Hospital-Trilogie des „sirene“-Operntheaters: Teil II: „Nemesis“ von Hannes Löschel (Vorstellung: 29. 11. 2016)
Am 29. November 2016 kam in der Wiener Kammeroper zum letzten Mal Teil II der Hospital-Trilogie des „sirene“-Operntheaters zur Aufführung: „Nemesis“ von Hannes Löschel.
Der zum Leben erweckte Komapatient – umringt vom Spitalspersonal (Foto: Armin Bardel)
Die Handlung des zweiten Teils der Trilogie (Libretto: Kristine Tornquist) in Kurzfassung: Professor Jessing hat eine neue Therapie entwickelt, die vor allem schwersten Koma-Fällen helfen soll. Nach der Visite bei einem bereits aufgegebenen Patienten, an dem die neue Therapie demnächst ausprobiert werden soll, wird die zufällig zurückbleibende Schwester Sanjivani Zeugin einer mystischen Erscheinung: der Komapatient El Azar schwebt eine Armlänge über dem Bett. Nach diesem Erlebnis ist sie verstört und findet nicht mehr richtig in ihren Dienstalltag zurück. Sie vertraut sich nur dem Stationsdiener an. Prof. Jessing gelingt es, den Komapatienten wieder ins Leben zurückzuholen, doch hat er keine Lebensenergien mehr und sehnt sich in den Tod zurück. Die Psychologin der Klinik attestiert ihm traumatische Depressionen. Keine Therapie spricht an, der zum Leben Erweckte hat den Schatten des Todes sichtbar über sich, die Lebenden meiden ihn. Nur die pakistanische Krankenschwester ist von ihm angezogen, sie ist die einzige, die ihn zu verstehen glaubt. Schließlich tötet sie ihn mittels einer Überdosis. Prof. Jessing nimmt die Verantwortung auf sich, tritt zurück und geht in Pension.
Der Komponist Hannes Löschel (1963 in Wien geboren) ist auch Musiker, Ensembleleiter und Produzent. Er studierte Klavier an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien und beschäftigte sich neben rein musikalischen Projekten vermehrt mit Produktionen im stiloffenen, spartenübergreifenden Bereich mit Musik im Zusammenhang mit Objekten, Performance, Theater, Tanz und auch Film. Für seine Kompositionen wurde er bereits mit mehreren Preisen ausgezeichnet.
In einem unter dem Titel „Eine Realität, die uns alle betrifft“ im Programmheft veröffentlichten Interview des Komponisten beantwortete Hannes Löschel Fragen zu seiner ersten Oper. Daraus einige Zitate: „Das Krankenhaus nicht nur als – sehr beliebtes – Sujet diverser TV-Serien, sondern als Zentrum einer Operntrilogie war schon sehr reizvoll. Ein peripherer atmosphärischer Hintergrund an Grundstimmung ist inspiriert von der TV-Serie ‚The Kingdom‘ von Lars von Trier, die in den 80er-Jahren gelaufen ist. Düster, geheimnisumworben, manchmal futuristisch. Ich selbst habe mit 19 ein Jahr Medizin studiert und parallel dazu an der Psychiatrischen Anstalt Steinhof mit Oligophrenie-Patienten und anschließend auf der Internen im ehemaligen Elisabethspital praktiziert. Ich schätze, es ist ein Zufall, aber: Mit dem Ambiente kann ich viel anfangen.“
In der Oper „Nemesis“ wurde auch eine Klangmaschine von Paul Skrepek eingesetzt. Dazu ein paar Zitate des Komponisten: „Ein wundersames Objekt aus dem wunderbaren Maschinenfuhrpark Paul Skrepeks, der mit seinen Objets trouvets immer wieder neue Schnittstellen und Spielräume zwischen Mensch und Maschine findet. Hier ist es die Maschine, die den Patienten am Leben erhält, durch ihr Abschalten seinem Leben auf die Sprünge hilft und auf die letztlich doch wieder zurückgegriffen wird. Sie steht auf der Bühne als Orchestrion der Lebenserhaltung. Ein Herzkasper nahe dem Herzkasperl. Ein Lebensspender, selbst stets mit einem Fuß am Abgrund…“
Auch im zweiten Teil der Hospital-Trilogie wartete Kristine Tornquist, die gemeinsam mit Cornelius Burkert zusätzlich für die Bühnengestaltung verantwortlich zeichnet, mit einer stimmungsvollen Inszenierung auf, die auch mit einer Brise Humor durchsetzt war. Die Kostüme entwarf Markus Kuscher, für Licht und Technik war Edgar Aichinger zuständig.
Fast identisch mit dem ersten Teil der Hospital-Trilogie war das Sängerensemble. Wieder bestach der Bassbariton Rupert Bergmann als Prof. Jessing durch seine Wortdeutlichkeit und seine große Bühnenpräsenz, wobei er die Überheblichkeit als Chefarzt noch stärker ausspielte. Ebenso überzeugend der Tenor Markus Miesenberger als Oberarzt Dr. Kross und der Bariton Georg Klimbacher als junger Turnusarzt Dr. Klein.
Zu einer Hauptrolle avancierte im zweiten Teil der Trilogie die polnische Sopranistin Ewelina Jurga als pakistanische Krankenschwester Sanjivani. Sie bot als barmherzige Schwester und „Todesengel“ sowohl durch ihren Schmelz in der Stimme wie auch durch ihre Darstellung der Rolle eine exzellente Leistung. Gut zu gefallen wusste auch wieder die bosnische Mezzosopranistin Maida Karišik als Oberschwester Angelika.
Vielseitig zeigte sich der Bariton Johann Leutgeb. Routiniert spielte er neuerlich den Hilfspfleger Heini und dazu auf sehr humorvolle Art den Krankenhaus-Seelsorger Pater Koloman. Eine kabarettreife Leistung! Den meist stummen Koma-Patienten El Azar gab der amerikanische Countertenor Nicholas Spanos. Seine Tochter Zahra wurde von der griechischen Mezzosopranistin Elsa Giannoulidou gegeben, die auch die Psychologin Mag. Lausch spielte.
Vom Balkon aus verkörperten die beiden Sopranistinnen Susanne Kurz und Claudia Haber sowie der japanische Tenor Yo Sato und der Bariton Clemens Kölbl die „Zeit“ – ihr Schlussgesang: „Morgens um sieben schlägts zum Appell, hastig sammeln sich in Reih und Glied die Körperteile ein.“
Das zwölfköpfige, mit Jazz-Instrumenten verstärkte Ensemble wurde von Jury Everhartz geleitet, der 1998 gemeinsam mit Kristine Tornquist das inzwischen so erfolgreiche „sirene“-Operntheater gründete. Das Publikum in der vollbesetzten Wiener Kammeroper belohnte nach eineinhalb Stunden Spieldauer alle Mitwirkenden sowie den Komponisten mit lang anhaltendem Applaus.
Udo Pacolt