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WIEN/ Schauspielhaus/ ImPulsTanz: DD Dorvillier mit „Dance is the archeologist or an idol in the bone“

23.07.2024 | Ballett/Performance

WIEN/ ImPulsTanz: DD Dorvillier mit „Dance is the archeologist or an idol in the bone“

Die karge Bühne mit ihrem geschwärzten Mauerwerk hinten und der morbide Charme des Schauspielhauses Wien geben eine passende Kulisse für die in Puerto Rico geborene, seit 2010 in Frankreich lebende Choreografin und Tänzerin DD Dorvillier und ihr Solo „Dance is the archeologist, or an idol in the bone.“, das sie hier als Österreichische Erstaufführung zeigt.

Minimalistisch legt sie dieses 2024 entwickelte Stück an, ohne jegliche Requisite. Von zurückhaltendem Sound und wenigen Variationen des Lichts begleitet, begibt sich DD Dorvillier, inspiriert von einem Traum, den sie nach Bewegungsübungen und Recherchen nahe einer Ausgrabungsstätte in Frankreich hatte, auf die Suche.

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DD Dorvillier: „Dance is the archeologist, or an idol in the bone.“ © Natalia Benosilio La Caldera

In der Stille beginnt sie mit dem Kreisen der Fäuste, beobachtet sie, nimmt die Arme hinzu, erschließt sich den Bühnenraum und intensiviert die Bewegungen. „What if?“ fragt sie mehrfach. Sie öffnet die Hände, vermisst Räume vertikal und horizontal, schließt abwechselnd die Augen, erforscht somit ihre Perspektive, dann das Innere ihres Körpers – sie reißt sich das Fleisch von den Armen, gräbt sich so bis auf die Knochen und also ihr Innerstes frei – und ihre Stimme („Ahhh“), balanciert auf den Ballen, erzeugt eine ungeheure Spannung.

Auch das Rohr an der Ecke ist von Interesse. Sie schreit, kreischt, quietscht, singt hohe Töne. Ihre Bewegungen untermalt sie mit Geräuschen. Als ob ein sehr alter mechanischer Apparat ächzt bei jeder Bewegung. Soundsplitter dazu. Sie quietsch mit den Schuhsohlen auf dem Boden, untersucht so den Grund, auf dem sie steht, prüft die Beschaffenheit der Oberfläche, die tiefer Liegendes verdeckt, läuft im Kreis mit einer imaginären Fahne in den Händen, schwenkt diese im Stand, streckt langsam die Arme empor und richtet die Hände wie ein Spitzdach über sich aus. Und dann geht’s zurück in die Ecke, zum Ausgangspunkt.

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DD Dorvillier: „Dance is the archeologist, or an idol in the bone.“ © Natalia Benosilio La Caldera

Dort startet sie einen zweiten Durchlauf dieser choreografischen Reihe, nun mit ganz leicht abgewandelten und wenigen hinzugefügten Gesten und den akustischen Ereignissen des ersten Zirkels als eingespielte Aufnahme. Zudem fragt sie: „What if … water?“ Und später noch: „What if … distance?“ Und als würde sie einen dritten Lauf beginnen wollen, kommt sie aus der Ecke nur noch, um sich zu verbeugen.

Wasser als geologisch wirksames Element, das weich, aber wegen seiner Stetigkeit und Beharrlichkeit härteste Realitäten zu gestalten im Stande ist, das verschüttete, zugedeckte Schichten erst freizulegen und sie dann fort zu spülen vermag, wird zur vielschichtigen Metapher. Für die Arbeit mit dem eigenen Unbewussten, für die Wirklichkeit formende Kraft der Masse, für Geduld. Die Distanz, aus der heraus sich selbst und die Welt zu betrachten eine zwingende Voraussetzung für Erkenntnis ist, führt sie als erforderliches Werkzeug in der zweiten, der „Gegenwarts-Runde“, ein.

Die Bilder, mit denen sie arbeitet, auch der unaufdringlich zugesetzte elektronische Sound von Sébastien Roux und das die Zyklen rahmend eingesetzte Saallicht (Madeline Best) unterstützen im selben Duktus, sind in ihrer Reduziertheit und Klarheit bestechend und entwickeln eine besondere poetische Kraft. Die vielen Ebenen, die damit angesprochen werden, heben diese Arbeit über eine persönliche hinaus. Die Echos der Vergangenheit in all dem, was wir sind und was die Welt ausmacht, hörbar zu machen, zu zeigen, wie aus Altem immer wieder Neues entsteht und wie jenes dieses nährt, wird zum Bild für eine eine Zukunft, die dem Heute entwachsen wird.

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DD Dorvillier: „Dance is the archeologist, or an idol in the bone.“ © Natalia Benosilio La Caldera

Die Archäologie ist in gewisser Hinsicht auch eine Wissenschaft von der Zukunft, weil das Bindeglied zwischen Vergangenheit und Zukunft Prozesse sind, deren Kenntnis das Verständnis der Gegenwart und die Vorhersage wahrscheinlicher Zukünfte ermöglicht. DD Dorvillier begibt sich mit dieser so sensibel durchgeführten Ausgrabung auf die Suche nach eigenen persönlichen, künstlerischen, ebenso aber auch sozialen, gesellschaftlichen, politischen und spirituellen Vergangenheiten und Traditionen, um deren Widerhall in der Gegenwart zu erspüren und daraus einen Ausblick auf Zukunft in unsere Vorstellung zu projizieren.

DD Dorvillier empfiehlt mit dieser in ihre Reihe „untitled landscapes“ eingebetteten bescheidenen, zärtlichen, vorsichtigen und dennoch konkreten, klugen Arbeit „Dance is the archeologist, or an idol in the bone.“ auch Bewusstheit über diese Kräfte und Prozesse. Weil diese Bewusstheit Freiheit, Kreativität und die Übernahme von Verantwortung ermöglicht und damit die Grundlagen schafft dafür, sich selbst, Zukünfte und Kunst in diesem Sinne gestalten zu können.

DD Dorvillier / human future dance corps mit „Dance is the archeologist, or an idol in the bone.“ am 21.07.2024 im Schauspielhaus Wien im Rahmen von ImPulsTanz.

Rando Hannemann

 

 

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