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WIEN/ Schauspielhaus/ ImPulsTanz: Confession Publique“ von Melanie Demers / MAYDAY

18.07.2023 | Ballett/Performance

WIEN/ ImPulsTanz im Schauspielhaus: „Confession Publique“ von Melanie Demers / MAYDAY

Die Kanadierin Melanie Demers, sie gründete 2007 ihre Tanzkompanie MAYDAY in Montréal, hatte ihr Solo „Confession Publique“ nie aufgeführt. Es ist der Performance-Künstlerin, Darstellerin, Sängerin, Dramaturgin und Pädagogin Angélique Willkie zu verdanken, dieses Stück der Vergessenheit entrissen zu haben. Willkie taucht in der 2021 uraufgeführten Arbeit tief in ihre und unsere Psyche. Ein „Duell von Intimität und Öffentlichkeit“.

Sie sitzt schon hinter ihrem von zwei chinesischen Vasen gerahmten Schlagzeug auf drei Tischen. Ihr wildes Getrommel erinnert an in der mittelalterlichen Öffentlichkeit solcher Maßen angekündigte Verlesungen hoch herrschaftlicher Kundmachungen. Denn von solchen, allerdings sehr heutigen, hat sie einiges im Gepäck. Oder in ihrem Rucksack, einem von der Art, wie wir ihn alle mit uns herumschleppen.

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Melanie Demers/MAYDAY „Confession Pubilque“ © Cloe Pluquet

Die diplomierte zeitgenössische Tänzerin Anne-Marie Jourdenais unterstützt das Solo als guter Geist aus dem Hintergrund. Sie räumt ab und um, bringt und nimmt Dinge und wird so zu einem stummen performativen Kollaborateur. Das Schlagzeug nimmt sie peu a peu zur Seite, dann übergibt ihr Willkie auch allen ihren Schmuck. Jeder Zierde entledigt beginnt sie zu erzählen von einem kleinen Mädchen namens Age, das einmal war, und dessen Mutter starb und es daher der Überzeugung war, dass alles in der Welt ungerecht sei. Und einige scheinbare Belanglosigkeiten. Später gab ihr Christian aus Basel den besten Orgasmus. Sie schleudert ein Mikro an seinem langem Kabel.

Sie singt Henry Purcells „The Fairy Queen“ sauber intoniert mit wunderbar klarer, warmer Stimme. Sie hat sich nie Knochen gebrochen, die Asche ihrer Eltern ist in ihrer Garage, hat viele Dildos, von denen einige schon kaputt sind, hat mit den Eltern und dem Baby-Bruder in einem Haus auf einem Berg gelebt. Sie hört auf, das Mikro zu schleudern, wickelt es um ihren Bauch. Soviel also zu Erinnerungen, die in ihren Eingeweiden wohnen.

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Melanie Demers/MAYDAY „Confession Pubilque“ © Cloe Pluquet

Sie zieht sich aus, steht nackt im warmen Licht, zeigt sich uns von allen Seiten. „Leiden ist Vergnügen, ist mein Schicksal.“ Sie bedeckt sich. Wellen gehen durch ihren Körper, sie streichelt sich zu lauter elektronischer Musik (Sound von Fannie Holder). Mit vorgehaltener festlicher Robe: „Das bin ich. Wie schön ich war. Die schöne Haut vergessen. Genug Zeit zum Scheißen. Expertin im Sex. Drei Abbrüche. Dicke Haut. Alles perfekt. Eine wirkliche Schlampe. Zeit, Goodbye zu sagen. Das Leben ist einfach. Augen zu und: Das bin ich! Ich wäre lieber jemand anderes.“ Archetypische Selbstbilder, auf Zetteln aus einer chinesischen Vase geholt.

Auf dem Rücken liegend, die Bass-Drum hämmert unerbittlich, drückt und quetscht sie sich die Brüste bei jedem Schlag. Der Sound wird drohender, der Rhythmus schneller. Sie bäumt sich gepeinigt auf. Sie foltert sich selbst wegen ihrer weiblichen Existenz und genießt gleichzeitig ihre Weiblichkeit. Unterdrückung, Diskriminierung, Aufbegehren, Schutzlosigkeit, Zweifel und Verzweiflung, Sexualität und vieles mehr in diesem bewegenden Bild.

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Melanie Demers/MAYDAY „Confession Pubilque“ © Cloe Pluquet

Auf dem Tisch sitzend, wie gelähmt und verrückt geworden, wird sie umständlich angezogen. „Das sind nicht meine Socken!“ Die Stimme fest, hysterisch, gestört. „Schwarze Leute hier, weiße Schlampen. Sie haben meine Haut verletzt. Wo sind meine Kinder? Sie sind wütend auf mich!“ Schwangerschafts-Abbrüche sind nicht nur unkomplizierte kleine chirurgische Eingriffe.

Doch sie richtet sich auf, wird sich ihrer Kraft bewusst. Das Wasser aus dem Eimer macht den Kopf frei, eine rituelle Waschung danach gibt spirituelle Kraft. Die wird sie brauchen. In einer Pelzjacke erzählt sie die Geschichte ihrer Vergewaltigung auf dem Schulweg. Sie singt Purcell. In Todessehnsucht. Sie trommelt. „Warum sollte ich mich beklagen?“ Immer schneller, und wirft die Sticks hinter sich.

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Melanie Demers/MAYDAY „Confession Pubilque“ © Cloe Pluquet

Melanie Demers und Angélique Willkie gelingt mit „Confession Publique“, hier in seiner Österreichischen Erstaufführung, ein poetisches, bewegendes Stück über die Ehrlichkeit in Zeiten der Selbsttäuschung, über Substanz versus Vulgarität. In der Dringlichkeit ihrer Selbstreflexion und Offenbarung liegt Edles und Erhabenes. Sie spielen mit den Polaritäten des Profunden und des Profanen. Sie entblößen den banal-infantilen Narzissmus der in den Medien, nicht nur den sozialen, gefeierten Selbstausstellung. Demers und Willkie leben mit Zweifeln, Ängsten, Mut und den Prozessen psychischer Entwicklungen. Fehlbarkeit, Mängel, Schwächen und Unsicherheit werden zu Stärken.

Die Arbeit ist das Gegenteil, ja, ein Gegenpol zur hemmungslosen Veröffentlichung dessen, was man gern wäre. Der Welt, vor allem aber sich selbst ein Bild vorzugaukeln, das aus der Anpassung des Einzelnen an seine soziale Umwelt einerseits und an eine endlich liebenswerte Vorstellung von sich selbst andererseits zusammengerührt wird und sein eigentliches Selbst sedieren soll, führt die Menschen immer weiter weg von sich, führt in immer tiefere psychische Krisen und Krankheiten, führt eine solche Gesellschaft in Gewalt, Diskriminierung, Rassismus, in die Flucht in Fortschritt und Wachstum, in den Mammon und Erfolg. Darin liegt die gewaltige politische Bedeutung des Stückes.

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Melanie Demers/MAYDAY „Confession Pubilque“ © Cloe Pluquet

„Confession Publique“ spricht über Dinge, die man lieber für sich behält. Die man nicht nur vor den Anderen verbirgt, sondern sogar vor sich selbst. Dinge, die man so tief eingräbt in seine Seele, so versteckt, dass man sie nicht mehr sehen, sie also nicht mehr fühlen muss. Sie aber anzuschauen, mit absoluter Ehrlichkeit und Offenheit sich selbst gegenüber, schonungs- und rücksichtslos den Gefühlen ins Gesicht zu schauen ist der Weg in die Integration all dessen, was wir sind und was uns ausmacht, ist der Weg zur Heilung. Seiner selbst und der Gesellschaft.

 

„Confession Publique“ von Melanie Demers am 16.07.2023 im Wiener Schauspielhaus im Rahmen von ImPulsTanz.

Rando Hannemann

 

 

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