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WIEN/ Odeon: Serapions Theater & das.bernhard.ensemble: „FLEDER.STRAUSS – Ein Künstler Innen Leben“

26.11.2025 | Ballett/Performance

WIEN/ Odeon: Serapions Theater & das.bernhard.ensemble: „FLEDER.STRAUSS – Ein Künstler Innen Leben“

Die Botschafter der dreiviertel-getakteten Königsklasse machen sich voller Selbst- und Sendungsbewusstsein auf den Weg in die nach mitteleuropäischer Hochkultur dürstende Welt. Doch unterwegs, irgendwo im Nirgendwo, gehen der Flieger und mit ihm der kulturelle Adel vorzeitig zu Boden. Denn rücksichtslos gegen Gleichgewichte in Flugzeug und Seele geben sich die ausgelassen Probenden.

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„FLEDER.STRAUSS“ © Nadine-Melanie Hack

Die schälen sich in SlowMo aus der Mitte der Flug-Gesellschaft. Wir alle nämlich sitzen mit ihnen, eingecheckt von rot gekleideten Flugbegleiterinnen, in der voll besetzten Kabine des Fliegers der S-Airline. Im selben Flug.Boot also. Sie wälzen sich auf das Trümmerfeld aus Wrackteilen, Sitzen, Kleidungsfragmenten und Gepäckstücken. Sich selbst zu retten, zu überleben in der eisigen Berglandschaft, wird zur zentralen Aufgabe für die Physis und ihre Operette zur Ausgrabungsstätte für die als imaginäres Gepäck zwischen den Trümmern verstreut und versteckt liegenden psychischen Rucksäcke.

Das wahrlich opulente Bühnenbild gestalteten Max Kaufmann und Eva Grün mit rührender Detailverliebtheit. Die Elektro-Installation hinter der abgesprengten Verkleidung der Turbine zum Beispiel liegt bloß wie empfindlichste Adern und Nerven unter abgezogener Haut. Passt. Die Kostüme von Mirjam Mercedes Salzer, Julia Suttner, Lena Tänzer, Sam Van Esbroeck und Kaja Leierer erzählen von der fantasie- und liebevollen Textilkunst ihrer so filigran arbeitenden Schöpferinnen.

Den Soundtrack für das unfreiwillige Survival-Camp in den Bergen komponierten Mario Bergamasco, der das historische Material neu interpretierte und es in heutige Kontexte einpasste, und Bernhard Fleischmann, wobei letzterem dessen Live-Präsentation in seiner Rolle als Erstem und letztem Offizier für akustische Angelegenheiten obliegt. Kaum wahrnehmbar in seinem Rumpf-Fragment steuert er das Chaos souverän. Ja, es gibt auch Einstreu von Pop-Songs im Dreiviertel- oder geschwinden Polka-Takt. Viel elektronischer Sound und sogar „Fanfare For The Common Man“ von Emerson, Lake and Palmer aus dem Jahr 1977 befeuern die eh schon turbulente Szenerie.

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 „FLEDER.STRAUSS“ © Nadine-Melanie Hack

Die lassen die beiden Regisseure und Konzipierenden Max Kaufmann (seit 2015 Künstlerischer Leiter Serapions Theater) und Ernst Kurt Weigel (Direktor das.bernhard.ensemble) nach dem Crash ganz langsam erwachen. Die Kompanie probt ihr Stück über das Leben von Johann Strauss weiter in unwirk- und unwirtlicher Umgebung und dringt dabei, vor Kälte zitternd, ein in das Innenleben dieses Walzerkönigs „mit einem Huscher“.

Während das Gros der Beiträge zu Johann Strauss Wien 2025 mit Werk und Wirken des Komponisten umgeht, wenden sich Kaufmann und Weigel der Künstler-Persönlichkeit in ihrem familiären Umfeld zu. Die aberwitzigen Eigentümlichkeiten der Mitglieder dieser Familie, bei weitem nicht nur die von Johann Strauss Sohn selbst, bieten viel Stoff für fantastisch skurril und voller Witz inszenierte Sequenzen. So wird die Verbrennung von Original-Partituren zu einem psychisch sättigenden Festmal für den Bruder Eddi.

Eine bewegende Szene entsteht mit dem Auftritt des Vaters. Erwin Piplitz, der das Serapions Theater 1973 gemeinsam mit seiner Frau Ulrike Kaufmann als „Pupodrom“ gründete, erscheint als verehrt-gefürchteter Patriarch im Frack. Die ewige Geringschätzung und Entwertung seitens des Vaters treibt den Sohn in entwürdigendes Flehen und infantiles Gebettel um Aufmerksamkeit und (künstlerische) Anerkennung. Und das ewige Defizit erzwingt lebenslange Höchstleistung. Sie ist auch erschütternd, die Tragik in der Persönlichkeit des Johann Strauss. Deren komisches Potential, mit professionell-leichter Hand herausgestellt, bringt sehr viel Heiterkeit in die Kabine.

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„FLEDER.STRAUSS“ © Nadine-Melanie Hack

Grotesk, äußerst humorvoll und dann wieder tief berührend, die beiden wie eins agierenden Ensemble führen in einer sehr physischen Performance mit Theater, Tanz (Choreografie: Leonie Wahl), Slapstick, Kampfsport, Akrobatik, Videoprojektionen (von gratis kaiserin und Max Kaufmann), Musik und Sound äußerst abwechslungsreich und hoch dynamisch in individuelle und gesellschaftliche Abgründe. Jede Faser versprüht die Freude beim Inszenieren und Spielen dieses einzigartigen, hoch komplexen Stückes.

Und was hat Strauss mit alldem zu tun, außer dass ein paar mal Kompositionen aus seiner oder des Vaters Feder anklingen? „Ein Künstler Innen Leben“ nennen die zwei Regisseure und Autoren, den Titel „Ein Künstlerleben“ eines Strauss-Walzers karikierend, ihr Stück. Was die Familie Strauss, mehrere Generationen lang, an Traumata angesammelt hat, kann für Kleines wie für Großes als ewig spiegelndes Muster fungieren. „Fleder.Strauss“ holt tief vergrabene Verletzungen ans Licht, beschreibt initiale Begebnisse und bewirkte psychische Zustände. Individuell und gesellschaftlich, damals und heute.

Das Kernstück des Bühnendesigns bildet eine riesige Turbine. Sie verhält sich wie ein mystisches Gebilde, geschaffen von unbekannten Wesen und mit einer unerklärlichen Wirkungsweise. Sie ist von einer unwiderstehlichen Faszination für die Menschen, saugt sie an und speit sie völlig verändert wieder aus. Blut triefend die Münder dieser in Menschenfresser Verwandelten.

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 „FLEDER.STRAUSS“ © Nadine-Melanie Hack

Hier wird gemischt. Oder gemasht. Dass „Fleder.Strauss“ am vom bernhard.ensemble seit vielen Jahren praktizierten Verschränken von Bühnenklassikern und Kultfilmen in so genannten Mash-Ups nicht ganz vorbei kommt, zeigt diese Szene. Ein vor Jahrzehnten in Eis und Schnee abgestürztes Flugzeug und der im Kannibalismus endende Überlebenskampf der Verunglückten wird zur metaphorischen Befragung aller hier mit „Johann Strauss International“ Reisenden.

Was geschieht mit Werten und Glaubenssätzen angesichts schwindender Ressourcen und sich verändernder Umwelten? Und wohin strebt das Menschenbild im Anthropozän? Heruntergebrochen auf die kleinste Einheit, das Individuum: Wie positioniert sich jeder Einzelne mit seiner persönlichen Verantwortung für sich selbst und für seine belebte wie unbelebte Umwelt? Hier wird die unheilvolle Macht der Geister, die der Mensch mit seinen Technologien herbeiruft, auf erschreckende Weise beleuchtet: Was Menschen Werk mit Menschen tut.

Die Absurdität des Sujets, Künstler machen Kunst, vollkommen ungeachtet ihrer Umgebung, stellt existenzielle Fragen zur Sinnhaftigkeit von Kunst und ihrer Wirkungsmacht. Braucht Kunst ein eigenes Biotop? Die Strauss’schen Themen sind wahrlich keine exklusiven. Es geht um uns alle. Das macht das Stück so verständlich und trotz seiner schroffen Ästhetik nahbar.

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„FLEDER.STRAUSS“ © Guenther Macho

Am Ende schieben sie die Sitze zusammen zu einer Doppelreihe, belegt mit toten Körpern. Hinter ihnen die Turbine. Die seitlich ausgelegten aufblasbaren Rettungsrutschen bleiben ungenutzt. Und es schneit. Der Ewigkeit überstellt sind diese Künstler.Menschen. Ihr Werk jedoch hallt nach. Vielleicht ist „Fleder.Strauss“ das seit langem mächtigste Plädoyer für Empathie und menschliche Wärme. Großartig!

Serapions Theater & das.bernhard.ensemble mit „FLEDER.STRAUSS – Ein Künstler Innen Leben“

am 25.11.2025 im Odeon Wien im Rahmen von Johann Strauss Wien 2025.

Rando Hannemann

 

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