Hospital-Trilogie des „sirene“-Operntheaters: Teil III: „Soma“ von Christof Dienz (Vorstellung: 30. 11. 2016)
Copyright: Armin Bardel
Am 30. November fand in der Wiener Kammeroper mit der letzten Vorstellung der Oper „Soma“ von Christof Dienz der Abschluss der Hospital-Trilogie des „sirene“-Operntheaters statt. Diese Trilogie thematisierte bekannte Begriffe der medizinischen Ethik, den Organhandel, die oftmals nicht eindeutige Grenze zwischen Leben und Tod, die Unbarmherzigkeit und die Ökonomie des Krankenhausalltags, erforschte andererseits auch die Grenzen zur Metaphysik.
Die Handlung der Oper „Soma“, des dritten Teils der Trilogie, deren Libretto ebenfalls Kristine Tornquist verfasste: Die ersten Patienten dieses Tages in der Notfallsambulanz sind das Ehepaar Maria und Josef Winter. Doch eine ältere Dame drängt sich vor. Die Aufzählung ihrer Symptome lässt den Oberarzt sofort die Hypochonderin erkennen, er übergibt sie zur Behandlung an den unerfahrenen und überforderten Turnusarzt. Eine ehrgeizige Kollegin redet ihm ein, eine teure Computertomographie der Patientin zu machen. Da die Forscherin bestimmte Aufnahmen für ihre Studie benötigt, nützt sie die Gelegenheit und legt sich auch selbst in die Röhre. Auf einem CT-Bild ist ein Tumor zu sehen, das andere zeigt ein unauffälliges, gesundes Gehirn. Im Gegensatz zum Turnusarzt, der sich fürchtet, die schlechte Nachricht zu überbringen, ist die Forscherin entzückt, denn es scheint sich genau um jene Art von Tumor zu handeln, die sie erforscht. Sie übernimmt die unangenehme Aufgabe, die Patientin aufzuklären. Nach einer Kaffeepause, in der die Tür zum Bereitschaftsraum geschlossen bleibt, schimpfen die Ärzte über die Patienten – und im Warteraum schimpfen die Patienten über die Ärzte, die sich nicht genug Zeit nehmen. Nach der Pause muss der Ehemann der leidenden Patientin eingestehen, dass seine Frau nicht versichert ist. Triumphierend verweist die Schwester ihn wieder auf den Warteplatz. Bei der Vorbereitung zur Überweisung für die Tumorpatientin entdeckt der Turnusarzt den Fehler: die beiden CT-Bilder der Patientin und seiner Kollegin wurden vertauscht – der Tumor ist im Kopf der Ärztin. Der nächste Patient wird ins Untersuchungszimmer gerufen, doch keiner kommt. Im Wartezimmer hat inzwischen Frau Winter unter tatkräftiger Hilfe anderer Notfallpatienten ihr Kind geboren. Weder das Leben noch der Tod lassen sich aufhalten…
Christof Dienz (1968 in Innsbruck geboren) studierte in Wien Fagott an der Universität für Musik und darstellende Kunst. Werke von ihm wurden vom Klangforum Wien (Sylvain Cambreling), vom Tiroler Symphonieorchester (Otto Tausk) und vom Brucknerorchester Linz (Dennis Russel Davies) uraufgeführt. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen und veröffentlichte auch etliche CDs. Aus einem im Programmheft abgedruckten Interview mit dem Komponisten über seine Arbeit an der Oper „Soma“ zwei Zitate: „Ich habe versucht, aus den realen Soundscapes eines Krankenhauses die Keimzellen für meine Musik herauszufiltern und daraus dann in sich logische Musik zu entwickeln. Unabhängig davon spielen accelerando und ritardando eine große Rolle – warum, weiß ich nicht. Auch habe ich versucht, jedem Charakter eine bestimmte Klangfarbe und ein musikalisches Umfeld zuzuordnen. … Die glatten, knalligen, abgeschnittenen Sounds stehen für das aalglatte, rücksichtslose Karrierebewusstsein, die unreinen, fahrigen Klänge für die Unsicherheit und Verletztheit, mit der alle im Krankenhaus vorder- oder hintergründig konfrontiert sind.“
Im dritten Teil der Hospital-Trilogie arbeitete die Regisseurin Kristine Tornquist den Gegensatz Spitalspersonal – Patient zu stark heraus und lässt ihn in einem Schreiduell eskalieren, das die meisten der Zuschauerinnen und Zuschauer alles andere als lustig fanden. Auch artete die Szene mit der Tumor-Verwechslung zu stark ins Kabarettistische aus. Obwohl viele weibliche Besucher des Publikums hellauf lachten, wirkte dieser Humor pietätlos. Man könnte ihn auch als „pechschwarzen Humor“ bezeichnen. Bei diesem Thema nicht jedermanns Sache.
Vom Sängerensemble waren im dritten Teil noch vertreten: der Tenor Markus Miesenberger in der Rolle des eitlen Oberarztes Dr. Kross, der Bariton Georg Klimbacher als unsicherer Turnusarzt Dr. Klein und die bosnische Mezzosopranistin Maida Karišik als adrette Oberschwester Angelika sowie der Bariton Johann Leitgeb, der neben dem Hilfspfleger Heini auch den „Prometheus“-Adler (aus dem ersten Teil der Trilogie) zu spielen hatte, der die vom Tumor befallene Ärztin im Rollstuhl von der Bühne fährt. Der Bariton Clemens Kölbl gab diesmal einen Simulanten und den persischen Taxifahrer Asseryani, der früher Arzt in Teheran war und sich in der Schluss-Szene noch sehr hilfreich zeigen sollte.
Neu und zu einer Hauptrolle avancierte die Wiener Sopranistin Romana Amerling in der Rolle der Ärztin Dr. Bandura. Sie hatte die schwierige Situation der vertauschten Befunde nach der Computertomographie zu bewältigen – und tat es mit Bravour. Ihre Klage-Arie „Raubtier, beiß mich nicht“ trug sie in höchsten Tönen meisterhaft vor. Auch schauspielerisch konnte sie glänzen. Ihr ebenbürtig war die Mezzosopranistin Anna Clare Hauf als Notfall-Patientin Maria Winter, die schließlich auf der Bühne – unter Mithilfe der anderen Patienten – ihr Baby zur Welt bringt. Ihre „Schrei- und Press-Arie“ konnte sich hören lassen und zählte gewiss zu den Höhepunkten der gesamten Trilogie.
Den besorgten Ehegatten spielte sehr ambitioniert der amerikanische Countertenor Nicholas Spanos, die Hypochonderin wurde von der armenischen Sopranistin Astghik Khanamiryan stimmlich und schauspielerisch überzeugend dargestellt. Köstlich ihre Versuche, den jungen Arzt zu verführen.
Das zwölfköpfige Kammerorchester des „sirene“-Operntheaters wurde von François-Pierre Descamps geleitet, dem es gut gelang, die vielschichtige Partitur des Komponisten zum Erklingen zu bringen.
Das teils nachdenkliche, teils laut lachende Publikum belohnte am Schluss alle Mitwirkenden und die beiden „sirene“-Gründer Jury Everhartz und Kristine Tornquist mit lang anhaltendem Applaus, wobei die jungen Zuschauerinnen in johlenden Beifall verfielen.
Udo Pacolt