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WIEN / Nationalbibliothek: KINDER, WIE DIE ZEIT VERGEHT!

22.11.2013 | Ausstellungen

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WIEN / Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek:
KINDER, WIE DIE ZEIT VERGEHT!
Kleine Prinzen und große Mädchen in historischen Fotografien
Vom 22. November 2013 bis zum 23. Februar 2014

Kinderleben als Zeitdokumente

Das kleine Mädchen mit Lockenkopf über der Waschschüssel, das Plakat und Katalog der neuen Ausstellung in der Österreichischen Nationalbibliothek ziert, wirkt ungemein „putzig“. Wenn eine ganze Batterie Nachwuchs am Topf sitzt, stellt sich derselbe Effekt ein. Glücklicherweise geht die Ausstellung „Kinder, wie die Zeit vergeht“, die mehr als 250 Exponate aus den berühmt reichhaltigen Fotobeständen der Österreichischen Nationalbibliothek bietet, das Thema weit breiter und kritischer an.

Von Heiner Wesemann

Kinder – Segen, Ärgernis? Vorausgeschickt: Offenbar hat man Kinder immer schon einerseits als Segen, andererseits als Ärgernis empfunden. Man kann in der Ausstellung die Aussage von keinem Geringeren als Sokrates nachlesen: „Die Kinder von heute sind Tyrannen, sie widersprechen ihren Eltern, kleckern mit dem Essen und ärgern ihre Lehrer…“ Das war im 5. Jahrhundert vor Christus.

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Kinderbilder: Arthur Schnitzler, Kronprinz Rudolf

Doppeltitel – philosophisch „Kinder, wie die Zeit vergeht!“ ist der übliche Ausruf, wenn dem Menschen wieder einmal die Tatsache des „Tempus fugit“ zu Bewusstsein kommt, und als Erwachsener merkt man das Vergehen der Zeit ja am besten am Heranwachsen der Kinder. Kinderfotos von Menschen, deren Lebensweg man als Nachwelt kennt, machen dann nachgerade philosophisch – wer hätte gedacht, dass der kleine Großbürgersohn Arthur Schnitzler, der sich fast missmutig zum Foto hinsetzte, einmal einer der bedeutendsten Dichter Österreichs sein würde? Wer hätte ahnen können, dass der kleine Kronprinz Rudolf, der sich auf Wunsch des Vaters schon in Uniform konterfeien lassen musste, einmal mit halb weggeschossenem Kopf auf seinem Totenbett liegen würde? Kinderfotos signalisieren die Hoffnung auf ein möglichst glückliches, geglücktes Leben, das vor diesen Kleinen liegen möge. Nachher – Kinder, wie die Zeit vergeht! -, weiß man es meistens anders.

1870 bis 1970 – ein Jahrhundert Geschichte Man hat die gewählten hundert Jahre Geschichte am Beispiel des „Kinderbildes“ – Bild vom Kind im doppelten Sinn – rund um 1870 begonnen, als die Fotografie schon etabliert genug war, um für gutbürgerliche Familie „dazu“ zu gehören. Die Ausstellung bietet diese Chronologie in Zehn-Jahres-Blöcken in der Längsachse des Raums, während im Mittelteil unter der Kuppel dann auf Schwerpunktthemen gesetzt wird. Wenn Kaisersohn Rudolf zu Beginn im Zentrum steht, dann vor allem, um ihn gleich darauf mit den „Bettelknaben“ zu konfrontieren – als die Fotografie hinausging und auf der Straße ihre Bilder machte, sah man das alltägliche Elend, das sich nicht im Atelier einfand. Der zur sympathischen Type stilisierte „Schusterbub“ hatte wenig mit der Realität der Kinderarbeit und dem Elend breitester Bevölkerungsschichten zu tun.

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Das Verschwinden der Idylle Aber in den „gestellten“ Familienfotos präsentierte sich vordringlich eine Idylle, die dann im Kinderelend des Ersten Weltkriegs keinen Platz mehr hatte. Nicht nur die Welt, auch das Bewusstsein änderte sich in den folgenden Jahrzehnten, Kinderalltag wurde weit weniger pittoresk eingefangen, es sei denn, die Kinder dienten (wie etwa im Dritten Reich) der Propaganda. Es gibt erschütternde Kriegsbilder – etwa das eines lachenden kleinen Mädchens, das inmitten von Trümmern seine Puppe zeigt…

Uniformen aller Arten Der Wandel des Zeitgeistes zeigt sich auch im Ambiente, das Erwachsene für Kinder fanden – vor dem Ersten Weltkrieg kleidete man Knaben gerne in Uniformen. Der „Matrosenanzug“, den noch Klein-Otto von Habsburg beim Begräbnis von Kaiser Franz Joseph trug, hat sich nur als „Uniform“ der Wiener Sängerknaben gehalten. In den sechziger Jahren wurden Jeans die selbst gewählte Uniform der Jugend (und Direktorin Johanna Rachinger erinnerte an die Bezeichnung des Mopeds als „Schlurfrakete“). In unserer Welt haben wohl nur noch Ministranten beim Sonntags-Gottesdienst so etwas wie eine „Kinder“-Uniform aufzuweisen…

Spezielle Schwerpunkte Die Verniedlichung des Kinderbildes zeigte sich wieder, als man anfing, die „Kleinen“ für Werbung zu verwenden (was mittlerweile wieder einigermaßen als verpönt gilt), auch auf Wahlplakaten durften sie am Arm von Kandidaten sitzen… Darüber hinaus werden in der Ausstellung viele Themen angesprochen – Sport, Spiel, Schule, Mode, Gesundheit, Brauchtum (auch im Zusammenhang mit Rudolfs „Kronprinzenwerk“). Ergänzend zu den Fotos, von denen manche so klein sind, dass man tatsächlich eine Lupe mitbringen sollte, ist die Ausstellung mit Fotoalben, mit den Kinderbüchern des Kronprinzen Rudolf (der damals schon die Sprachen der Monarchie lernen musste) oder Spielsachen angereichert (Matador gibt es noch immer). Manche Persönlichkeiten finden einen eigenen Schwerpunkt, etwa Friedrich Gulda. Es ist ein reicher Überblick, der dem Thema in all seinen Facetten nachzugehen sucht.

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Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek
Josefsplatz 1, 1010 Wien
Bis 23. Februar 2014, ,Dienstag – Sonntag 10 – 18 Uhr, Donnerstag 10 – 21 Uhr

 

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