Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

WIEN/ Off-Theater: „Die grauenvolle Entdeckung des Jakob Levy Moreno“

14.10.2020 | Ballett/Performance

WIEN/ Off-Theater: „Die grauenvolle Entdeckung des Jakob Levy Moreno“

Was wäre passiert, wenn die beiden Noch-Nicht-Diktatoren Josef Stalin und Adolf Hitler im Jahre 1913 in Wien bei und mit dem damaligen Medizinstudenten und späteren Begründer der Soziometrie, der Gruppentherapie und des Psychodramas Jakob Levy Moreno in einem seiner Stegreif-Theater zusammengetroffen wären? Aus dieser theoretischen Möglichkeit entwickelte Ernst Kurt Weigel für das.bernhard.ensemble und in Kooperation mit orgAnic reVolt (Leonie Wahl) ein interaktives „Tanz.Schau.Spiel“.


Off Theater „Moreno“: Kajetan Dick, c-Guenter Macho

Den inhaltlichen und dramaturgischen Rahmen bildet der Versuch seitens Moreno (Kajetan Dick), Shakespeares Drama Hamlet in seinem Theater mit den Zuschauern gemeinsam zu erarbeiten. Es ist richtig gemütlich in diesem Wiener Salon. Einem wie zu Beginn des letzten Jahrhunderts, vor dem ersten Weltkrieg. Aber sich zurückzulehnen wird dem Publikum nicht leicht gemacht. Gleich am Anfang von Moreno auf eine Reise eingeladen, ins All und wieder zurück auf die Erde, letztlich in dieses Theater, werden die maximal 20 ZuschauerInnen die ganze Zeit über in das Stück einbezogen und in Spannung gehalten. Einzelne spielen tatsächlich (ganz) kleine, fast spontane Nebenrollen. Andere, die aus den Reihen des Publikums auf die Bühne gebeten werden, ergattern hingegen Hauptrollen. Die des Prinzen Hamlet geht an Adolf (Isabella Jeschke mit klitzekleinem Bärtchen unter der Nase), die des Königs-Bruders und -Mörders Claudius an Josef (Ernst Kurt Weigel, dessen Oberlippenbart so prächtig ist wie einst der des Iosif Wissarionovitsch Stalin, geb. Iosseb Bessarionis dse Dschughaschwili). Genial, wie Weigel schon mit dieser Besetzung Charakteristika des Werdeganges und der Machtausübung der künftigen Despoten andeutet. Details folgen. Die Rolle des Königs übernimmt mit drahtiger Krone Regisseur Moreno selbst. Wie köstlich auch hier das Gleichnis: Die Psycho-Logie und -Therapie werden wie der König Opfer von Machtgier.

Das Wechsel-, zuweilen auch Verwirr-Spiel mit multiplen Rollen-Persönlichkeiten der Darsteller in seinen Stücken beherrscht der Theater-Direktor, Schauspieler, Regisseur und Autor Ernst Kurt Weigel meisterlich. Auch hier gibt er allen auf der Bühne Agierenden mehrere Rollen. Die zwei Tänzerinnen Leonie Wahl, die auch die Choreografie für das Stück entwickelte, und Desi Bonato tanzen und spielen Frau und Tochter, Mutter und Gefühl. Und das Burgtor. Die in Wien lebende Italienierin Bonato übrigens lamentiert in einer Szene in ihrer Muttersprache und holt damit auch Benito Mussolini ganz kurz einmal, nur imaginär, in die Gruppen-Therapie.

Off-Theater „Moreno“: Bonato, Jeschke, Wahl, c-Guenter Macho

Zu der nämlich entwickelt sich dieser Hamlet. Die Psychogramme Stalins und Hitlers setzt Weigel Stück für Stück im Laufe des Abends zusammen. Die sozialen und familiären Verhältnissen beider in Kindheit und Jugend, ihre gescheiterten Bemühungen um ihre eigene Zukunft, ihre Herkunft (Wie die Dinge sich gleichen. Beide Despoten stammen nicht aus dem Land, dass sie später terrorisieren und unterjochen werden. Stalin als Georgier und Hitler als Österreicher erobern den großen Nachbarn, der einst sie schmähte), und vor allem die charakterliche und psychische Grundkonstitution der beiden jungen Männer mit den sich daraus ergebenden spezifischen Persönlichkeitsstörungen und ihren kompensatorischen Triebstrukturen und Verhaltensmustern arbeitet das Stück in beeindruckender Klarheit und Konsequenz heraus. Und das gewitzt und humorvoll, mit aktuellen Bezügen und einem klaren politischen Statement (sonst wäre es kein echter Weigel!). Ernst Kurt Weigel lässt den von ihm selbst dargestellten Kommunisten Josef Stalin eine tief empfunden wütende Brandrede halten gegen den Kapitalismus. Und gegen das, was in Moria geschah und geschieht.


Off-Theater „Moreno“: Ernst Kurt Weigel, c-Guenter Macho

Dem Tanz als Instrument zur Erforschung und Darstellung von seelischen Befindlichkeiten und als eine das Emotio adressierende Kunstform kommt eine zentrale, sich organisch in diese komplexe, kluge, tief berührende Arbeit einwebende Rolle zu. Leonie Wahl choreografierte Soli und Duette für die beiden Tänzerinnen, bezieht aber auch die SchauspielerInnen auf wunderbare Weise in vom ganzen Ensemble getanzte Sequenzen ein. Die Musik von b.fleischmann, Bühne und Kostüme von Devi Saha und das Licht von Julian Vogel leisten ihren Beitrag zum Gelingen dieser Arbeit.

Ernst Kurt Weigel und Leonie Wahl gießen mit „Die grauenvolle Entdeckung des Jakob Levy Moreno“ Schauspiel und Tanz in eine die Genregrenzen verwischende, sich gegenseitig befruchtende Form. Der virtuose Einsatz ihrer jeweiligen Stilmittel fordert die fünfköpfige Kompanie darstellerisch und tänzerisch. Und die brilliert in diesen 75 Minuten mit einer homogenen Ensemble-Leistung.

Dieser Hamlet hat ein Happy End. Zum Schluss holt der Psychotherapeut Moreno die Krone wieder „heim“ und krönt sich selbst. Ein wohliges Lächeln beleuchtet seine klugen Züge …

Rando Hannemann

„Die grauenvolle Entdeckung des Jakob Levy Moreno“, noch bis Ende November im Off-Theater Wien.

 

Diese Seite drucken