BEZIRKSRUNDFAHRT NACH NOTEN – EIN UNGEWÖHNLICHER LIEDERABEND
Die im Palais Khevenhüller im 9. Bezirk beheimatete „Gesellschaft für Musiktheater“ hat sich seit über 60 Jahren als Veranstalter hochwertiger Konzerte und Liederabende international einen hervorragenden Ruf erworben. Nahezu täglich (!) stehen dort Künstler aus aller Welt – darunter renommierte Solisten ebenso wie Studierende der Wiener Musikuniversitäten MDW und MUK – auf dem Podium und zeigen ihr Können.
Am 4. November 2022 gönnten die Verantwortlichen sich und dem Publikum einen Abstecher in die Gefilde jenseits der klassischen Musik und konnten damit einen fulminanten Erfolg verbuchen.
Hans Weiner-Dillmann (1903-1990)
Auf dem Programm stand ein Bezirkslieder-Zyklus des Komponisten Hans Weiner-Dillmann (1903 – 1990), der in einer der klassischen Wiener Operettentradition verwurzelten Musiksprache, ergänzt um Harmonien des Bar-Jazz der 1950er Jahre, zu einer Rundreise quer durch die Bezirke einlud. Da ging es mit einprägsamen Melodien und pointierten Texten von der „Praterstrass’n“ auf die „Landstrasse“, vom Lichtental nach Gaudenzdorf und von Floridsdorf nach Mauer. Der amüsante Ortswechsel bot dem Komponisten mannigfache Gelegenheit zu den verschiedensten musikalischen Ausdrucksformen: Von der wehmütigen Elegie bis zum schmissigen Jux-Marsch war alles dabei.
Mag auch das Genre der sogenannten gehobenen Wiener Unterhaltungsmusik mittlerweile fast gänzlich in Vergessenheit geraten sein, so vermag es immernoch zu fesseln und glänzend zu unterhalten, wenn Interpreten auf der Bühne stehen, die ihre künstlerischen Mittel souverän und mühelos beherrschen. Bei dem Tenor Thomas Schmidt und dem taiwanesischen Pianisten Shih-Yeh Lu war dies zweifellos der Fall.
Mit seiner geschmeidigen, in der Höhe hell timbrierten, in der Mittellage mal samtig-weichen, mal kernig-substanzreichen Stimme schöpfte der Sänger die gesamte Ausdruckspallette von subtiler Innigkeit bis zu groteker Komik voll aus. Die musikalischen Miniaturen des Komponisten gerieten auf diese Weise zu glänzenden Kabinettstücken der Vortragskunst.
Der erst 23jährige Pianist war ein hervorragender, in jeder Sekunde aufmerksamer Begleiter, der auch als Solist (u.a. mit einer „Romanze in C“ und einer „Konzertouvertüre“) zu überzeugen vermochte. Er verband die technische Brillianz eines angehenden Konzertpianisten mit der dezenten Improvisationsfreudigkeit altgedienter Barpianisten.
Da verwunderte es nicht, daß das Publikum die beiden Künstler erst nach zwei Zugaben gehen lassen wollte.
Der Abend war für Musikliebhaber die reinste Freude und zugleich eine berührende Hommage an ein vergangenes Wien, dessen längst verblasster Goldglanz der Erinnerung immer noch entzückt.
Manuela Miebach