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WIEN/ Staatsballett in der Volksoper: DIE SCHNEEKÖNIGIN

08.12.2015 | Ballett/Performance

Das Wiener Staatsballett in der Volksoper mit der „Schneekönigin“ auf Reise in das Märchenland:

EIN HERZ AUS EIS IM EISPALAST – 8.12.2015

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Copyright: Wiener Staatsballett

„Seht, nun fangen wir an. Wenn wir am Ende der Geschichte sind, wissen wir mehr als jetzt!“ So beginnt Hans Christian Andersen sein in sieben Geschichten gegliedertes und mit Themen überladenes Märchen „Die Schneekönigin“. Als eine Art Parabel des dänischen Dichterfürsten über Gut und Böse, als eine Allegorie, in welcher er gleichsam wie in einem scharf fokussierendem Spiegelbild von der getrennten, dabei leid- wie freudvollen Reise zweier Jugendlicher, des Waisenjungen Kay und dessen Freundin Gerda, durch die Jahreszeiten und all den Schwierigkeiten erzählt, die von ihnen auf ihrem Lebensweg und auf der Suche nach Liebe zu überwinden sein werden. Eine Pubertätsgeschichte aus der Biedermeierzeit, welche auf die Selbstfindung in einer Idylle hinzielt. Am Ende der nun in der Volksoper getanzten Geschichte erfahren wir über dies alles nicht gerade viel. Nur, wenn wir wieder Andersens Worten folgen: Tränen können die im Eispalast der Schneekönigin zu Eis erstarrten Herzen schmelzen lassen. Und, schlussendlich, „da saßen sie beide, erwachsen und doch Kinder, Kinder im Herzen; und es war Sommer, warmer, wohltuende Sommer.“

Der englische Choreograph Michael Corder, Jahrgang 1955, hat sich Andersens Vorlage bedient, um für das English National Ballet vor einigen Jahren ein groß konzipiertes Märchenballett zu kreieren. Hat dieses offenbar wie am Reißbrett entworfen. Als Soundtrack diente ihm ausgewählte Musik von Sergej Prokofjew, überwiegend entnommen aus dessem posthum uraufgeführten  Ballett „Das Märchen von der steinernen Blume“ (mit leicht ähnlichem, doch weit einfacherem Sujet). Für das Wiener Staatsballett ist diese Produktion nun eingekauft worden, und die Besucher der Volksoper können sich einem recht pompös aufbereiten Tanzspektakel mit einigen schwungvollen Nummern zuwenden. Bitte aber, aufgepasst: Märchen zwar, doch für Kinder ein nicht wirklich unterhaltsames? Ja, wegen zu vieler Längen und zu wenig klar fasslicher Erzählung.

Andererseits ist genügend positives von diesem Abend zu berichten. Einmal mehr hat das Ensemble bei diesem Großaufgebot an Mitwirkenden eine sehr feine Leistung geboten. Auch dem Orchester unter Dirigent Martin Yates gelang es, dieses nicht gar so locker zu musizierende Prokofjew-Mixtum compositum recht tüchtig zu bewältigen. Die üppige Ausstattung von Mark Baily mag Geschmacksache sein – wohl ganz in Richtung für „Holiday on Ice“-Fans. 

Zurück zur Choreographie: Nicht schlecht, denn Michael Corder beherrscht sein Fach, gibt sich als perfekter Techniker. Das Problem dabei aber ist, dass er hier über alles, über die zumeist nervig-expressive Musik wie über die psychologisch subtil zu deutenden Handlungsstränge mit handwerklich souveränem Können, doch völlig der akademischen Schule und deren Schablonen folgend, darüber fährt. Mit allzu ausgedehnten und sehr schwierigen Soli und Pas de deux für die Solisten, kaum mit Spannungsaufbau, mit vielen Wiederholungen, immer wieder Schritt–Schritt–Hebung oder Pose oder so ähnlich. Olga Esina muss in der Titelrolle die kalte und berechnende Verführerin spielen, doch unsere ätherische Primaballerina wirkt dabei gar nicht frostig, sondern seidenweich in ihren fordernden Bewegungen. Alice Firenze vermag als Gerda sehr nobel und verinnerlicht ihre Sehnsucht nach dem verlorenen Freund Kay ausdrücken. Als dieser stellt sich Davide Dato mi der Eleganz des virtuosen Ballerino eindrucksvoll vor.    

Mehrere starke Ensembleszenen werden geboten; dann zumeist, wenn Prokofjew mit schnittiger russischer Folklore auftrumpft. Oder leicht unterkühlte Walzerstimmung aufkommen lässt. Und es ist schön, den Tänzern zuzusehen. Die Dominanz des Eispalastes der Schneekönigin ist zwar gegeben, doch es kann auch bunter und etwas wärmer werden. Sie helfen dazu mit: Die Bande der Zigeuner und deren rassigen Kapos Ketevan Papava und Mihail Sosnovschi, zwei geschmeidige Polarfüchslein (Anita Manolova und Céline Janou Weder), das hilfreiche Rentier (Géraud Wielick), die beiden stattlichen Wölfe (Jakob Feyferlik, Leonardo Basilio).

Auch wenn man tanzende Schlittschuhläufer schon origineller sehen konnte – die „Schneekönigin“ sollte auch in der Volksoper nicht allzu früh dahinschmelzen. 

Meinhard Rüdenauer

 

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