WIEN / Schloss Neugebäude: DER SIMMERRING
27. September 2024 (Uraufführung 25, September 2024)
Von Manfred A. Schmid
Auf der Suche nach Inspiration für eine Oper für das Festival MusikTheaterTageWien will der Komponist die Stadt Wien verlassen, landet aber statt auf dem Semmering in Simmering, wo im Schloss Neugebäude das Publikum bereits auf die Aufführung wartet. Vor den Augen und Ohren der Zuhörerschaft räsoniert der Komponist laut und leise über Kunst und Gesellschaft, Einsamkeit im Gemeindebau und Gemeinschaft im Lustschloss, wo er in einer Hütte auf zwei Frauen trifft, mit denen er, bei einem Lagerfeuer sitzend, auch über sich als Mensch, Mann und Künstler spricht und sich mit ihnen austauscht. Mitten in Simmering, so der Komponist Alexander Chernyshkov, vollzieht sich so „die Geburt der Komödie aus den Geistern der Musik“. Die derart präsentierte Oper heißt Der Simmerring. Das doppelte R im Titel ist kein Tippfehler, sondern ist absichtlich gewählt geht es darin doch um Dichtung im doppelten Sinn des Wortes, die sich oft aber auch als ziemlich undicht herausstellt. Chernyshkov setzt auf die Produktivität und Kreativität fördernde Macht des Irrtums und des Irrens, weshalb er seine Arbeit auch „Errortheater“ nennt. Die Aufführung ist denn auch eine Produktion von Errortheater in Koproduktion mit Platypus Ensemble und MusikTheaterTageWien.
Die Oper Der Simmerring beginnt mit Vogelgezwitscher (Nachtigallen, Krähen und Möwen), man hört Trittgeräusche, das Knistern des Lagerfeuers, Gespräche. Allmählich setzt von Menschen gemachte Musik ein. Was da nach und nach geboten wird, ergibt eine bunte, abwechslungsreiche Collage aus mittelalterlichen Gesängen, Folksongs, begleitet auf der Gitarre (Alexey Potatov), Moritaten, Sprechgesang solo, im Duett, aber auch zu dritt (ausgezeichnet Marine Madelin, Márton Kocács, Miki Sasakawa), begleitet von gewohnten, bisweilen auch verfremdeten Instrumentalklängen (Platypus Ensemble) sowie auf der Trompete (Franz Hautzinger). Starke Auftritte hat auch Katelyn Rose King (Percussion), die u.a. ihre Trommeln und Pauken auch von Tennisbällen in Squash-Aktionen zum Klingen bringen lässt. Im Programm ist auch die Mitwirkung des Blasorchesters der Wiener Netze angekündigt. Das dabei versprochene „Dröhnen“ hält sich dann freilich in Grenzen, da sich das Orchester als eine Handvoll von Bläsern entpuppt, die erst gegen Schluss aufmarschieren und vor allem auch durch merkwürdige Kleidung auffallen. Witz und Humor, aber auch Verwunderung ob grotesker Behauptungen sind einkalkuliert, wenn etwa auf die Frage, wann zwei Menschen wohl am intimsten sind, erwogen wird, ob das nicht dann der Fall sein könnte, wenn beide beschließen, einen anderen Menschen zu ermorden. Was von den beiden Frauen entschieden abgelehnt wird.
Der Simmerring, angekündigt als „eine musiktheatrale Suche nach Inspiration im ungeliebtesten Schloss Wiens“, erweist sich tatsächlich als eine unterhaltsame Oper. Der Aufführungsort, ein riesiger (Ritter-?)Saal im Rohzustand, ist so passend, dass man der Behauptung „ungeliebtest“ gerne widersprechen möchte. Ebenso nicht ganz ernst zu nehmen ist die Behauptung, dass diese Oper „den künstlerischen Prozess und dessen Irrwege selbst inszeniert und komponiert“. Für die „szenische Komposition“ verantwortlich ist vielmehr der vielseitige Komponist, Performer und Improvisator Alexander Chernyshkov, dessen Werke u.a. an der Staatsoper Hamburg, dem Stanislavsky Elektrotheatre in Moskau, in den Musiktheatertagen Wien, Wien Modern, beim Steirischen Herbst in Graz und beim Maggio Fiorentino in Florenz aufgeführt wurden. Heuer wurde Chernyshkov mit dem Johann-Joseph-Fux-Preis 2024 der Steiermark ausgezeichnet. Dafür, dass die Aufführung so eindrucksvoll ablaufen konnte, war natürlich auch mühevolle Probenarbeit erforderlich. Für Bühne und Regie zeichnet Philipp Lossau verantwortlich, für die Dramaturgie Jim Igor Kallenberg. Das Ergebnis kann sich sehen und hören lassen!
Viel begeisterter und langer Applaus im auch bei der dritten und letzten Aufführung restslos ausverkauften Saal in Schloss Neugebäude.