Premiere „Baruchs Schweigen“ von Ella Milch-Sheriff, ÖEA 08.09.2016 EntArteOpera im Semperdepot
AUFSCHREI DES SCHWEIGENS
Schlussapplaus. Foto: Sebastian Kranner
Das bemerkenswert mutige Festival EntArteOpera zeigt im Wiener Semperdepot die österreichische Erstaufführung der Oper „Baruchs Schweigen“ von Ella Milch-Sheriff. Dies ist der Intendantin Susanne Thomasberger sehr hoch anzurechnen. Die ausverkaufte Premiere war ein großer Erfolg!
Zum Inhalt:
Eine Tochter fühlt sich von ihren Eltern belogen. Baruch, der Vater, und seine Frau schweigen. Die Tochter erfährt erst nach dem Tod ihres Vaters von dessen erster Familie. In seinem Tagebuch sind die Schicksalsschläge, die ihm während des zweiten Weltkrieges versetzt wurden, niedergeschrieben. Seine erste Frau und sein Sohn starben auf der Flucht vor den Nazis. Seine zweite Frau lernte er erst nach dem zweiten Weltkrieg kennen. Diese wurde vergewaltigt und konnte dieses Erlebnis nie verarbeiten. Die Tochter vergibt ihren Eltern und bricht so das jahrelange Schweigen.
Diese Tragödie ist der Komponistin Ella Milch-Sheriff tatsächlich widerfahren. Der Stoff (Libretto von Yael Ronen) wurde von Ella Milch-Sheriff großartig vertont und verdient es nicht nur anhand seiner wahren Geschichte, die ausgesprochen werden muss, sondern vor allem wegen der wirklich wunderbaren Musik, ins große Repertoire aufgenommen zu werden. Die Uraufführung war 2010 in Braunschweig.
Dem Regie-Duo Rebecca und Beverly Blankenship gelang eine packende Umsetzung. Die geniale Ausstattung wurde von Intendantin Susanne Thomasberger gezaubert. Eine rote Spielfläche und ein hab versunkenes Klavier, dazu beeindruckende Licht-Effekte (Victoria Coeln) und eine stringent durchgeführte Personenregie, mehr braucht man nicht um dieses Werk ausdrucksstark in Szene zu setzten. Die Zuschauer waren nach der Premiere ganz mitgenommen.
Baruch und die Seinen. Copyright: Julia Fuchs
Die mitreißende Sängerbesetzung, die nicht nur stimmlich, sondern auch darstellerisch alles gab, wusste zu begeistern. Allen voran die höhensichere Hermine Haselböck als zerrissene Tochter. Ihren an seiner Vergangenheit zerbrochenen Vater gab der stimmgewaltige Bass Duccio Dal Monte. Grandios der glasklare Tenor Alexander Kaimbacher als Bruder/Geist. Zur Haben-Seite dieser Aufführung gehörte ebenfalls die szenisch sehr präsente Ingrid Habermann als Mutter, ebenso wie Einat Aronstein (Erste Frau/Geist/Tochter B), Raquel Paulo (Großmutter/Geist/Frau B) sowie Karl Huml als Bauer bzw. Russischer Offizier. Einen Sonderapplaus verdient der Knabensopran Jonatan Sushon (Kind Geist/Sohn/Bruders Sohn).
Gekonnt führte der Musikalische Leiter des Festivals Christian Schulz das aus Mitgliedern der Wiener Symphonikern bestehende Kammerensemble.
Das Publikum musste sich beim Einsetzen des Applauses sichtlich noch von Gesehenen und Gehörtem erholen. Doch nach wenigen Minuten hatte man sich gefasst und Begeisterung wurde laut. Das gesamt Team wurde ordentlich bejubelt, vor allem gab es Bravos für die anwesende Ella Milch-Sheriff.
Fazit: Ein äußerst empfehlenswerter Abend! Eine Geschichte, die niemanden kalt lässt, phänomenale Musik, großartige Ausstattung, tolle Inszenierung und ein Sängerteam, das begeistert. Hingehen!
Folgevorstellungen: 09., 13., 15. und 18. September 2016 im Semperdepot.
P.S. Eine Schlüsselszene im Plot von „Baruchs Schweigen“: Auf der Flucht vor den Nazis wird der kleine Sohn aus Angst, er könnte die Flüchtenden durch sein Singen verraten, von den Verzweifelten erdrosselt. Heute (08.09.2016) war ein Bericht in der „Krone“: Ein Baby wurde betäubt um die Flüchtenden im Schlepper-Wagen durch sein Weinen nicht zu verraten. Die Verzweiflung der Menschen ist groß, gestern, wie heute.
Sebastian Kranner