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WIEN/ Ronacher: DER GLÖCKNER VON NOTRE DAME“ – Quasimodo im Wandel der Kulturen

09.10.2022 | Operette/Musical

Wiener Ronacher: „DER GLÖCKNER VON NOTRE DAME“ – Quasimodo im Wandel der Kulturen (8.10.2022)

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David Jakobs. Copyright: Deen van Meer 

„Notre-Dame de Paris, 1482“: Victor Hugos großer historischer Roman, Weltliteratur aus dem Jahr 1831, das ist das Geburtsjahr von Quasimodo gewesen, des verunstalteten, des buckligen Glöckners von Notre Dame. Quasimodo ist ein gängiges Wort geworden – und Hugos vielschichtige Spätmittelalter-Gruselgeschichte ist auch zur  Inspirationsquelle für die unterschiedlichsten szenischen Adaptionen geworden. Etwa für Franz Schmidts Oper „Notre Dame“ (1914), ein orchestral funkelndes Meisterwerk, ein Erfolgsstück in seinen ersten Jahren – heute ist die Oper aber ein Beispiel übergangener österreichischer Tradition. Der Story wegen, so einem Opernführer-Kommentar vor geraumer Zeit zu entnehmen. Das Verschwinden dieser Oper sei „… trotz der musikalischen Vorzüge auf den Text zurückzuführen, der heute nicht mehr recht interessieren kann.“ Immerhin, das Vorspiel des dritten Aktes, emotionell berührende Musik, ist gelegentlich in Orchesterkonzerten zu hören.

‚Disney‘ steht nun im Wiener Ronacher über der Produktion von „Der Glöckner von Notre Dame – das Musical“, und die gleichförmig gestrickte Hollywood-Filmmusik aus den 90er Jahren von Alan Menken, ohne einzige Melodie zur Beseligung, geht so gut wie gar nicht unter die Haut. Im Lyrischen jedenfalls, nicht so im Bumbum. Und so manches dabei hat für das eingeschworene Wiener Musicalvolk am Premierenabend trotz einiger Längen und allzu viel gleichförmigem dramatischen Sprechgesang bestens funktioniert. Die Vereinigten Bühnen Wien dürfen nun mit Hinweis auf diesen Publikumserfolg ihre Wunderschön-Werbung für die Aufführungsserie noch weit mehr forcieren.

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Andreas Lichtenberger (Frollo). Copyright: Deen van Meer  

Und die Inszenierung, die ist schon sehr gut gemacht. 1999 ist dieser Show-Glöckner erstmals in Berlin zu sehen gewesen. Einige andere Städte, nicht viele, sind gefolgt, und das Kaufangebot des deutschen ‚Disney Theatrical Productions‘-Produzenten Thomas Schumacher ist nun in Wien gelandet. Kompakt, sehr kompakt ist die Inszenierung von Stephen Schwartz. Ein stimmiges Einheitsbühnenbild – klar, Notre-Dame de Paris mit gotischem Rosenfenster und Dachgebälk, Glockenboden wie auch doch auch mit raschen Szenen- und Stimmungswechsel. Viel hin- und herlaufendes Volk, versunken wandelnde Mönche und aufmüpfige Zigeuner. Höchst lebendig, dramatisch aufgebauscht und manchmal auch recht grausig und gewaltsam geht es zu. Die Story ohne so richtige musikalische Glücksmomente zieht sich aber doch. Und fordert, fordert und fordert vollen Einsatz eines bestens einstudierten Ensembles. David Jakobs als Krüppel in der Titelrolle vermag mit seinen Gefühlswallungen wie eine Bombe zu knallen. Ein ganz Böser ist Andreas Lichtenberger als Frollo, der befehlende, dabei abgrundtief falsche Erzdiakon von Notre Dame. Abla Alaoui ist eine frauliche, gewinnende, wohl nicht gerade allzu verführerische Esmeralda. Dominik Hees (Hauptmann Phoebus de Martin), Mathias Schlung (Trouillefou) gehen voll in ihren Rollen auf. Und der stark eingesetzte Chor mit nachempfundenem Mittelalter-Sound (leider nicht so imponierend wie in Orffs „Carmina Burana“) und das Orchester  unter Michael Römer dröhnen so trendy wie erwünscht.

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David Jakobs. Copyright: Deen van Meer 

Im Wandel der Kultur ist man mit Quasimodo hier bei der Verkaufs-Show angelangt. Was vermag an diesem Abend noch zu gefallen? Das ganze international bestückte Team hat jedenfalls perfekt gearbeitet. Starke Momente – Gefühlsausbrüche, gequälte Menschen, bisschen Mitleid mit Quasimodo, Vergewaltigungen, Tötungen, Tanz der Zigeunerinnen – sind gegeben. Sicher gefällt auch das stürmische Geläute der Glocken der Kathedrale mit dem am Seil mitschwingenden Quasimodo. Mit einem showgerecht aufgezogenen Finale ultimo klingt der lange Abend aus. So als würde das ausgeklügelte Spektakel doch in die Tiefe gehen.  

Meinhard Rüdenauer

 

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