WIEN / Neue Oper Wien im Semper-Depot:
BIEDERMANN UND DIE BRANDSTIFTER von Šimon Voseček
Premiere: 17. September 2013,
besucht wurde die letzte Vorstellung am 22. September 2013
Schon die Optik beeindruckt, wenn man das Semper-Depot – schon an sich ein großartiger Raum – betritt: Im Hintergrund sieht man eine riesige Feueresse und genügend Koks, um ein großes Feuer zu entzünden. Davor liegt die bürgerliche Wohnung des Herrn Biedermann, des mehr als fragwürdigen „Helden“ dieses Abends, der in eineinhalb pausenlosen Opernstunden blind seinem Ende zugeht.
Man kennt diesen Herrn Biedermann, Max Frisch hat mit „Biedermann und die Brandstifter“ sicher eines der eindrucksvollsten Theaterstücke des 20. Jahrhunderts geschrieben. Diese politische Parabel rechnete damals, 1958, noch mit der Blindheit des deutschen Volkes ab, dem Hitler und Konsorten genau gesagt hatten, was sie vorhatten – und das dennoch kollektiv ins Verderben rannte. Sie konnten es ja nicht glauben. Und dachten jedenfalls, es würde schon nicht so schlimm werden. Am Ende haben sie, so wie Herr Biedermann bei Frisch, den Brandstiftern noch die Zündhölzer in die Hand gegeben.
Dass ein gutes Stück eine prächtige Voraussetzung für eine Oper darstellt, beweist die Vertonung des Tschechen Šimon Voseček, der sich auch selbst das Libretto geschrieben hat. Dabei strich er geschickt und hat sich die Tatsache, dass schon Frisch einen ironischen „Chor der Feuerwehrmänner“ vorgesehen hat, blendend zunutze gemacht. Voseček komponierte das Werk in der Ära Bush 2005 bis 2007, als er das Gefühl hatte, wieder sei ein Volk einer gigantischen Manipulation ausgesetzt. Seine Musiksprache ist atonal, aber ungemein textbezogen, so erhält jede Figur ihren eigenen Charakter. Er nützt nicht nur Instrumente zur Charakterisierung, Streicher (Violine und Celli) zu Beginn im Pizzicato-Modus, raffinierter Einsatz von Blasinstrumenten und Schlagzeug, sondern auch „Klänge“ (die Sirenen bei den Feuerwehrleuten), und schafft jene Stimmung von Unsicherheit, die das ganze Werk durchzieht. Es wird Deutsch gesungen, dennoch läuft der Text an der Wand, und obwohl man überraschend gut versteht, ist man gelegentlich dankbar für die Hilfe (etwa bei Frau Biedermann).
Béatrice Lachaussée hat in der überaus gelungenen, historisch leicht verfremdeten Ausstattung von Dominique Wiesbauer (Bühne) und Nele Ellegiers (Kostüme) eine ebenso witzige wie hintergründige Inszenierung geschaffen – da gibt es mit Theaterverstand jede Menge Comic Relief, etwa in der slapstick-artigen Führung der Feuerwehrleute, da vermag aber eine Figur wie der Ringer Schmitz, die so verbindlich daherkommt, in ihrer Bedrohlichkeit so präsent zu werden, dass man als Zuschauer tatsächlich betroffen wird.
Mit seinem ausdrucksvollen hohen Tenor gab Stephen Chaundy den (schon bei Frisch) gar nicht sympathisch gezeichneten Haarwasserfabrikanten Herrn Biedermann, der ein recht übler Kapitalist ist, Barbara Zamek-Gliszczynska war seine zickige Gattin, und Tomasz Pietak und Till von Orlowsky als die so höflichen Brandstifter mit Clownsgesichtern und mit der unverfrorenen Ehrlichkeit, die keiner glauben will, erreichen stärkste Wirkung. Katharina Tschakert ist ein kleines, geplagtes Dienstmädchen, mit Harald Wurmsdobler, Christian Kotsis und Frédéric Pfalzgraf waren die Feuerwehrleute stark besetzt. Dass ihre Warnungen nichts nützen – das liegt in der Natur der Geschichte.
Walter Kobéra wusste am Pult des amadeus ensembles-wien, was er an dieser Oper und deren Musik hatte, schließlich hat er als Juror einst diesem Werk einen Förderungspreis zugesprochen. Es zur Uraufführung zu bringen, war das Beste, was er dafür tun konnte.
Es war die letzte Vorstellung der Produktion, sie war rappelvoll, wer keine Karten besaß, konnte nur auf einen Glücksfall in letzter Minute hoffen – und es war tatsächlich ein Glücksfall, den Abend zu erleben. Riesenapplaus.
Heiner Wesemann