WIEN / Staatsoper: DON GIOVANNI
16. Aufführung in dieser Inszenierung
26. Jänner 2022
Von Manfred A. Schmid
Dass nach 15 Aufführungen Kyle Ketelsen und Philippe Sly als Don Giovanni und dessen ergebener und doch auch aufmuckender Diener Leporello bestens aufeinander eingespielt sind, ist keine Überraschung, wenn man bedenkt, dass sie in diesen Rollen zuvor auch schon an der der Oper Lyon gemeinsam aufgetreten sind. Dennoch ist es eine Freude, sie bei ihren Auseinandersetzungen und gemeinsamen Unternehmungen, auch wenn es sich dabei um die rücksichtslose, oft auch brutale Eroberung und Verführung von Frauen geht, zu beobachten und mitzuerleben. Ihre Umgangsformen und ihre heiteren Scharmützel haben nichts mit der Welt von gestern – Barock, Rokoko oder was auch immer – zu tun, sondern führen direkt in die Gegenwart. Wenn sie sich abklatschen, necken und anstoßen, benehmen sie sich zuweilen wie heutige Spät-Pubertierende. Ihr leichtfüßiges Parlando fängt einen Umgangston ein, wie er heute oft anzutreffen ist, und wird von Stephen Hopkins, der auch für die perfekte musikalische Studienleitung und Einstudierung verantwortlich zeichnet, am Hammerklavier geschickt und unprätentiös begleitet. Die Personenführung von Barrie Kosky ist – mit Ausnahme des chaotischen und schwer nachvollziehbaren Treibens bei der Hochzeitsgesellschaft sowie beim Ball – makellos und klar. Regietheaterliche Mätzchen wie das Herumschubsen eines schwarzen Steins, der als Denkmal des Komturs ausgegeben wird, bei Plätschern in einem Wasserloch, kan dabei weitgehend unbeschadet in Kauf genommen werden. Nur die Bühne, diese unsägliche Lavalandschaft von Katrin Lea Tag, lässt einen weiterhin ratlos zurück. Ist Mozarts und Da Pontes Meisterwerk, Der bestrafte Wüstling oder Don Giovanni, in der Tat schon am Mond gelandet?
So gut die beiden Baritone auch sein mögen, und sie s i n d gut, die Frage darf doch erlaubt sein, ob sie für diese Inszenierung so etwas wie ein Besetzungs-Abo haben. Besteht der Reiz einer Repertoire-Bühne denn nicht gerade darin, in einem wohlvertrauten Setting immer wieder neue Sängerinnen und Sänger erleben zu können? Das infernale Duo Don Giovanni/Leporello würde gewiss auch für andere – gerade in dieser Inszenierung – eine willkommene Herausforderung darstellen.
Immerhin gibt es diesmal zwei Rollendebüts. Dass die junge slowakische Sängerin Slávka Zámecniková drauf und dran ist, mit ihrem leuchtenden lyrischen Sopran und ihren darstellerischen Fähigkeiten die großen Bühnen zu erobern, ist eine erfreuliche Tatsache. Ihre Donna Anna im März des Vorjahres an der Berliner Staatsoper wurde bejubelt. Auch bei ihrem Wiener Rollendebüt überzeugt das Ensemblemitglied als zwiespältige, widersprüchliche Frau, die von Don Giovanni schamlos betrogen wurde, ihn aber weiter liebt und bis zum Schluss die Hoffnung nicht aufgibt, ihn bekehren und zurückgewinnen zu können. Zámecnikovás Donna Anna zeigt sich anfangs noch etwas unsicher, was ihre Beziehung zu Don Giovanni betrifft, entwickelt aber, ab der Arie „Or sai chio l’onore“ von Mal zu Mal mehr Selbstbewusstsein und hinterlässt, eingebettet in einem durchwegs hervorragenden Gesangsensemble, den stärksten Eindruck des Abends, was ihr bei ihrem letzten Bekehrungsversuch in der Arie „L’ultima prova dell’amor mio“ auch den stärksten Applaus beschert.
Erfreulich ist auch das Debüt von Isabel Signoret als Zerlina. Ihr schlanker, fein timbrierter Mezzo und ihre Spiellaune sind gute Voraussetzungen für eine erfrischend natürliche Schönheit vom Land, die sich – in einer nicht ungefährlichen Kombination aus Naivität, Neugier und Flirtseligkeit – den Verführungskünsten Don Giovannis ausliefert und ohne die Interventionen von Donna Anna, Donna Elvira (Kate Lindsey), Don Ottavio (Dmitry Korchak) und ihres eifersüchtigen Bräutigams (Martin Hässler) diesen wohl zum Opfer fallen würde.
Das Orchester der Wiener Staatsoper kennt und kann Mozart naturgemäß aus dem ff. Dass Dirigent Antonello Manacorda dennoch, wie man es von ihm gewohnt ist, stets temperamentvoll und leidenschaftlich agiert, ist aber kein Schaden, unterbindet es doch möglicherweise sich einschleichende Routine. Die Koordination mit dem Bühnenorchester – zuerst ein Bläseroktett und dann ein weiblich besetztes Streicherensemble – funktioniert ausgezeichnet. Fazit: ein feuriger, vom Auf und Ab starke Emotionen geprägter Abend mit feinen Ensembles und Arien, in denen das von Mozart und seinem Librettisten profund ausgeleuchtete Innere der jeweiligen Person Ausdruck gewinnt.
Viel und begeisterter Applaus, den sich auch der markante Komtur von Ain Anger wohl verdient hat.