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WIEN/ Semperdepot/ „Neue Oper Wien“: STALLERHOF von Gerd Kühr (nach dem Bühnenstück von Franz Xaver Kroetz)

20.02.2022 | Oper in Österreich

Neue Oper Wien im Atelierhaus der Akademie der Bildenden Künste Wien (Semperdepot): Gerd Kühr (28.12.1952*): Stallerhof 19.2. (Premiere am 17.2.2022).

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Franz Gürtelschmied, Anna Clare Hauf. Foto: Armin Bardel

Basierend auf dem dreiaktigen Bühnenstück „Stallerhof“ (1971) von Franz Xaver Kroetz (25.2.1946*), das am 24.6.1972 am Deutschen Schauspielhaus Hamburg uraufgeführt wurde, schuf der Autor das Libretto zur gleichnamigen Oper, die als Auftragswerk der Landeshauptstadt München zur ersten Münchener Biennale 1988 uraufgeführt wurde.

Nun hat die Neue Oper Wien den „Stallerhof“ zu einer gelungenen Wiederaufführung gebracht. Die Handlung spielt um 1970 auf einem tristen Bauernhof irgendwo in Bayern. Vier Personen dominieren das Geschehen: der Bauer Staller und seine Gattin, die Stallerin, deren behinderte Tochter Beppi und der Knecht Sepp. Pädophilie, Abtreibung, ja sogar Mord bilden hier einen Teil des Lebens, werden aber vom alles dominierenden Katholizismus unter den Tisch gekehrt, selbst als Beppi vom Knecht verführt wird und schließlich ein Kind von diesem erwartet. Man will es abtreiben, aber Beppi, die immer nur herumgestoßen wird, weigert sich, emanzipiert sich erstmalig in ihrem Leben und will das Kind austragen, obwohl der Knecht bereits das Weite gesucht hat.

Die Regisseurin Shira Szabady verlegt die Handlung auf ein stufenförmiges Podest, auf dem sich einige Sesseln und das Staller‘sche Bett befinden. Durch Luken kann man in den „Keller“ hinabsteigen, wo Beppi auch geschwängert wird (Ausstattung: Nikolaus Webern, Lichtdesign: Norbert Chmel). Kroetz‘ bitterböses Stück gewinnt gerade in der heutigen Zeit an Aktualität, weil das Thema des sexuellen Missbrauchs omnipräsent geworden ist und viele Jugendliche im Lockdown auch Lese- und Lernschwierigkeit entwickelt haben, an denen Beppi offenbar leidet. Beppi ist nicht dumm, vielleicht nur naiv, weil ihre Eltern ihr keine Liebe entgegenbringen und sie daher nur allzu leicht den Verführungen des Knechts unterliegt, der sie zu einer Fahrt mit der Geisterbahn einlädt, wo sie aus Angst in die Unterhose nässt und der Knecht sie abtrocknen muss.

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Ekaterina Protsenko , James Toklsdorf. Foto: Armin Bardel

Rein optisch gesehen passen die Darsteller altersmäßig nicht zusammen. Franz Gürtelschmied spielt einen noch jungen Staller, die ganze Zeit mit einer Unterhose bekleidet und mit scharfem Tenor. Man glaubt zunächst, er sei der Knecht, während Anna Clare Hauf mit ihrem robusten Mezzo als bereits in die Jahre gekommene Stallerin in ihrer schäbigen Kleidung, keinerlei Mutterliebe für Beppi, ihre behinderte Tochter, empfindet. Als „Fremdkörper“ wirkt hier rein optisch James Toklsdorf mit. Er ist wahrlich kein Knecht, sondern eher der noble junge Herr aus Schnitzlers „Reigen“ in Anzug und weißem Hemd. Passend ist lediglich sein gut geführter Bariton. Den Abend beherrscht aber Ekaterina Protsenko als arme Beppi. Ursprünglich hat sie in der Theaterfassung kaum Text zu sprechen. Dieses Manko einer Oper hat der Librettist Kroetz dadurch ausgemerzt, indem Beppi nun als „Arie“ Kinderreime singen darf. Vergeblich versucht sie aus diesem vergifteten Milieu von Zurechtweisung und begrapscht Werden zu entfliehen und sendet gleichsam als „Hilfeschrei“ eine schwarze Schachtel mit einem Zettel darin, die an einer Schnur hängt, über die Köpfe des Publikums hinweg, wo sich diese öffnet und der Zettel zu Boden fällt. Jeder der drei Akte wird von Kühr mit einem Damentrio (Ekaterina Krasko, Hannah Fheodoroff und Elisabeth Kirchner), der an den Chor in den griechischen Tragödien erinnert, eingeleitet. Dieser Chor singt in eleganten schwarzen Abendkleidern Passagen aus dem Pentateuch.

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Ekaterina Protsenko, Franz Gürtelschmied, James Toklsdorf. Foto: Armin Bardel

Walter Kobéra leitete das 18-köpfige amadeus ensemble-wien geschickt durch die wechselnden tonalen, wie atonalen Sequenzen in Kührs effektreichen Partitur, deren fallweise eingestreute Folklorezitate eine abgrundtief entmenschlichte ländlich bäuerische Welt erahnen lässt. Flöte und Violine sind Beppi gewidmet, Viola, Violoncello und Kontrabass sind dem Knecht Sepp vorbehalten. Eine ganze Batterie an Holzbläsern charakterisieren das Stallersche Ehepaar, beginnend mit der hohen Piccolo- und Altflöte, über Oboe, Englischhorn, zu den tiefen Klarinetten, Bassklarinette, Bassetthorn, Fagott und Kontrafagott. Dazu gesellen sich noch die Blechbläser mit Horn, Trompete und Posaune, ein umfangreiches Schlagwerk, sowie eine Harfe und ein Hackbrett.

Am Ende der knapp 100-minütigen, pausenlosen Aufführung gab es großen Beifall für alle Mitwirkenden. Man war um eine musikalische Rarität reicher geworden und so soll es ja auch sein!

Harald Lacina

 

 

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