper: AIDA – 2. Aufführung der der laufenden Wiederaufnahme-Serie
126. Aufführung in dieser Inszenierung
18. Jänner 2023
Von Manfred A. Schmid
Die Inszenierung von Nikolas Joel, im Bühnenbild und mit Kostümen von Carlo Tommasi, stammt nicht, wie man annehmen könnte, aus der Steinzeit historischer und biblischer Monumentalschinken à la Das Gewand (1953) Ben Hur (1958) oder Cleopatra (1963), sondern erlebte an der Staatsoper erst mehr als 20 Jahre später seine Premiere. Kein Wunder, dass sie inzwischen im Haus am Ring wie aus der Zeit gefallen wirkt, was freilich wohl auch 1984 der Fall gewesen sein dürfte. Elektronisch entsprechend aufgepeppt, könnte sie auf Bühnen wie im Steinbruch von Margarethen oder am Ufer des Neusiedler Sees in Mörbisch aber weiterhin gute Figur machen. In Wien reicht sie immerhin noch dazu, als Schauplatz für den Auftritt von drei Stars der derzeitigen Opernwelt zu dienen, wie man ihn in dieser Konzentration an einer anderen Bühne der Welt vorstellen könnte. Damit ist dem Staatsoperndirektor tatsächlich ein Coup gelungen. Die Direktionsloge bleibt zwar drei Akte lang unbesetzt, im letzten Bild aber, als auf der Bühne Radames im Verlies seinem Ende entgegensieht, ist der Chef plötzlich da. Dem neben mir sitzenden Ehepaar, dem das aufgefallen ist, verdanke ich diese Erkenntnis. Während Radames alsbald von Aida Gesellschaft geleistet wird, bleibt Bogdan Roscic allein und isoliert, vielleicht um sich vor Corona abzuschirmen.
Natürlich geht es hier aber nicht darum, über die Befindlichkeiten des Staatsoperndirektors zu spekulieren oder darüber zu rätseln, warum Kollegen in manchen Printmedien von einer Premiere sprechen, obwohl es sich eindeutig um eine Wiederaufnahme handelt, sondern über die gebotenen Leistungen auf der Bühne und im Orchestergraben zu berichten. Also zur Sache: Elina Garanca steht, fabelhaft singend und spielend, so eindrucksvoll im Mittelpunkt der Aufführung, dass diese Oper, wie im Übrigen schon wiederholt vorgeschlagen, mit Fug und Recht auch den Namen Amneris tragen könnte. Und das, ohne dass die Amneris eine richtige Arie zu singen hat. Wie die Pharaonentochter am Schluss bereut, ihren heiß geliebten Radames den blutdürstigen Priestern ausgeliefert zu haben, und in Verzweiflung fällt, als sie erkennen muss, dass es ihr nicht gelingen wird, ihn vor der Todesstrafe zu retten, geht unter die Haut. Von der der lettischen Mezzosopranistin oftmals zugesprochenen Kühle und emotionalen Kontrolliertheit kann hier nicht die Rede sein. Stimmlich bezaubert diese Amneris mit sinnlich-dunkler Tiefe und zarten, silbrigen Höhen und dramatischen Ausbrüchen. Dass sich Garanca, wie sie sagt, zwei Jahre auf dieses Rollendebüt vorbereitet hat, hat sich bezahlt gemacht, was sich auch in den famosen Duetten, Terzetten und Ensembleszenen bemerkbar macht. Anzumerken ist, dass Elina Garanca bereits 2017 bei ihren jährlichen Konzerten „Klassik in den Alpen“ in Kitzbühel und „Klassik unter Sternen in Göttweig einen Aida-Schwerpunkt im Programm hatte und mit ihre Mann Karel Mark Chichon am Pult Ausschnitte aus dem 2. Akt der Oper zum Besten gab.
Anna Netrebko hat in der Titelpartie schon 2017 bei den Salzburger Festspielen Furore gemacht und im Jahr darauf auch an der New Yorker MET Erfolg eingeheimst. Nach ihrer Mimi in La Bohème im September ist sie nun in Wien auch als Aida ein Ereignis. Hinsichtlich Intonation gibt es mehrmals hörbare Abweichungen, doch die unbedingte Hingabe und Leidenschaft, mit der sie an diese Rolle – wie an alle anderen in ihrem Repertoire – herangeht, ist unübertroffen und erinnert an die Callas, bei der auch nicht immer jeder Ton gesessen hat, das Gesamtergebnis aber überwältigend und einzigartig war. Die wunderbaren Legato-Bögen und das überirdisches Pianissimo beim hohen C in Aidas Arie „Oh patria mia“ gelingen ebenso überzeugend wie die die starken, hochdramatischen Interventionen im Duett mit Amneris im 2. Akt sowie mit ihrem Vater Amonasro im 3. Akt. Auch wenn die Aida zuweilen mit Sprinto- und dramatischen Sopranen besetzt wird, Netrebko ist der schlagende Beweis dafür, dass ein lyrischer Sopran, noch dazu von so einem Format, hier die beste Lösung ist.
Der Dritte im Bunde ist der siegreiche Radames, der vor dem Dilemma steht, in Aida eine Frau zu lieben, die als Sklavin an Pharaonenhof lebt und dem Volk der Äthiopier, also dem Erzfeind Ägyptens zugehört und für ihre Herrin Amneris, die ihn ebenfalls – unerwidert – liebt, als Rivalin gilt. „Celeste Aida“, sein glühendes Liebesbekenntnis am Beginn, wird von Jonas Kaufmann zwar nicht „versemmelt“, wie es in einer Kritik der ersten Aufführung hieß, aber will, trotz feinem Pianissimo, auch diesmal nicht so recht gelingen. Im Nil-Akt weiß er dafür voll zu überzeugen und im Schlussbild „In questa tomba“ gelingt das Duett mit Netrebko, die gemeinsam dem Ende entgegengehen, geradezu himmlisch und steinerweichend.
Was sich rund um dieses Dreieck sonst noch alles tut: Luca Salsi ist als stimmgewaltiger Amonasro ein liebender Vater und zugleich ein strategisch denkender Heerführer und König, der seine Tochter mit der Drohung „Non sei mia figlia, dei faraoni tu sei la schiava” dazu zwingt, ihrem Geliebten ein Geheimnis abzutrotzen, wodurch dieser ungewollt zum Verräter (Traditore) wird. Gesanglich nicht ganz so machtvoll wie dieser Bariton, aber eine durchaus zufriedenstellende Hausbesetzung als König, ist der Bassist Ilja Kazakov, was auch für den Boten gilt, den der Tenor Hiroshi Amakov verkörpert, sowie für Anna Bondarenko als Priesterin. Imponierend Alexander Viniogradov als sendungsbewusster Oberpriester Ramfis.
Der Chor hat bei den großen Aufmärschen der Priesterschaft und des Volkes in dieser Oper viel zu tun und macht, durch den Extrachor verstärkt, seine Sache – in der Gebetsszene und im Triumphmarsch – gewohnt ebenso gut wie das wiederholt eingesetzte Ballett, das mit seinen Tanzeinlagen für exotisches Flair sorgt.
Nicola Luisotti, wenn es um Verdi und Puccini geht, international ein gern gesehener Gastdirigent, hat den Ruf, dass es bei ihm eher laut zugehen soll. Davon kann diesmal keine Rede sein. Es gelingt ihm vielmehr gut, zwischen den heroischen Passagen bei den Aufmärschen und den intimen, emotionsgeladenen Szenen des Beziehungsdreiecks eine stimmige Balance herzustellen und das Zusammenspiel von Bühne und Orchester trefflich abzustimmen. Es wäre nicht das geschätzte Staatsopernorchester, wenn es nicht auch wirklich berührenden Moment gäbe: das kurze, feine Vorspiel mit den zarten, delikaten Geigentönen, die Einleitung zum 3. Akt oder der aushauchende, selig verebbende, verklärte Abschied vom „Tal der Tränen“ im Schlussbild.
Ein großer Abend. Einhelliger, begeisterte, ausgiebiger, wohlverdienter Applaus.