Navrin Turnbull. Foto: Wiener Staatsballett/ Ashley Taylor
Wiener Staatsballett: „SYLVIA“ 20.9.2019 – Große Chance für einen neuen Halbsolisten
Nachdem in Wien ab 1976 für viele Jahre die von zahlreichen Compagnien übernommene Choreographie von Laszlo Seregi zu sehen war, entschied sich der gegenwärtige Ballettdirektor Manuel Legris für eine dramaturgisch eigene Version nach dem Ur-Libretto von Jules Barbier und Baron Jacques de Reinach, gestützt auf die Original-Einrichtung von Louis Alexandre Mérante aus dem Jahr 1876. Die Schäfer-Geschichte nach einem Schauspiel Torquato Tasso wirkt heute recht müde und einfältig, wenn sie ohne Einzug eines doppelten Bodens sowie humoristisch-ironische Details erzählt wird wie jetzt von Legris und damit die Einschätzungen der Uraufführung in Paris bekräftigt. Zwar ist der Einsatz von Pantomime zugunsten choreographischer Lebendigkeit in Grenzen gehalten, doch kann es das traditionelle Schrittmaterial mit dem musikalischen Reichtum von Leo Delibes schon damals gerühmter Komposition nur selten aufnehmen. Es verharrt in sich zu oft wiederholenden Bewegungsmustern und wirkt auf Dauer etwas eintönig. Das von Luisa Spinatelli entworfene Ausstattungs-und Kostüm-Arrangement bedient die Vorgaben des Librettos auf einem schmalen Grat zwischen sinnvollem Naturalismus und der Neigung zu Kitsch. Und die Qualität der Musik lässt alle optischen Einwände verblassen, zumal wenn sie von einem Orchester wie dem der Wiener Staatsoper in allen Zügen des Rhythmus, des Kolorits, der motivischen Verarbeitung ausgekostet wird. Der Mangel an so manchem Feinschliff unter der straffen Leitung von Kevin Rhodes tritt dabei in den Hintergrund.
Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand in dieser Vorstellung das Debut des blutjungen Australiers Navrin Turnbull als Schäfer Aminta. Für den zuletzt an der John Cranko Schule in Stuttgart ausgebildeten Tänzer, der vor einem Jahr nach Wien gekommen und zum Ende der letzten, also seiner ersten Saison bereits zum Halbsolisten avanciert war, bedeutete es die erste große Solo-Rolle. Im ersten Akt, wo sein Part eher schwach ausgeprägt ist, blieb er denn noch verhalten und brav in der Absolvierung seiner Aufgabe. Im dritten Akt, wo er dann technisch so richtig Farbe bekennen muss, ging Turnbull mit einem Mal aus sich heraus, zeigte sowohl ausgeglichene Linie von Beinen und Oberkörper, klare Haltung, federnde Battements im Solo sowie eine weitgehend freie Führung der Partnerin. Zudem blühte er in der zunehmenden Erfüllung seiner Liebe zu Sylvia mimisch so richtig auf und strahlte sein Glück spontan aus. Es wäre ihm zu wünschen, dass es nicht bei dieser einzigen größeren Solo-Chance bleibt, vielmehr eine Entwicklung und Reifung durch solche Aufgaben ermöglicht wird. In Kiyoka Hashimoto hatte er eine erfahrene Ballerina zur Seite, die ihm Sicherheit und Impulse gab. Auch sie blieb interessanterweise zunächst noch etwas durchwachsen in der Balance, ehe sie sich in der Konfrontation mit dem überzeugend herausfordernden und in Sprüngen und Drehungen intensiven Dumitru Taran als rivalisierender Schwarzer Jäger Orion steigerte und im letzten Akt vor allem in ihrem leicht hingetupften Pizzicato-Solo die Klasse einer Ersten Solotänzerin zum Vorschein kommen ließ.
Dumitru Taran. Foto: Wiener Staatsballett/ Ashley Taylor
Als Diana demonstrierte Madison Young die Macht der Jagdgöttin mit etwas begrenzter Leuchtkraft, aber in sehr souveräner technischer Form, vor allem im Prolog-Pas de deux mit dem in seiner Liebes-Besessenheit keine Ruhe gebenden Endymion, sauber getanzt und sympathisch interpretiert von Roman Lazik. Den Eros selbst, der Pfeile schießend als Vermittler und Lenker in Erscheinung tritt, interpretierte Géraud Wielick in etwas schwankender Form zwischen Sinnlichkeit und Gesichtslosigkeit.
Erfreuliche Leistungen bei den kleineren Soli: Arne Vandervelde als Faun, Fiona McGee als Bäuerin, Marian Furnica als Bauer, Rikako Shibamoto als Najade. Und ein ebensolches Gesamtbild beim spritzig animiert wirkenden Corps de ballet der Schäfer, Nymphen und Bauern, so dass sich alles zu einer Wiedergabe rundete, die die stofflichen Schwächen weitgehend vergessen machte. Einzelne Ovationen und ein wenig ausdauernder Applaus belohnten die Aufführung.
Udo Klebes