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WIEN/ Servitenviertel/ Bach Consort Wien: Zyklus „ViertelBarock“ – „Wie Gott in Frankreich, versus „Small is beautiful“

12.09.2020 | Konzert/Liederabende

  • „Wann kommt das Echo?“ (Kinderfoto). Foto: Andrea Masek

WIEN/Servitenviertel: BACH CONSORT WIEN setzt kleinen aber feinen Zyklus „ViertelBarock“ fort

„Wie Gott in Frankreich, versus „Small is beautiful“

11.9. 2020 (Karl Masek)

Keine Angst, jetzt kommt kein Exkurs über Leopold Kohr und seine Wirtschaftsphilosophie! Aber ich komme unwillkürlich auf diesen Titel!

Noch bevor die großen Wiener Konzertveranstalter die Saison voll anlaufen lassen (immer mit dem Corona-Schreckensszenario, wird das überhaupt funktionieren, liest man die neuesten Nachrichten, während dieser Bericht entsteht!), gibt es in Wien regionale musikalische Aktivitäten vom Feinsten. In diesem Fall outdoor (der Wettergott spielte perfekt mit, ein  Ausweichen in die Servitenkirche wäre eingeplant gewesen!).

Eine pittoreske Mischung aus „Barocker Straßenmusik“ vor der Servitenkirche und anschließendem Konzert im Innenhof  derselben haben sich umtriebige und engagierte Menschen von servitenviertel.at und den tollen Mitgliedern des Bach Consort Wien, angeführt von Agnes Stradner und Rubén Dubrovsky, ausgedacht.

„ViertelBarock“ war Anfang Juli  der Ausgangspunkt, dem kunst- und menschenfeindlichen Virus etwas entgegen zu setzen. Dieser Anfangserfolg ermutigte zur Fortsetzung!

Nun: der 11.9. war ein perfekter Spätsommertag. 25, 26 Grad Celsius. Kein Wölkchen am Himmel. Besser geht es gar nicht, um 16.00 Uhr barocke Straßenmusik am Platz vor der Servitenkirche erklingen zu lassen!

  • „Ludwig XIV“ und „Jean Baptist Lully“: Katharina Humpel und Ana Ines Feola. Foto: Andrea Masek

Die beiden Oboistinnen des Bach Consorts, Ana Ines Feola und Katharina Humpel, spielten spritzige Duette für Blockflöte und Oboe. Sie taten das nicht nur mit hochsensibler Hinwendung an eine Zeit, die an die vier Jahrhunderte zurück liegt. Sie schlüpften auch „optisch“ in diese Zeit, führten uns in die Ära  Ludwigs des Vierzehnten in Frankreich zurück. Und das gar nicht opulent: Bloß zwei Figuren! „Ludwig XIV.“ setzte sich eine „Krone“ auf, wie sie Kinder in heutigen Restaurants kriegen – die zweite Figur war „Jean Baptiste Lully“ – ohne jede Kostümierung.

Musikalisch lenkte man die Aufmerksamkeit der BesucherInnen, darunter viele Kinder von 2 Jahren aufwärts, mit viel Charme auf Spezialitäten „Barocker Programmmusik“. Allerlei Vogelstimmen von Nachtigall bis Amsel  gab es da zu hören, von „Anemonen“ bis zum „Königlichen Jasmin“ verbreiteten viele Blumen und Blüten  betörenden „musikalischen Duft“ vor der Servitenkirche. Echowirkungen erhöhten die Aufmerksamkeit der Kleinsten zusätzlich, wenn eine „Schalmei“ am Podium verblieb, die andere plötzlich relativ weit entfernt, beinahe vom Schanigarten eines Serviten-Beisls, „antwortete“. Offene Münder bei den Kleinen!

Das alles „unplugged“, ohne aufgesetzten Schnickschnack, ohne aufgeblasenes Entertainment, auch ohne Mikroports: 30 Minuten „Barocke Straßenmusik“. Wunderbar!

Weiter ging es um 17.00 Uhr im Innenhof der Servitenkirche.


Bach Consort: von links: Agnes Stradner, Joanna Kaniewska-Eröd, Sonja Leipold, Katarzyna Cichon und Ruben Dubrovsky. Foto: Andrea Masek

Fünf weitere Mitglieder des Bach Concort Wien: Agnes Stradner  und Joanna Kaniewska-Eröd (Violine), Katarzyna Cichon (Cello), Sonja Leipold (Cembalo) und dem Gründer des Edelensembles, Rubén Dubrovsky (Colascione, eine Bass-Laute)  spielten für eine knappe Hundertschaft unter dem Motto „Wie Gott in Frankreich“  zwei vielsätzige Suiten von Francois Couperin, genannt „Le Grand“ (1668-1733), auch ein Hofkomponist Ludwigs XIV, und von Jean Marie Leclair (1697-1764), einem prononcierten Violinisten, Tänzer und Ballettmeister seiner Zeit.

Frankreich und Italien befanden sich damals über lange Zeit im Kriegszustand. Hier ist natürlich der rein musikalische Aspekt gemeint, und es war kein Krieg mit Waffen, aber ein Krieg mit Schimpfwörtern, wie Ruben Dubrovsky  in einer seiner bekannt kurz-bündigen, pointierten, humorvoll-pfiffigen Moderationen anmerkte. Den Franzosen waren die Italiener zu übertrieben emotional und theatralisch, den Italienern die Franzosen wiederum zu maniriert und geziert. Jean Baptist Lully (und damit ist die Klammer zum Straßenmusik-Teil gezogen!) sah sich damals als Friedensstifter zwischen den Streitparteien.

Francois Couperin  mit seiner Suite war der Vertreter  einer Musik, speziell für den kaiserlichen französischen  Hof.  In der  eleganten, ausladenden  Ouvertüre und  in allen Tänzen kam man dem Geschmack Ludwigs XIV entgegen. Ob die deutsch-ernste Allemande, die naturgemäß lebendigere Courante, die gravitätische Sarabande, die vergleichsweise springlebendige Gigue, alles klang nobel, nach italienischen Ohren der damaligen Zeit tatsächlich nicht ohne Manierismus.

Eine Generation später: Jean Marie Leclair (1697-1764) war dann schon ein viel volkstümlicherer Vertreter (als Violinist, Tänzer und Ballettmeister). Für ihn sollte Musik direkt „ins Ohr und in die Beine gehen“ (sie sollte „Geschmack“ haben) und zum Tanz, jenseits eines höfischen „Benimm-Codex“ animieren – und für die Bürger sein. Recreation de Music!

Ruben Dubrovsky und sein eingeschworenes Team gestalteten beide Spielarten mit musikantischer Spiellust, perfekt austarierter Klarheit.  Die zarten Cembalo-Klänge (Sonja Leipold brachte sich gut hörbar ein) waren als feines Zentrum wahrzunehmen. Agnes Stradner und Joanna Kaniewska-Eröd spielten all ihre Erfahrung aus, Katarzyna Cichon steuerte edle Cello-Töne bei – und Ruben Dubrovsky  (normalerweise Cellist) war  diesmal als Colascione-Stimme ein Bassfundament von besonders temperamentvollem Zugriff.

Höhe- und Schlusspunkt des Nachmittags der Schluss-Satz der Leclair-Suite, Les Tambourin. War schon die Sarabande Leclairs mit einer Melodienseligkeit eine besondere Omelette surprise (fernab von Couperins Sarabande überbordend mit überraschenden Modulationen und Tonartenwechseln), so war „Les Tambourin“ von wilder Ungebärdigkeit.

Das Sechseläuten der Servitenkirche (seit Urzeiten stur um 18.00 Uhr, ob Konzert oder nicht) wird, so hat es den Anschein, zur Tradition dieser Nachmittagskonzerte werden. Es ertönte mitten im wilden Schluss-Satz, trug bei zu einer herrlich-surrealistischen Polyrhythmik und Polytonalität in diesem Konzert. Ruben war dann der Einpeitscher zu einem sagenhaften  accelerando, das zu einem begeisterten Publikumsaufschrei führte.

Zugabe: Der Schlusssatz – ohne Glocken…

Karl Masek

P.S: #3 ViertelBarock im Servitenvierel,  Sa, 10.10, wenn Covid 19 möchte …

 

 

 

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