„Papuszas Tränen“ und „Rromano Kidipe“
Berührende Aufführung von zwei Kammeroper-Fragmenten auf Romanes/Deutsch von Adrian Gaspar im Wiener Porgy &Bess am 17.April 2022 (szenische Uraufführung am 19.Dez 2021)
von Gunhild Kranz, Hagen-Herdecke
Foto: Lukas Svandrik
Die polnische Romni-Dichterin Bronislawa Waijs ( genannt Papusza) erlebt seit circa 5 Jahren ein gewisses Comeback in Roma-Kreisen. Sie brachte sich selbst das Lesen und Schreiben bei und hatte den zweiten Weltkrieg und die Verfolgung durch die Nazis im polnischen Wald versteckt überlebt. Als sie ihre Poesie (auf Romanes verfasst) ins Polnische übersetzen ließ, wurde sie vor ein Roma-Gericht (Kris) gestellt und wegen des Verrates von Roma-Geheimnissen aus ihrem Verband verstoßen. Aufgrund dieses Traumas verbrachte sie über sechs Monate in der Psychiatrie und genau dort setzt das Regie-Konzept des im zeitgenössischen Musiktheater erfahrenen Regisseurs Bruno Berger-Gorski an. Der von ihm gegründete Verein „Musiktheater Wien eV“ hat unter seiner künstlerischen Leitung u.a. schon in Salzburg Kammeropern von Josef Tal und Ella Milch-Sheriff als österreichische Erstaufführungen produziert. Berger-Gorski inszeniert seit Jahren Kammeropern von Peter Eötvös, Salvatore Sciarrino , Knut Vaage und Adriana Hölzky, wo er bereits mehrmals Werke psychologisch und dramaturgisch miteinander verband. Vor zwei Jahren vergab er Auftragswerke an zeitgenössische Roma-Komponisten und bat den Roma-Dramatiker und Autor Ruzdija Russo Seijdovic ein Libretto zum Thema „Papusza“ zu schreiben. Das Libretto für „Rromano Kidipe“ hat Adrian Gaspar aus Zitaten von Karl Stojka , Gedichten von Bronsilawa Wajs und seinen Erinnerungen an persönliche Gespräche mit Hugo Höllenreiner selbst zusammengesetzt und gemeinsam mit Berger-Gorski bearbeitet.
Es gelang dem Regisseur Berger-Gorski die beiden Werke „Papuszas Tränen“ und „Rromano Kidipe“ auf ideale Weise zu verbinden, indem er die Handlung in ein Pflegeheim/psychiatrische Anstalt versetzt und das Publikum im ersten Werk „Papuszas Tränen“ ( eine sehr interessante kleine Orchester-Besetzung von Adrian Gaspar mit nur einem Klavier, Bass-Klarinette und Bratsche) das Leben der Papusza kennenlernt und im zweiten Werk („Rromano Kidipe“, für Streich-Quintett komponiert) ein imaginäres Treffen zwischen Papusza und den KZ-Überlebenden Karl Stojka und dem Sinti Hugo Höllenreiner erlebt.
Die in Tschechien und der Slovakei u.a. als „Fidelio“- Leonore bekannte Sopranistin und Romni Janette Zsigova ist dabei der rote Faden durch die beiden Kammeropern. Als im Schlaf-Rock gewandete Patientin Papuzsa, die in Rückblicken Szenen aus ihrem Leben vergegenwärtigt, verzaubert Janette Zsigova mit wunderbar dunkel timbrierten Sopran.
Foto: Lukas Svandrik
Die Szenen spielen während des 2. Weltkrieges im polnischen Wald, wo Papuszas Ehemann, der Harfenspieler Dionizy Wajs (von Karl Huml mit warmen, durchdringenden Bass verkörpert) die schreibende junge Dichterin (intensiv und berührend dargestellt von der jungen slowakischen Sopranistin Zuzana Rasiova, Preisträgerin verschiedener Wettbewerbe) bedroht und vor der bevorstehenden Kris warnt . Vor betroffen machenden Video-Einspielungen und Projektionen (von Valentin Killer /Alaa Kurdi), die einen Bilder-Zyklus des Wiener Malers Karl Stojka aus dem KZ zeigen, trifft im zweiten Werkfragment, der Kammeroper „Rromano Kidipe“ (Roma-Zusammenkunft) Papusza in der Klinik auf den KZ-Überlebenden Sinti Hugo Höllenreiner. Adrian Gaspar, der Hugo Höllenreiner persönlich kannte, zitiert im Libretto Originalpassagen aus Interviews und Gesprächen, die Höllenreiner führte, bevor er im Alter an Demenz erkrankte. Hier verarbeitet Hugo Höllenreiner (ideal besetzt mit dem darstellerisch packend und glaubwürdig agierenden Karl Huml ) im Gespräch mit dem Roma-Maler Karl Stojka (Tenor Karol Csino ) in Erinnerungen seine Kindheit in verschiedenen KZs, wo er und sein Bruder auch medizinischen Experimenten durch Josef Mengele ausgesetzt waren. Der mit seiner hellen Tenorstimme berührend singende junge Tenor Karol Csino (er ist in der Slowakei und in Tschechien auch als Schauspieler bekannt) verwandelte sich vom Krankenpfleger zum Maler Karl Stojka, der sich malend immer mehr in Emotionen hineinsteigert und zum Staccato der Musik mit den Händen Farben auf Staffeleien und die mit Papier bespannten Wände und den Bühnenboden des Wiener Porgy & Bess verteilt. Die Musik mit Sog-Character steigert sich immer weiter, die drei von Adrian Gaspar vertonten Stojka-Bilder „Chaos“, „Ruhe“ und „Widerstand“ werden dabei im Zoom auf die Wände projeziert. Intensiver Höhepunkt der Aufführung war die für den Tenor und zwei Streichinstrumente komponierte Arie nach einem Originalzitat von Karl Stojka: „Wir Roma sind wie die Blumen der Erde … man kann uns zertreten, man kann uns vergasen – wir kommen immer wieder“.
Foto: Lukas Svandrik
Alle Solistinnen und Solisten wurden in beiden Werken eingesetzt: Der herrlich präsente Bass Karl Huml stellte in „Papusza“ deren älteren Ehemann dar und in „Rromano Kidipe“ den Sinit Hugo Höllenreiner. Zuzana Rasiova glänzte als junge Papusza mit ihrem höhensicheren, leuchtenden Sopran in den koloraturreichen Arien – eine Stimme, die aufhorchen lässt! Karl Huml und Zuzana Rasiova sind in der Wiener Szene der zeitgenössischen Musik bereits bekannt für ihren Einsatz in Ur- und Erstaufführungen. Der Tenor Karol Csino stellt in „Papusza“ einen jungen Rom dar, der an die Regeln des Oberhauptes, des Baró Scheró, glaubt und Papusza das Schreiben und Lesen verbieten will. In „Rromano Kidipe“ begeistert er stimmlich und darstellerisch als Maler Karl Stojka. Janette Zsigova berührte besonders mit ihrer Arie „Suno“, die wie ein Leitmotiv beide Werke verbindet – Die Arie handelt von Papuszas Traum über das Roma-Volk, eine Arie, die beide Stücke nicht nur inhaltlich sondern auch musikalisch verband.
Die israelische Dirigentin Anna Sushon leitete geschickt und erfahren das Streich-Quintett von „Rromano Kidipe“, welches in seinen Steigerungen – besonders bei den Vertonungen der Bilder von Karl Stojka – das Publikum mit fast elektrisierenden Klangwogen in seinen Bann zieht. Der Komponist Adrian Gaspar stand selbst am Pult für „Papuszas Tränen“. Das Werk schwankt zwischen atonal wirkenden Sequenzen und minimalistischen Klängen. Die stimmigen Kostüme, die viel zur Atmosphäre der Aufführung beitrugen stammen von der in Wien lebenden Kostümbildnerin Christine Böhm-Mayerhofer.
Das Porgy & Bess, in Wien vor allem für seine Konzerte im Bereich Jazz und Weltmusik bekannt, erwies sich als hervorragende Spielstätte für zeitgenössische Kammermusik und verdient Lob als Kooperationspartner für diese Produktion einer freien Gruppe. Es erstaunt, dass dieses Werk das erste zeitgenössische Musiktheater-Werk in Romanes ist. Die Aufführung am 17. April fand im Rahmen des Welt-Roma-Tages am 8. April statt – es ist zu wünschen, dass beide Werke weiter entwickelt und bald einem noch größeren Publikum präsentiert werden können.
Gunhild Kranz, Hagen-Herdecke