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Wien / Ottakringer Brauerei: DIE BRÜSTE DES TIRESIAS

30.04.2023 | Oper in Österreich

 

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Ensemble aus dem, Jugendhor und Jaye Simmons (Theresia). Alle Fotos: Volksoper Wien / Barbara Palffy

WIEN / Hefeboden der Ottakringer Brauerei: DIE BRÜSTE DEs TIRESIAS

29. April 2023

Von Manfred A. Schmid

Dass Francis Poulenc auch Ernst kann, hat er mit seiner abendfüllenden Oper Les Carmelites gezeigt, die an der Staatsoper am 21. Mai Premiere haben wird, aber auch in seinem oft gespielten Einakter La voix humaine. Wie sehr sein Schaffen darüber hinaus von Esprit und Witz durchflutet ist, belegt seine Komische Oper Die Brüste des Tiresias (Les Mamelles de Tirésias) aus dem Jahr 1947, die – in der eigens für das Aldeburgh Festival 1958 von Benjamin Britten und Viola Tunnard erstellten Fassung für zwei Klaviere – besonders gerne von kleinen Ensembles sowie für Studienzwecke aufgeführt wird. So geschehen zuletzt 2015 an der Wiener Kammeroper und jetzt in einer Produktion des Opernstudios der Volksoper auf dem Hefeboden der Ottakringer Brauerei. Besucht wurde die zweite und letzte Vorstellung.

Dargeboten wird ein Abend voller absurdem Humor, der historische und moderne Wahrnehmungen von Geschlechterrollen konfrontiert und kontrastiert sowie gewohnte Zuschreibungen zu Geschlechteridentitäten hinterfragt, ohne diese Hintergrundthematik aber allzu ernst zu nehmen. In erster Linie ging es Poulenc um einen großen Spaß oder, wie man in Wien sagen würde, „um a Hetz“. Wenn schon ernst, dann eben nur Bierernst, um eine Brücke zum Vorstellungsort zu schlagen. tDada und Surrealismus – dem Libretto zugrunde liegt ein Stück von Guillaume Apollinaire, das um 1916 herum, also mitten im Erste Weltkrieg entstanden ist – lassen auf jeden Fall grüßen.

Die Vertonung durch Poulenc entstand unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Erzählt wird die Geschichte einer Frau aus Sansibar, die es satthat, sich mit ihrer Ehe und den daraus ergebenden Ehepflichten einer Gattin abzufinden. Sie entledigt sich ihrer Brüste, die sie als Luftballons in die Luft sausen lässt, und lässt sich einen Bart wachsen bzw. klebt sich einen unter die Nase. Sie will ein Mann sein und als General die Welt erobern. Ihr Mann verwandelt sich im Gegenzug immer mehr in eine Frau und übernimmt, als er eine Erfindung macht, mit der er an einem Tag über 40.000 Babys auf die Welt bringen, auch die Pflichten einer Mutter.

Poulenc macht sich[i]darüber lustig und unterscheidet sich damit stark vom Textdichter Apollinaire, der das surrealistische Stück schrieb, um vor der zunehmenden Emanzipation der Frauen im Zuge der Frauenrechtsbewegung, die dazu führt, dass die Frauen immer mehr männliche Rollen einnehmen, zu warnen. Da auch nach dem Zweiten Weltkrieg diese Ängste bestanden und man befürchtete, dass die Frauen die gewohnte Machtverteilung empfindlich stören würden. Ist es kein Wunder, dass die einzige surrealistische Oper der Welt zuerst einmal – beim Publikum wie auch bei der Kritik – als zu unpatriotisch durchfiel.

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Aaron-Casey Gould (Journalist) und Stanuslaw Napierala (Der Gatte).

Maurice Lenhard, der Regisseur der Aufführung und Leiter des Opernstudios, stellt das Stück auf einem feministischen Blickwinkel auf die Bühne und untergräbt so Apollinaires ursprüngliche Motive. Es geht ihm dabei aber weniger um ideologische und gesellschaftspolitischen Aspekte, sondern um eine gute Unterhaltung und setzt vor allem auf das komödiantische Potenzial der Vorlage, besonders auch der Musik, die eine kunterbunte, mitreißende und zum Teil auch parodistische Mischung ist und mit Arien, Songs, Gesangsensembles, aber auch Polka, Walzer, Gassenhauer und sogar etwas Jazz a la francaise aufwarten kann. Das Resultat ist höchst zufriedenstellend, musikalisch qualitätsvoll und sehr unterhaltsam. Das Publikum hat viel zu lachen.

Wunderbar besetzt sind die beiden Hauptrollen des sich voneinander immer mehr auseinander entwickelnden Ehepaares. Jaye Simmons fühlt sich in der Rolle eines Mannes sichtlich wohl und singt höchst lebendig und markant. Ihr Gatte ist Stanislaw Napierala, der sich mit sichtlicher Freude der Aufgabe widmet, für zahlreichen Nachwuchs zu sorgen und präsentiert sich voll Mutterstolz einem aus Paris angereisten Journalisten (Aaron-Casey Gould), dem er jede Menge an Babys vorführen kann. Dass manche davon wie Putin aussehen – vermutlich sind es die männlichen Exemplare – lässt allerdings die Sorge entstehen, dass das die leidige Kriegsführerei so bald nicht aussterben werde. Nur die Rolle des Direktors, der in seine Prolog Leoncavallos veristischen Pagliacci parodiert, ist, ebenso wie die des Gendarmen, mit Ensemblemitgliedern besetzt: Ben Connor und Pablo Santa Cruz. Alle anderen sind hochtalentierte und hochmotivierte Angehörige des Opernstudios der Volksoper Wien.

Zwei davon, Kamila Dutkowska (Volk von Sansibat) und Maria Hegele (Zeitungsverkäuferin, Elegante und Dicke Dame) waren auch schon zuvor im Einsatz. Vor der Oper gab es nämlich einen Programmpunkt mit dem 2. Satz (Adagio) aus der Sonate in G von Clara Schumann sowie der Liederzyklus Frauenliebe und – leben von Robert Schumann, gesungen von den beiden Sopranistinnen. Die Auswahl scheint mit Bedacht getroffen worden zu sein, handelt es sich bei den Liedtexten von Adelbert de Chamisso doch um zwar romantisch verklärte, aber doch traditionelle Rollenbilder eines Liebespaares, das zu einem Ehepaar wird, auch wenn sie aus der Sicht einer jungen Frau erzählt werden. Die Darbietungen sind sehr ansprechend, was auch für Rafael Salas Chía am Klavier gilt, der dann auch die Oper begleitet, dabei aber von Karo van der Sanden aus dem Volksopernensemble unterstützt wird

Zum Liedteil gibt es allerdings ein Aber: Heute wird auch das Deutsche Requiem von Brahms schon vertanzt (so geschehen an der Volksoper) und aus Mahlers frühe Märchenkantate Das klagende Lied seine späten Kindertotenlieder an der Staatsoper die merkwürdige Oper Von der Liebe Tod zusammengeschustert, „die er nie geschrieben hat“, wie das Endergebnis in der Ankündigung beschrieben wird,. Da muss man nicht unbedingt auch noch Liederzyklen, ob von Schubert, Schumann oder Wolf, auf Teufel komm raus szenisch aufmotzen. Wenigstens der Liedgesang sollte, das ist die Meinung des Rezensenten, weiterhin mit Mimik und sparsamen Gestik sein Auskommen finden und braucht keine theatralischen Zusätze.

 

 

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