
Mark Seibert (Maxim de Winter) und Anna Milva Gomes (Mrs. Vam Hopper). Alle Fotos: VBW / Den van Meer
WIEN / Raimund Theater: REBECCA – Premiere von Francesca Zambellos Neuinszenierung
22. September 2022
Von Manfred A. Schmid
Rebecca von Michael Kunze (Buch und Liedtexte) und Sylvester Levay (Musik) wurde nach seiner Wiener Uraufführung 2006 in mehreren Ländern nachgespielt. Zwei Millionen Besucher haben laut einer Aussendung der Vereinigten Bühnen Wien Rebecca schon gesehen. In die Musical-Zentren London, Hamburg und New York schaffte es das Werk der Schöpfer des Erfolgsmusicals Elisabeth bisher allerdings nicht. Eine für Herbst 2012 angekündigte Aufführung am Broadway scheiterte nach einem Skandal um nicht vorhandene Investoren.
Nach 16 Jahren ist das Thriller-Musical – nach dem gleichnamigen, von Alfred Hitchcock verfilmten Roman von Daphne du Maurier – in einer opulenten, die psychologischen Abgründe der der Handlung effektvoll herausstreichenden Neuinszenierung von Francesca Zambello – erneut auf die Bühne des Raimund Theaters zu erleben. Mit souveräner Personenführung, sorgsamer Gestaltung von einprägsamen Konstellationen und imposanten Bildern wird hier eine schaurige, nicht ganz bruchlose und kitschfreie Geschichte erzählt, die aber bis zum Schluss spannend bleibt: Ein junges Mädchen lernt Maxim de Winter, einen aus altem Adelsgeschlecht stammenden Mann, kennen und lieben. Sie heiraten und leben auf seinem herrschaftlichen Landsitz in Manderley. Doch dieses Domizil steht, wie sich alsbald herausstellt, noch immer unter dem geheimnisvollen Schatten seiner vor einem Jahr unter ungeklärten Umständen ertrunkenen ersten Frau. Es dauert, bis beide mit den Schatten der Vergangenheit fertig und endlich glücklich werden. Ihrem Glück Wege stehen nämlich eine zwielichtige Haushälterin, die ganz im Bann Rebeccas steht, ein fieser, erpresserischer Cousin der Toten sowie kriminalistische Untersuchungen des Unglücks, dass zu Rebeccas Tod geführt haben mag.

Manderley wird ein Opfer der Flammen: Willemijn Verkaik (Mrs. Danvers)
Francesca Zambello, die schon bei Uraufführung für die Regie verantwortlich war, hat wirkungsvoll nachgeschärft und lässt die dunkle, mysteriöse Macht Rebeccas, der abwesenden und doch stets präsenten ersten Frau de Winters, in jeder Szene spürbar werden. Was im Roman nur dunkel angedeutet ist, wird hier mit rauschenden Vorhängen, tastenden Lichtstrahlen und violetter Farbe, in die das unheimliche Zimmer Rebeccas getaucht ist, vorgeführt. Der Bühne von Peter J. Davison gelingt es, dieses verrufene, verwunschene Haus als Schauplatz eines unfassbaren, düsteren Geschehens kenntlich zu machen. Alles gipfelt schließlich in einem spektakulären Feuerbrand, mit dem die Haushälterin, als sich die neue Gattin des Herrn endlich als ernstzunehmende Frau de Winter durchsetzt, die im Haus eingefangene Vergangenheit in Schutt und Asche legt.
Auch der Musik Sylvester Levays kommt in dieser Hinsicht eine maßgebliche Rolle zu. Das einprägsame Rebecca-Thema und die Verwendung von starken Leitmotiven unterstreichen die düstere, beklemmende Atmosphäre, die in diesem Haus herrscht. Es dominieren die großen Gefühle. Feine Zwischentöne, subtile Nuancen wird man hier freilich vergeblich suchen, dazu ist die Instrumentierung zu plakativ. Dennoch: Sylvester Levay versteht sein Handwerk aus dem ff. Satter Streichersound, bedrohlich klingendes Blech und raffinierte Rhythmenwechsel sorgen für eingängige musikalische Erlebnisse. Der Traum von Manderley, der eigentlich ein Albtraum ist, wird auch musikalisch kraftvoll unterlegt. Herbert Pichler am Pult des Orchesters der Vereinigten Bühnen Wien weiß das auch trefflich umzusetzen.
Die Texte von Michael Kunze sind solide, wie gewohnt, Platitüden, holprige Dialoge und Banalitäten inbegriffen. Wie die Musik ein bisschen zu grob geschnitzt. Psychologische Feinheiten kann man nicht erwarten. Wir sind ja in keiner Oper.
Mit Mark Seibert ist die Rolle von Maxim de Winter typengerecht bestens besetzt. Ein fescher, eleganter englischer Landedelmann mit trockenem Humor und starker Ausstrahlung, der auch zu Gefühlsäußerungen imstande ist, aber fast bis zum Schluss das ihn quälende Geheimnis für sich behält. Charmant, dann wieder der Verzweiflung nahe, im Song „Zauberhaft natürlich“ innig verlieht, während er in „Kein Lächeln war je so kalt“ schonungslos mit dem gemeinen Charakter seiner ersten Frau, der titelgebenden Rebecca, abrechnet.

Nienke Latten („Ich“) und Mark Seibvert (Maxim de Winter)
Willemijn Verkaik als Haushälterin Mrs. Danvers ist eine fanatisch ihrer einstigen Herrin ergebene Frau, die unheimliche Kälte ausstrahlt und schon mit ihrem ausdrucksstarken Blick Furcht einflößend wirken kann. Gesanglich stark ihr Solo „Sie ergibt sich nicht“: Der überwältigende, düstere, für Gänsehaut und Gruseln sorgende Mittelpunkt im Hause in Manderley.
Opfer ihres nervenaufreibenden Verhaltens ist die neue Frau an der Seite ihres Herrn. Sie hat keinen Namen, wird auf der Personenliste nur als „Ich“ geführt. Nienke Latten macht im Laufe des Geschehens eine beachtliche Wandlung vom naiven, schüchternen Mädchen zur selbstbewussten Frau durch, die ihrem Mann beisteht und ihm – ausgedrückt in Lied „Zeit in der Flasche“ – hilft, sich von seiner trüben Vergangenheit zu lösen. Gesanglich und darstellerisch eine Freude.
Der Bösewicht ist Rebeccas Cousin und Lover Jack Favell, ein schmieriger Ganove. Boris Pfeifer brilliert im bekenntnishaften Lied „Eine Hand wäscht die andere“, in dem er voll Stolz seinen miesen Charakter offenbart.
Für erfrischende, heitere Momente in einer ansonsten eher trüben Geschichte sorgen Annemieke van Dam als Maxims Schwester Beatrice und James Park als deren Freund Frank Crawley. Von unbändiger Komik sind die Auftritte der amerikanischen Society-Dame Mrs. Van Hopper, köstlich dargestellt von Ana Milva Gomes. Ihr gesungenes Selbstporträt „I’m an American Woman“ wird mit begeistertem Applaus und dankbarem Lachen aufgenommen.
Erwähnt zu werden verdienen Aris Sas für seine beklemmend-berührende Darstellung des geistig behinderten, von der Dorfgemeinschaft ausgeschlossenen Ben sowie Ulrich Allroggen, der als Oberst Julian die Hintergründe des Verschwindens von Rebecca aufklärt. Guten Eindruck hinterlässt auch das ganze Ensemble, ob es nun singend im Chor oder tanzend in der Choreographie von Simon Eichenberger auftritt. Textdeutlichkeit ist großgeschrieben. Der Schlussbeifall ist entsprechend: Jubel.