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WIEN/Staatsoper: „A MIDSUMMER NIGHT’S DREAM“. Erste Reprise

Benjamin Britten, der Klangmagier, Shakespeares Verwirrspiel, und ein bisschen Harry-Potter-Look …

06.10.2019 | Oper


Peter Rose. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

WIEN/Staatsoper: „A MIDSUMMER NIGHT’S DREAM“

Benjamin Britten, der Klangmagier, Shakespeares Verwirrspiel, und ein bisschen Harry-Potter-Look …

5.10. 2019 (erste Reprise) – Karl Masek

Schon nach der Generalprobe gab es spontanen Jubel und viele zufriedene, ja glückliche Gesichter im Publikum. Das kann ich bezeugen. Geschuldet war dieser Umstand einer besonders stimmigen Opernproduktion, die Irina Brook da vorgelegt hat. Stimmig deshalb, weil die Geschichte 1:1 erzählt wird. Poetisch, traumverloren, witzig.  Magie und Zauber der Feenwelt, die Spielarten, Freuden und Leiden der Liebe  samt aller Eifersucht, samt allen Irrtümern, Konflikten und Missverständnissen, werden theaterwirksam,  zugleich dezent,  über die Rampe gebracht. Dem Publikum wird Raum für eigene Gedanken, Assoziationen und Träume gelassen. Was kein Fehler ist …

Leichtfüßig, mit feiner Ironie, angereichert von gelungener Situationskomik in den Handwerker- und Rüpelszenen bis hin zur Parodie im Schlussakt bei der Hochzeit von Theseus und Hippolyta ist diese Regiearbeit.  Alles das wird publikumsfreundlich (ja, und?), „very british“ bis zu den  Kostümen, z.B. der Liebespaare (ein Hauch von Harry-Potter-Zauberschule und britischer Schuluniform: Magalli Castellan) in Szene gesetzt von einer Regisseurin, die das Stück besonders genau kennt. Schließlich wuchs sie als Tochter der Regie-Legende Peter Brook mit Shakespeare auf.

Auch das Bühnenbild – ein verfallenes Schloss, von der Natur längst überwuchert – ist von gelungener, wohlig-modriger Farbe und Ästhetik.  (Noëlle Ginefri-Corbel)  Es gibt dem Theater, was des Theaters ist. Der Schauplatz bietet  eine ideale, atmosphärische Spielfläche für all die „Verirrungen, Verwirrungen und Intrigen, irrationalen Verliebtheiten, und dem Esel in uns …“.  Fein abschattiert die Lichtregie (Jean Kalman).

1962, nur 2 Jahre nach der Uraufführung am 11.6. 1960 in der Jubilee Hall in Aldeburgh, brachte die Wiener Staatsoper den Britten’schen „Sommernachtstraum“ als Österreichische Erstaufführung in deutscher Übersetzung heraus. In diesem Fall war das Haus am Ring schneller, wie der scharfzüngige, damals 25-jährige Jungkritiker Franz Endler mit spöttischer Ironie feststellte („Eine zeitgenössische Oper, vor nicht einmal drei Jahren geschrieben und bisher weder in Linz noch in Graz auf dem Spielplan…“).  Obwohl damals vom Publikum durchaus wohlwollend aufgenommen, verschwand das Werk dennoch nach 15 Aufführungen (die letzte am 21.12. 1964 in den Anfängen der Direktion des Egon Hilbert) vom Spielplan. Erst Jahrzehnte später tauchte es in der Volksoper auf. Eine tolle Produktion mit Jochen Kowalski als Oberon und Karl Markovics als Puck. Und im Theater an der Wien in einer Inszenierung von Damiano Michelietto, die dem Stück eigene Handlungsstränge in einem anderen Ambiente –  „heutig“ –  überstülpte. Schulsituation mit Puck als „verhaltensoriginellem“ Jugendlichen,  die Mitschüler/innen in allerlei pubertären Liebesnöten. Alles spielte sich in einem Turnsaal ab. „Zauberwald“ aus Neonstäben – allerdings, wie immer bei  Michelietto,  mit penibler psychologischer Durchdringung und gekonnter Personenführung. Spannend und interessant war’s allemal…


Lawrence Zazzo, Erin Morley. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Irina Brook führt in zeitloser Manier zu Shakespeare zurück. Linear und werkgetreu, eng am Stück entlang. Tiefgründig, aber nicht abgründig. Nicht in provokativer „Bilderstürmer“- Manier alles auf den Kopf stellend. Im Sinne einer Meinungs- und Deutungsvielfalt hat sicher auch diese moderate Lesart ihre Berechtigung!

Laut eigener Aussage erschloss sich Brittens Musiksprache ihr nicht auf Anhieb. Allerdings: Schon nach ein paar Tagen war ich völlig begeistert. Wenn ich von der Probe heimkomme, singe ich diese Melodien in der Nacht…“, so Brook in einem Interview.  Etwas, was ihr nicht einmal bei Donizetti passiert war …

Womit wir uns der Musik zuwenden. Benjamin Britten gelang hier ein besonderer Wurf. Allein der 1. Akt ist ein klangmagisches Kleinod. Ein Füllhorn überbordender Phantasie, grandioser Instrumentationskunst – und einer Empathie den Figuren gegenüber, die in der Operngeschichte beinahe einzigartig ist.

Das Orchester setzt sogleich ein mit geheimnisvoll dunkel raunenden Streicher-Glissandi („slow and misterious“), übereinandergeschichteten Dur-Dreiklängen, die im gesamten Werk immer dann wiederkehren, wenn es um Metamorphosen von Traum und Wirklichkeit geht. Schlangenlinienförmige Melismen prägen das Geschehen und erfahren „optische Verdoppelung“ durch eine Schlange (die man in „Zauberflöte“-Inszenierungen  gar nicht mehr so gerne vorkommen lässt, selbst wenn im Schikaneder-Text von ihr die Rede ist).  

Für die unterschiedlichen Figurengruppen setzt Britten unterschiedliche Klangfarben auf das Subtilste ein. Die Elfen z.B. bekommen stratosphärisch anmutende Celesta-Girlanden, die beiden Harfen in oberster Lage und Cembaloklänge künden von unwirklicher klirrender Kühle. Die weit entfernten Tonarten C-Dur und Fis-Dur evozieren dabei Erdferne. Xylophon, Vibraphon im vielgestaltigen Schlagzeug bekommen besonders vielfältige Aufgaben!  Die philharmonischen Schlagzeuger waren da in ihrem Element! Aber auch bezaubernd Keckes, eine Art unschuldiger Frechheit, ist  den kindlichen Elfen vorbehalten. Großes Lob dem Kinderchor aus der Opernschule der Wiener Staatsoper! Die hatten auch darstellerisch ganz schön viel zu tun – und taten dies mit begeistertem Eifer. Auch sängerisch mit lustbetonter Souveränität.  Die vier Knaben-Solisten verdienen namentliche Erwähnung (Emil Lang, Niklas Rudner, Mihail Savenkov und Fabio Ringer). Die Kids, die hatten Spaß (hervorragend einstudiert von Johannes Mertl – Chapeau!).

Das Orchester der Wiener Staatsoper erfreute an diesem Abend mit delikater, detailverliebter, schillernder Klangzauberei, von wohlig-weich bis spitz-klirrend. Dirigentin Simone Young, so kommt  es mir vor, hat mit dieser Vorzeige-Produktion ihre bisher beste dirigentische Visitenkarte in Wien abgegeben (auch die Premieren von  „Der Spieler“ und „La Juive“ waren schon sehr, sehr gut!), seit sie in den 90er Jahren mit „Rigoletto“ als erste „Maestra“ im Haus am Ring debütiert hat. Britten steht  ihr  musikmentalitätsmäßig offensichtlich besonders nahe, so der erfreuliche Eindruck. Sie passt sich auch den Dimensionen des Hauses geschickt an. Britten hat ein Besetzungs-Minimum  für einen kleinen Orchestergraben  (wie es wohl für Aldeburgh mit rund 360 Zuschauern der Fall war) angegeben. Aber kein Besetzungsmaximum des Orchesters. Das heißt, die Orchesterbesetzung hier in Wien ist größer als bei  der Uraufführung. Aber man legte Bedacht darauf, nicht viel über die Orchestergröße von „ Ariadne“ zu gehen. „Also 8 Erste Violinen, entsprechend angepasst die anderen Streicher, z.B. 3 Kontrabässe. So werden die Solobläser nicht übertönt, aber es gibt genug Substanz für den großen Saal der Wiener Staatsoper. Wäre das Orchester größer, bekäme man womöglich Probleme mit den Kinderstimmen…“, so Young im Programmheft.

Klug gehandelt, möchte man der versierten Kapellmeisterin zurufen. Ich habe die Generalprobe auf einem Balkon-Seitensitz, die besprochene Vorstellung  vom Merker-Sitz auf der Galerie gehört. Und da waren schon auffallende dynamische Unterschiede festzustellen.

Der amerikanische Countertenor Lawrence Zazzo war mit angenehmen, pastellenen Countertenorfarben ein nobler, geschmeidig singender Oberon und mit Sicherheit ein kongenialer Nachfolger des legendären Alfred Deller, dem Britten für die Uraufführung die Rolle perfekt in die Kehle geschrieben hatte. Ein gelungenes Hausdebüt!

Die amerikanische Sopranistin Erin Morley sang nach der Gilda ihre 2. Premiere an der Wiener Staatsoper. Blitzsaubere Silbertöne bis in höchste Höhen, gekonnte Agilitá zeigte ihr jugendlicher Koloratursopran. Aber auch feine Lyrismen standen ihr zu Gebote.

Einen großen persönlichen Erfolg konnte der französische Musiker, Tänzer, Akrobat & Zirkuskünstler Théo Touvet für sich verbuchen. Er war „Hansdampf“ im athenisch-britischen „Zauberwald“, schlug Salti am laufenden Band, drehte sich virtous in einem Reifen, bewies sagenhafte Körperbeherrschung bis hin zu perfektem „Breakdance“ – und war in jeder Faser ein liebenswerter Kobold, dem man auch seine Irrtümer und das Liebeschaos, das er damit anrichtete, verzieh. Wesentlich mehr als ein „Pu(mu)ck(l)“ von Shakespeares Gnaden, konnte er den lautesten Jubel des Publikums einheimsen.

Die Liebespaare im Harry-Potter-Look: alle vier Ensemblemitglieder mit gediegenen Leistungen und  großem Engagement : Josh Lovell (Lysander), Rafael Fingerlos (Demetrious), Rachel Frenkel (Hermia) und Valentina Naforniță (Helena).

Ein Kabinettstück „ernster“ Komik kam von den 6 Handwerkern. Wobei Peter Rose einen fulminanten Bottom abgab. Profunder Basso cantante, Esel-Falsett, Buffoqualitäten allererster Güte! Wolfgang Bankl: als Quince einmal in keiner Unsympath-Rolle, ein rührend geschäftiger „Regisseur“, ein bisschen  wie Oliver Hardy in den Uraltfilmen. Benjamin Hulett sang den Flute (das war die Peter-Pears-Rolle bei der Uraufführung!), als „Thisby“ in der Opernparodie urkomisch. Bei der Bellini- bzw. Donizetti-Verulkung blieb kein Auge trocken. Tomas Ebenstein (Snout: als lakonische „Mauer“ leiert er zwerchfellerschütternd eine Art Zwölftonreihe abwärts. Auch Schönberg kann man köstlich parodieren, bewies der musikalische Alleskönner Britten. Der blutjunge neue Bass William Thomas  (Snug) führte sich als „Löwe“ bestens ein. Clemens Unterreiner (Starveling) bewies als stoischer „Grabstein“ höchste Ensemble-Disziplin. Eine besonders unterhaltsame Sequenz die getanzte „Bergamasque bei  der Hochzeit von Theseus & Hippolyta (Peter Kellner mit sonorem Bass-Bariton und Szilvia Sörös mit pastosem Mezzosopran – beide klopfen für größere Rollen unüberhörbar an).

Nicht zu vergessen: Das Bühnenorchester der Wiener Staatsoper (Leitung: Witolf Werner) und das Wiener Staatsballett (Choreographie: Martin Buczko) als Pucks Gefährten & Assistenten.

Ein großer Premierenerfolg! Nach der bereits sehr erfolgreich verlaufenen Generalprobe und dem Premierenjubel schienen in dieser 2. Aufführung alle zusätzlich beflügelt zu sein! 

Karl Masek

 

 

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