Die Seele spielt die Hauptrolle“ – Ein gemeinsamer Abend mit Donka Angatschewa und Heinz Aeschlimann im Salon Razumovsky
Von Stefan Pieper
Donka Angatschewa. Foto: Stefan Pieper
Im Salon Razumovsky kann die seit dem 18. Jahrhundert gepflegte und nach dem letzten Krieg etwas in Vergessenheit geratene Tradition der „Salonkonzerte“ wieder entdeckt werden. Für Gregor Razumovsky, den Betreiber dieser exklusiven Wiener Spielstätte, gehört auf jeden Fall eine engagiert gepflegte Gesprächskultur im gediegenen Wohnzimmer-Ambiente dazu. Franz Liszt im weitesten Sinne, vor allem die Frage, und wie dessen Werk und Persönlichkeit bei Künstlern von heute Widerhall finden, bot sich hierfür als Thema im besten Sinne an.
„Irgendwie möchte hier niemand wirklich im Mittelpunkt stehen“ bemerkte augenzwinkernd Helmut Jaspar, der den Abend moderierte. War es die in Bulgarien geborene, heute in Wien lebende Pianistin Donka Angatschewa? Oder der Schweizer Künstler Heinz Aeschlimann, ein weltweit gefragter Vollprofi, der als Bauingenieur und Skulpturenschöpfer mit seinen Projekten auf dem ganzen Erdball unterwegs ist? Und der hier eine ganze Serie von Exponaten mit unmittelbarem „Liszt-Bezug“ im Salon-Razumovski präsentierte.
Donka Angatschewa und Heinz Aeschlimann. Foto: privat
Zunächst einmal hat die Musik als „öffnendes“ Medium das, so wie es der Hausherr für einen gelungenen Abend vorsieht: Donka Angatschewa beginnt ihr Recital mit dem ersten Satz aus Beethovens Appassionata-Sonata – was bei ihr schonungslos zur Sache geht und ausgesprochen subjektiv und ehrlich wirkt! Ihr Spiel ist nicht einfach nur „Interpretation“, sondern zupackende Stellungnahme. Beethovens Notentext geht bis ins kleinste Detail, aber hieraus wieder individuelle Aussagen und unmittelbare Momente zu schöpfen, ist eine große Kunst, die Angatschewa mit einer gesunden Portion Exzentrik zu pflegen weiß. Ihr Spiel nimmt die innere Mechanik der einzelnen Figuren unter die Lupe und baut eine elektrisierende Innenspannung auf. Egal, ob sie die Rubati genüsslich zerdehnt und im nächsten Moment das Tempo bis zur Raserei ausreizt oder ob sie die Akkordballungen in brausendem Klang-Cluster lodern und funkeln und immer wieder die Sforzati explodieren lässt. Damit steigert sie die emotionale Fallhöhe direkt zu Anfang aufs äußerste, was nicht zuletzt den Wunsch nährt, dass man noch viel mehr Beethoven von dieser Interpretin höre!
Somit ist das Publikum genug hypnotisiert für die nun folgende Magie der Entschleunigung. Eine solche zelebriert Donka Angatschewa in Franz Liszts lyrisch-balladeskem Petrarca-Sonett opus 104 und später im berühmten Liebestraum, der einmal mehr beglückt und entrückt, was an den Minen der Zuhörenden offensichtlich ablesbar ist. Rezitativisch und vielgestaltig malt ihr Spiel die Klangfarben in der Consolation Nr. 3. Sie lässt mit viel spontaner Wucht in der Tarantella die Puppen tanzen, bevor es in der Achten Rhapsodie mit umso vielgestaltigerer Spielwucht in die Vollen geht. Für Donga Angatschewa ist der künstlerische Idealzustand erreicht, wenn wie sie sagt, „die Seele die Hauptrolle spielt“. Das macht das Spiel der gebürtigen Bulgarin so unmittelbar und im positiven Sinne eigen-willig! Ein Kapital, mit dem sie aus spielerischen Zuständen, egal ob berückend-lyrisch oder extrovertiert-stürmisch, immer neue eindringliche Stimmungsbilder schöpft.
Moderator Helmut Jaspar hatte zur Einleitung auf den Aspekt von Musik als „Skulptur in der Zeit“ verwiesen – und diese leitet direkt über zu Heinz Aeschlimann, der zusammen mit seiner Lebenspartnerin Getrud Aeschlimann angereist war. Er selbst offenbart im Gespräch, wie sehr Listzs Klavierkompositionen ein Treibmittel für eigene kreative Herausforderungen sind: „Wenn ich große Probleme zu lösen habe, brauche ich zur inneren Neutralisierung Franz Liszt“ bekundete er im Gespräch. Eine Musik, die derart zu einem Teil von einem selbst geworden ist, mache zuverlässig von „vergrabenen Strukturen“ frei und dafür offen für neue Lösungen.
Die Stehtische im Razumovsky-Saal zieren Miniaturversionen aus dem Skulpturenzyklus „The Composer“, mit denen Liszt unmittelbar seinen Ideengeber portraitiert. Die Formensprache der Objekte aus fließenden Rundungen und ineinander verschränkten Strukturen könnte direkt auf Elemente in Liszts Musik verweisen. Aber es gibt eine noch tiefere, erzählendere Dimension: Nämlich unmittelbare, verblüffend komprimierte Verweise auf die Lebensgeschichte und Persönlichkeit von Franz Liszt.
Miniaturversionen aus dem Skulpturenzyklus „The Composer“ von Heinz Aeschlimann. Copyright: art-sankt-urban
„h-Moll-Sonate“ heißt eine Plastik, in der eine hoch aufragende Form die Komponistenpersönlichkeit versinnbildlicht. Sie wird aber gestützt von zwei anderen Strukturen, welche für Liszt „tragende Säulen“ waren: Musik und die Frauenwelt. Kompliziert wurde es im Verhältnis zwischen Franz Liszt und Richard Wagner, als Liszts Tochter Cosima schließlich zu Cosima Wagner wurde. Irgendwie erschütterte diese Liebesverbindung zwischen Tochter und langjährigem Freund die gewohnte Verbindung gründlich. Aeschlimanns Skpultur „Liszt-Cosima-Wagner“ braucht gerade mal drei Formelemente, um dieses komplexe Psychogramm auf den Punkt zu bringen.
Miniaturversionen aus dem Skulpturenzyklus „The Composer“ von Heinz Aeschlimann. Copyright: art-sankt-urban
Direkt erlebbar wird hier jene wertvolle „Übertragung zwischen künstlerischen Disziplinen“, wie es der Kunsthistoriker Roy Oppenheim im Podiumsgespräch formuliert hatte. Mache doch ein aufmerksames „Schweifen durch Formen“ viele „Spannungsfelder zwischen harmonischen und disharmonischen Elementen“ bewusst. Der Abend im Salon Razumovsky tat auf jeden Fall sein übriges, um im Sinne Oppenheims „in eine neue Sphäre zu überführen“, die allein die bildende Kunst für sich, aber auch das reine Konzerterlebnis in der Regel nicht transportieren kann.
Stefan Pieper