Adrian Eröd als Bediensteter Jean (Copyright: Armin Bardel)
Großer Erfolg für die Neue Oper Wien: „Julie & Jean“ von Gerhard Schedl (Premiere: 19. 9. 2018)
Mit ihrer neuesten Produktion im Wiener Semperdepot – „Julie & Jean“ von Gerhard Schedl – feierte die Neue Oper Wien einen großen Publikumserfolg. Das Musiktheater mit dem Untertitel Ein Match in zwölf Runden nach Motiven von August Strindbergs bekannten Drama Fräulein Julie wurde Anfang August 2003 am Salzburger Landestheater als Koproduktion mit dem Festival Klangbogen Wien uraufgeführt und wenige Tage danach im Semperdepot in Wien gezeigt. Es war eine posthume Uraufführung, da der Komponist Gerhard Schedl (geboren 1957 in Wien) im Jahr 2000 Selbstmord verübt hatte.
Der Inhalt der Oper, dessen Libretto Bernhard Glocksin verfasste, ist ein Kampf der Geschlechter, der auf Dialogebene zwischen Julie, einem Fräulein der „guten Gesellschaft“, und Jean, einem Bediensteten, stattfindet. Die gesellschaftliche Ebene wird durch den Chor repräsentiert, der die Normen des christlichen Abendlandes widerspiegelt. Daneben gibt es noch die Ebene des Traums, in der die beiden auf einer anderen Stufe des Bewusstseins miteinander „kommunizieren“. Am Schluss gibt Julie den Kampf auf und begeht Selbstmord.
Zu der von August Strindberg geschaffenen Figur der Julie ist im Programmheft ein Zitat des schwedischen Dichters abgedruckt: „Fräulein Julie ist ein moderner Charakter: zwar hat es das Halbweib, die Männerhasserin zu allen Zeiten gegeben, doch wurde das Phänomen jetzt erst wahrgenommen; es trat in unseren Tagen in Erscheinung und machte großen Wirbel. Das Halbweib ist der Typus, der sich vordrängt, sich jetzt für Macht, Orden, Auszeichnungen und Diplome wie früher für Geld verkauft und auf Entartung hindeutet. Es handelt sich um keine gute Art, denn sie hat keinen Bestand, pflanzt sich aber leider mit ihrem Elend in der nächsten Generation fort.“ Schon dieser Teil des Zitats lässt tief blicken.
Der venezolanische Regisseur Carlos Wagner, der schon lange Zeit mit der Neuen Oper Wien zusammenarbeitet, schuf eine packende Inszenierung, in der die Traumfiguren Julie und Jean durch Tänzer dargestellt werden. Eine gelungene Idee, durch die die Träume auf künstlerische Art illustriert wurden. Dazu im Programmheft abgedruckte Zitate des Regisseurs: „Ich inszeniere die Szenen, in denen nur Julie und Jean auf der Bühne sind, ganz naturalistisch und nehme damit Bezug auf Strindberg. Die Traumszenen werden hingegen stark stilisiert und durchchoreographiert. … Genauso wie die Musik mehrere Ebenen schafft, versuchen wir auch verschiedenartige szenische Mittel einander gegenüberzustellen, um der Breite des Werkes zu entsprechen.“ Dieser Versuch ist voll geglückt!
Julie (Anna Maria Pammer) und Jean (Adrian Eröd) als Liebespaar (Copyright: Armin Bardel)
Die beiden Darsteller des Geschlechterkampfs überzeugten sowohl stimmlich wie auch darstellerisch. Die in Linz geborene und international bereits bekannte Sopranistin Anna Maria Pammer spielte zwar kein „unbedarftes Fräulein“, sondern eher eine zielstrebige junge Frau, die schließlich den Kampf gegen den Mann aufgibt, bewältigte aber alle sängerischen Anforderungen mühelos. Exzellent der Wiener Bariton Adrian Eröd, der bereits auf fast allen großen Opernbühnen der Welt Erfolge feierte, in der Rolle des Jean. Zu Beginn vor allem ein aufmerksamer Bediensteter, der seine Männlichkeit von Runde zu Runde stärker betonte und mit seiner klaren, volltönenden Stimme das Publikum für sich gewann. Besonders einprägsam sein großer Spiegelmonolog.
Die Traum-Julie wurde von der Salzburger Tänzerin Pamina Milewska gespielt, die mit ihrer grandiosen Luftakrobatik bezauberte. Ihr kongenialer Partner war der brasilianische Tänzer Will Lopes als Traum-Jean. Auch er überzeugte durch seine tolle Akrobatik. Die große Liebesszene von Julie und Jean illustrierten die beiden Tänzer, indem sie auf ästhetische Art und Weise splitternackt posierten.
Starken Eindruck hinterließ auch der Wiener Kammerchor mit seinen religiösen Gesängen (Einstudierung: Bernhard Jaretz). Überdies wirkte er in einigen Szenen auch darstellerisch exzellent, wie beispielsweise beim Mitsommernachtsfest, bei dem die Damen des Chors erotisch-elegant kostümiert waren (Kostüme: Anna Kreinecker, Masken & Bühne: Andrea Cozzi). Für das Lichtdesign war Norbert Chmel verantwortlich.
Die emotional und oft sehr dramatisch klingende Musik des Komponisten, die aber auch zarte Klänge aufwies, wurde vom Orchester amadeus ensemble-wien unter der bewährten Leitung von Walter Kobéra, der seit 1993 Intendant der Neuen Oper Wien ist, nuancenreich wiedergegeben.
Das begeisterte Publikum feierte alle Mitwirkenden mit nicht enden wollendem Beifall, wobei Adrian Eröd und Anna Maria Pammer sowie die beiden Tänzer und das Regie-Team mit vielen „Bravi“-Rufen bedacht wurden. Der Dirigent Walter Kobéra und sein Orchester erhielten zum Schluss noch verdienten Extra-Applaus.
Udo Pacolt
PS: Die Oper (Dauer etwa 90 Minuten, keine Pause) wird noch am 22., 23. und 25. 9. im Semperdepot gespielt.