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WIEN / St. Ulrichs-Kirche: Eröffnung des Festivals FREMDE ERDE

20.09.2024 | Konzert/Liederabende
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Juliette Mars (Mezzosopran), Florian Berner (Cello). (Handy-)Foto: M. A. Schmid

WIEN / St. Ulrichs-Kirche: FESTIVAL VERFEMTE MUSIK Eröffnungskonzert

19. September 2024

Von Manfred A. Schmid

Unter dem Titel FREMDE ERDE werden im Rahmen des Festivals Verfemte Musik in Wien Neubau Werke von Komponistinnen und Komponisten zur Aufführung gebracht, die als Opfer des Naziregimes verfemt und verfolgt wurden und in Vergessenheit geraten sind. Das von VIVA LA CLASSICA in Zusammenarbeit mit dem Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien und Exilarte Zentrum für Verfolgte Musik durchgeführte Festival wurde mit einem fulminanten, aber z.T. auch emotional aufwühlenden Konzert in der St. Ulrichs-Kirche eröffnet. Der Kirchenraum erweist sich dabei als sehr konzerttauglich, die Interpretationen der durchwegs erstklassigen Musikerinnen und Musiker geben einen starken Eindruck von den schöpferischen Qualitäten der präsentierten Werke, die zum Teil schon vor der Emigration, oft aber auch erst im Exil entstanden sind.

Viele der präsentierten Werke sind geprägt von bitteren Erfahrungen, wie etwa das Lied „Versunken“ aus dem dramatischen Liederzyklus The Song of Terezin“ von FRANZ WAXMAN (1906-1967), von der Mezzosopranistin Juliette Mars und Luisella Germano am Klavier intensiv gestaltet, oder in den Chansons von ILSE WEBER (1903-1944), in denen die tschechische Autorin und Liedermacherin sich sehnsuchtsvoll an ihren Sohn Hanus wendet, den sie vor ihrer Einlieferung ins KZ per Kindertransport nach England geschickt hat („Brief an mein Kind“), während sie in „Wiegala“ die von ihr in der Krankenstube betreuten Kinder in Theresienstadt in den Schlaf wiegt. Die aus Norwegen stammende Sängerin und Schauspielerin Bente Kahan, die sich selbst an der Gitarre begleitet, gestaltet die beiden herzzerreißenden Lieder so berührend, dass nicht nur sie Tränen in den Augen hat. Ilse Weber meldete sich übrigens freiwillig dazu, die Kinder bei ihrem Abtransport nach Auschwitz zu begleiten, wo sie mit ihnen gleich nach der Ankunft ermordet wurde.

Neben hierzulande weitgehend noch wenig bekannten Komponistinnen wie VALLY WEIGL (1894-1982), von der das Lied „Living a Life“ mit Juliette Mars und Florian Berner (Cello) sowie ein Satz („Vermont Nocturne“) aus ihrer New England Suite zu hören war, und VITEZSLAVA KAPRALOVA (1915-1940) mit ihrer spätromantisch geprägten Sonata Appassionata op. 6, brillant dargeboten daraus das einleitende „Maestoso“ von der polnischen Pianistin Joanna Sochacka, stehen auch Werke von bereits bekannteren Namen auf dem Programm: Von KAROL RATHAUS (1895-1954) erklingt der lebensfrohe, hurtige „Epilog“ aus dessen Trio für Klarinette, Violine und Klavier op. 53 (Mateusz Kasprzak-Labudzinski, Piotr Lato, Joanna Sochacka), von MIECZYSLAW WAJNBERG (1919-1996), der als Opernkomponist in den letzten Jahren spät aber doch entdeckt wurde, erklingt der 3. Satz „Adagio“ aus der Sonata für Klarinette und Klavier op. 28, dessen helle, klangvolle Struktur, mit einigen dramatischen Kadenzen versehen, kaum erahnen lässt, dass das Werk mitten im Krieg entstanden ist. Piotr Latos musikantische Interpretation lässt auch Klezmer-Ankläge vernehmen.

Gleich mit drei Kompositionen ist der in Wien geborene ERICH ZEISL (1905-1959) im Eröffnungskonzert vertreten. Sein Enkel Randy Schoenberg, der neben Arnold Schönberg mütterlicherseits auch Erich Zeisl zum Großvater hat, ist Ehrengast des Festivals und richtete bei der Eröffnung ein paar Worte an das Publikum. Nach dem grübelnden, expressiven „Andante Religioso“ aus Zeisls Brandeis Sonata II interpretiert der Bariton Adrian Eröd, mit Luisella Germano am Klavier, das hintergründig sinnige Lied „Der Mond steht da“ nach einem Text von Christian Morgenstern, gefolgt von dem erschütternden „Komm, süßer Tod“, von Zeisl 1938 in seiner Geburtsstadt Wien komponiert: sein letzte Lied in deutscher Sprache, ein bitterer Abschied.

Ein Meisterwerk ist die Cellosonate von SZYMON LAKS (1901-1983), die 1936 in seiner Wahlheimat Paris uraufgeführt wurde und durchaus französisch-neoklassizistische Züge aufzuweisen hat. Vor allem der 3. Satz Perpetuum mobile, vom Cellisten Florian Berner und Joanna Sochacka am Klavier energisch vorwärtsstürmend gestaltet, erinnert an sein großes Vorbild  MauriceRavel.

Das fulminant von Mateusz Kasprzak und Joanna Sochacka vorgetragene „Allegro passionato, ma non troppo mosso“ aus der Sonate für Violine und Klavier der niederländischen Komponistin und Pianistin HENRIETTTE BOSMANS (1895-1952) sorgt für einen kraftvollen Abschluss des mit viel Applaus gefeierten Eröffnungskonzerts des Festivals FREMDE ERDE, das in Wien Neubau bis 28. September noch viele Überraschungen, lohnenswerte Entdeckungen und interessante Begegnungen zu bieten hat.

 

 

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