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WIEN / Scala: REIGEN

27.04.2014 | Theater

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WIEN / Scala:
REIGEN von Arthur Schnitzler
Premiere: 26. April 2014,
besucht wurde die Generalprobe

Damals, 1900, ging ein Autor im Alter von Ende 30 ein echtes Risiko ein: Er schilderte mit einer damals noch nie da gewesenen Offenheit, was um ihn herum vorging (und wovon er selbst ein Teil war). Wien als Hochburg der Erotik, eine Stadt, in der in hemmungsloser sexueller Gier herumgevögelt wurde und wo die sozialen Schranken mit den Kleidungsstücken fielen.

Arthur Schnitzler hat in seinem „Reigen“ nicht nur das formale Kunststück vollbracht, in zehn Dialogen, die sich von Figur zu Figur weiterbewegen, bis sich der Kreis wieder schließt, vollendete psychologische Porträts zu liefern, sondern dabei auch das Sozialpanorama Wiens von ganz unten (Praterhuren und einfache Soldaten) bis ganz oben (Theaterdiven und Adelige) auszuschreiten.

Scala, Reigen Plakat

Und dabei steht immer der Geschlechtsakt im Zentrum des jeweiligen Dialogs, der in der gierigen, nie wirklich emotionalen Paarung mündet, und das hektische Hin und das ernüchternde Danach sind gewissermaßen ewige Verhaltensweisen. Heute, wo man uns auf der Bühne live bereits „alles“ vorgesetzt hat, ist das Skandal-Hautgout des „Reigen“ längst verjährt und man kann sich ruhigen Gewissens dem Meisterstück zuwenden.

Wie viele Möglichkeiten es gibt, hier noch neue Nuancen zu entdecken, zeigt die – geradezu brutal auf etwa die Hälfte des Textes zusammen gekürzte – Version, die Regisseur Peter M. Preissler im Theater Scala bietet. Ohne die Dialog-Situation jeweils aufzubrechen, sind doch immer alle zehn Protagonisten auf der Bühne, die acht, die gerade nicht beteiligt sind, sitzen im Hintergrund, sehen zu und haben dann während des Geschlechtsakts (das ewige Inszenierungsproblem) die Aufgabe, in irgendwelche köstliche, meist ordinäre Wiener G’stanzeln auszubrechen, die meist punktgenau auch noch den Charakter der jeweiligen Paarung (von hektisch bis gemütlich, gierig bis routiniert) illustrieren… Die Musikdramaturgie des Abends trägt entschieden zum Gelingen bei, und natürlich hat der „Reigen-Walzer“ des Oscar Straus (einst für den „Reigen“-Film von Max Ophüls komponiert und weltberühmt geworden) hier seinen prominenten Anteil.

Preissler ist nicht schüchtern, er lässt nicht „abblenden“, wenn’s zur Sache geht, sondern zeigt eine Menge, es fallen die Höschen und die Männerhosen werden hektisch aufgeknöpft, und gerade diese Rücksichtslosigkeit zeigt dann, wie brutal und gnadenlos dieses Stück eigentlich ist. Nichts von der „Wien um 1900“-Eleganz, die man Schnitzler gerne elegisch anschminkt. Das ist nicht die Welt des Feinsinnigen und Hochgeistigen…

Interessant, wie Preissler neue Nuancen ins Spiel bringt. Es scheint etwa völlig glaubhaft, dass der spießige Gatte ein Nebenvergnügen dabei findet, von dem „Süßen Mädel“ (wenn er sie schon ausführt) neben dem Geschlechtsakt noch ein paar Halb-Porno-Fotos mitzunehmen, die er zwischendurch macht. Dieses „süße Mädel“ ist in Gestalt von Claudia Waldherr übrigens gar nicht so dumm-naiv, wie man sie gerne darstellt (quasi als poetische Unschuld), sondern hier in ihrer Bodenhaftung den bürgerlichen Männern, die da den Veitstanz ihrer eigenen Wichtigkeit und Bedeutung abspulen müssen, weit überlegen.

Ähnlich hat Preissler die „Junge Frau“, die selbst betrügende Gattin ihres betrügerischen Ehemanns, von der sonst gern gezeigten Zicke in Gestalt von Martina Dähne zu einer echt coolen, souveränen jungen Dame gemacht, die alles durchschaut und alles zu ihren Gunsten dreht.

Die Frauen sind gerade im „Reigen“ bei Schnitzler nicht die Opfer (wie sonst so oft): nicht die selbstbewusste Dirne (Irene Halenka), nicht das Stubenmädchen (Sandra Knoll), das bei Preissler gar nicht lange die Verführte spielt, sondern routiniert mit dem jungen Herrn ein schon oft abgespultes Ritual wiederholt, und schon gar nicht die Schauspielerin, die Christina Saginth mit einem Hauch von Langeweile versieht, als wäre es ihr schon fad, die große Diva abzuziehen, die alle von ihr erwarten…

Scala, Reigen Dichter Schauspielerin
Simon Jaritz und Christina Saginth / Foto: Bettina Frenzel

Da sind die Herren eigentlich die Dummen, am wenigsten der Soldat (Leopold Selinger), der sich in seiner rücksichtslosen Brutalität holt, was er will, und weiter um gar nichts schert. Die bürgerlichen Verrenkungen rund um die eigene „Rolle“ vollziehen sowohl Florian Graf als junger Herr wie Carl Achleitner als Ehemann. Bedenkt man, dass Schnitzler sich in dem Dichter selbst gezeichnet hat, kommt er in der Verkörperung durch den so töricht agierenden Simon Jaritz nicht gut weg. Hingegen darf der verträumte Graf von Markus Hamele, der hier nicht – wie so oft – einfach als dümmlich erscheint, sondern wie ein liebenswerter Traumtänzer, am Ende ein paar positive Gefühle in diesen „Reigen“ einfließen lassen.

In diesem geht es auf dem zentralen Sofa (aufgestellt von Bruno Max) meist knallhart und sehr witzig zu. Ein gnadenloser Blick in eine Welt von gestern, die – wir „gedenken“ heuer ja des Ersten Weltkriegs vor hundert Jahren – geradewegs auf ihr Ende zugerast ist. Sieht man diese „Reigen“-Aufführung, so versteht man, warum.

Renate Wagner

 

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