Festival Wien Modern:
Opernuraufführung „Poppaea“ von Michael Hersch (Vorstellung: 7.11.2021)
Als Koproduktion mit der Basel-Biennale für neue Musik fand vom 5. bis 7. November 2021 im Rahmen des Festivals Wien Modern im Wiener Odeon die Österreichische Erstaufführung der Oper „Poppaea“ von Michael Hirsch statt. Die Uraufführung des Werks war im September dieses Jahres in Basel in der Schweiz. Die Aufführung in Wien wurde in englischer Sprache gesungen und hatte Übertiteln in englischer und deutscher Sprache.
Die Oper, deren Libretto Stephanie Fleischmann verfasste, erzählt aus der weiblichen Perspektive der Poppaea von Machtkämpfen, Gewalterfahrungen und Emanzipation. Man kann sagen, dass es sich bei dieser Oper um die Fortsetzung von Monteverdis Barockwerk L’incoronazione di Poppea handelt, allerdings ohne Happyend. Sie zeigt schonungslos den Missbrauch von Macht und Autorität auf und besonders die Gewalt gegen Frauen, wie es in Rom vor 2000 Jahren unter Kaiser Nero alltäglich war. Morde, Intrigen, falsche politische Einschätzungen und Entscheidungen zeichnen den Weg zum blutigen Ende der mit Julius Cäsar begonnenen Kaiserdynastie.
Steve Davislim in der Rolle des Nero (Foto: Susanna Drescher)
Ganz bewusst steht bei Michael Hirsch und Stephanie Fleischmann die Perspektive der Frau im Mittelpunkt. Die Oper beleuchtet die persönlichen, privaten und emotionalen Momente der Frauen in einer von Männern dominierten Welt. Die faszinierende römische Kaiserin Poppaea wird als eine Frau gezeigt, die brutale Erfahrungen mit Sexualität und körperlicher Gewalt machen muss, aber auch mit fremden Intrigen, den Tod ihrer Mutter und ihrer Tochter sowie ihrer Konkurrentin Octavia umzugehen hat, ehe sie schließlich selbst getötet wird. Dazu ein Zitat des Komponisten und der Librettistin: „Die Gewalt, die in dieser Welt herrscht, ist extrem. Es stellt sich die Frage: Wie weit sind wir gekommen? Wie wenig sind wir weitergekommen?“
Als das Publikum im Saal des Odeon Platz genommen hatte und das Orchester Ensemble Phoenix Basel die Ouvertüre der Oper zu spielen begann, waren hinter den Bühnenvorhängen aus tausend Plastikflaschen bereits erste Schreie der Poppaea zu hören. Der in Basel lebende deutsche Regisseur Markus Bothe wartete in seiner Inszenierung noch mit weiteren Überraschungen auf, indem er Anknüpfungspunkte für die heutigen Herausforderungen der Gleichberechtigung schuf. Ein Zitat des Regisseurs zur Oper Poppaea aus dem sehr informativ gestalteten Programmheft: „Sie zeigt eine Welt, die noch den Schein des Intaktseins behauptet, die aber tatsächlich sich selbst zerstört.“
Für das Bühnenbild zeichnete Heinrich Toews, Ioannis Piertzovanis und das Architekturbüro der beiden verantwortlich. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass die Plastikflaschen des Bühnenvorhangs nach der letzten Aufführung im Rahmen eines Kooperationsprojekts der Plastic Garage 4020 in Linz für Forschungszwecke übergeben werden, bei denen die Wiederverwertung von Kunststoffen im Mittelpunkt steht.
Die farbenfrohen Kostüme entwarf Eva Butzkies und die als „Seelenpuppen“ gebauten Kinder-Figuren für Poppaea, Octavia und Nero gestaltete der Basler Figurenbauer Marius Kob.
Die Sopranistin Ah Young Hong beeindruckte in der Titelrolle (Foto: Susanna Drescher)
In der Titelrolle faszinierte die aus Südkorea stammende Sopranistin Ah Young Hong, die zuletzt in den USA große Erfolge feierte. Es war beeindruckend, wie sie in höchsten Tönen ihre Rolle als Poppaea sang und auch darstellerisch großartig agierte. In manchen Gewaltszenen konnte man mit ihr fast Mitleid bekommen. Ihr ebenbürtig war der in Wien lebende australische Tenor Steve Davislim, wobei er als Nero vor allem schauspielerisch zu beeindrucken verstand. Ebenfalls sehr gut auch die in Basel lebende deutsche Mezzosopranistin Silke Gäng, die in der Rolle der Octavia fast immer mit den Kinder-Figuren auf der Bühne im Einsatz war.
Als „Handmaidens“ zeigten sich auch Svea Schildknecht, Vera Hiltbrunner und Francisca Näf auffällig oft auf der Bühne präsent.
Das Orchester Ensemble Phoenix Basel spielte unter der musikalischen Leitung von Jürg Henneberger die Partitur des amerikanischen Komponisten sehr nuancenreich und oft auch in den dramatischen Phasen überaus lautstark. Zur Musik von Michael Hersch ein Zitat des österreichischen Komponisten Georg Friedrich Haas aus dem Programmheft: „Michael Hersch … sucht nicht nach neuartigen musikalischen Materialien. Er ist der Erforscher einer bedingungslosen, radikalen Expressivität, die unbeschönigt die menschlichen Abgründe aufzeigt. In Musik. In einer neuartigen, glasklaren Schönheit.“
Am Schluss der 110 Minuten dauernden Vorstellung ohne Pause lang anhaltender Applaus des Publikums, wobei die Poppaea-Darstellerin Ah Young Hong den stärksten Beifall für ihre großartige gesangliche und schauspielerische Leistung erhielt.
Udo Pacolt