Matthias und Franz Bartolomey. Foto: Moritz Schell
WIEN/MuTh – Konzertsaal der Wiener Sängerknaben: „Schwanengesang“ (Franz Schubert und Max Bruch)
8.10. 2019 – Karl Masek
Im „MuTh“ am Augartenspitz gibt es höchst spannende Konzert-Zyklen. Intelligent programmiert und nicht als „Gemischtwarenladen“ ohne Relevanz zusammengewürfelt.
„Bartolomeys in the Muth“: Nach „Schorny“ ( Bericht vom 1.10.!) eine weitere Präsentation eines themenzentrierten Abends mit personellen Schwerpunkten. Die Bartolomeys (Vater Franz, der langjährige Solocellist der Wiener Philharmoniker und Sohn Matthias, ebenfalls am Cello) bestreiten im Konzertsaal der Wiener Sängerknaben seit der Saison 2014/15 in abwechslungsreichen Besetzungen sehr erfolgreich Programme auf Champions-League-Niveau. Und sie haben dafür eine beträchtliche Fan-Gemeinde, der Saal war wiederum sehr gut besucht. Kein Wunder, da musizierten diesmal nicht nur 5 bis 8 großartige Profis miteinander. Sie sind sichtlich und hörbar auch gute Freunde. Und wie meist bei den Abenden im „MuTh“, sind auch blutjunge Musiker/innen am Beginn der Karriere oder sogar noch Studierende ins Geschehen integriert. Die tragen die musikalischen „Staffelhölzer“ weiter …
Das Streichquintett C-Dur, D 956 von Franz Schubert ist 1828, zwei Monate vor seinem Tod entstanden und erst 1850 in Wien durch das damalige Hellmesberger-Ensemble uraufgeführt worden. Man kann es getrost als (s)ein „Opus summum“ bezeichnen. Eine epochale Komposition, auch weil die Besetzung einzigartig und von unvergleichlicher Klangwirkung ist: 2 Violinen, 1 Viola und 2 Violoncelli. Kein Kontrabass!
Hört man dieses geheimnisvolle und rätselhafte Werk mit seiner unbegreiflichen Genialität, so kann man einen angeblichen Ausspruch des Oskar Werner nachvollziehen: „Mozart und Beethoven reichen bis zum Himmel – Schubert kommt von dort!“
Allein der 20-minütige Stirnsatz: Eine grandiose Verdichtung des musikalischen Materials! „Himmlische Längen“ in den Melodiebögen, alles ergibt sich wie selbstverständlich aus dem Vorangegangenen. Stimmungswechsel, Modulationen, das traumwandlerische Durchmessen des Quintenzirkels: Man kann sich auch nach oftmaliger Begegnung gar nicht satthören, findet immer „Neues“ und „Un-erhörtes“ in den Entwicklungssträngen. Dieses „Allegro ma non troppo“ ist aber auch höchst heikel, geht es doch um absolut unfehlbare Intonation. Da musste der „Konzertmeister“ des Abends, Benjamin Schmid, erst „tastend“ in den Abend hineinfinden, so schien es. Alles wurde klar, als er vor dem „Adagio“ ziemlich lang das Instrument nachjustierend „stimmte“ …
Spätestens ab dann eine Aufführung, die einem vollendeten Meisterwerk mehr als gerecht wurde. Schwebende Pianissimi, perfekte Klangbalance, menschlicher Puls in den Pizzicato-Einwürfen. Es entstand eine entrückte, fast unwirkliche Atmosphäre mit berührenden Dialogen zwischen Violine und Cello. Der (Über)lebenskampf im dramatisch zugespitzten Mittelteil, bohrende, schmerzliche Intensität in den tiefen „Gegenstimmen“ – um im abschließenden Variationenteil zu einer Gelöstheit zu finden, die alle Erdenschwere hinter sich lässt. „Die Fünf“ (Benjamin Schmid, Dalina Ugarte (Violine), Veronika Hagen (Viola), Franz Bartolomey und Matthias Bartolomey (Violoncello) ließen den Atem anhalten.
Weiteres Wunder, dass es nach diesem „morendo“ mit einem vitalen, stellenweise geradezu wilden Scherzo weitergeht. Den Trioteil leitet dann Veronika Hagen an der Bratsche gleichsam zu musikalischer Ordnung rufend, als „ruhige Mitte“, ein. Doch es schien plötzlich, als würde Schubert Anton Bruckner „vorwegnehmen“. Man spürte förmlich, da setzt sich magischer Weise jemand zum Komponisten und „animiert“ ihn zu Klangrückungen, Modulationen, wie sie sich erst Jahrzehnte später Platz verschaffen sollten. Schließlich der helle Schluss-Satz, mit wienerischer, rubatoseliger Lust und tänzerischem Schwung vom Meisterquintett serviert!
Eine Wiedergabe, wie man sie selten zu hören bekommt, wurde schon zur Pause mit großem Jubel bedankt.
Im 2. Teil dann noch ein „Schwanengesang“: Das Oktett B-Dur, op. posth. (1920), auch dieses ist in einem Todesjahr entstanden. Der Komponist: Max Bruch (1838-1920). Eine starke Rückbesinnung des viel zu selten gespielten Komponisten zu einer hochromantischen Tonsprache findet hier statt. Das Manuskript war übrigens lange Zeit verschollen, bis es ein Wiener Sammler bei einer Auktion erwerben konnte und es der Österreichischen.Nationalbibliothek vermachte. Auch hier gab es die Uraufführung erst Jahrzehnte später.
Bruchs Streichoktett, von dem man sonst fast nur das Violinkonzert (mit „Wunschkonzert-Faktor“!) kennt, ist hoch inspiriert und von Vitalität und Lebensbejahung geprägt. Bruch erweist sich als eminenter Melodiker, der 8 Musikern dankbare Aufgaben überträgt, die zu süffigem, saftigem Spiel motivieren. Die Begegnung mit dieser Rarität ließ das Publikum abermals in Jubel ausbrechen. Neben den bereits oben Genannten sorgten die jungen Geiger Sophie Druml und Florian Moser, Lily Francis (an der Viola) sowie Roberto di Ronza (am Kontrabass) für ein bereicherndes Konzerterlebnis. Wobei Matthias Bartolomey durch samtweiche Tongebung auf seinem Cello herausragte. Hat er gar auf dem berühmten „Löwenkopf“- Cello seines Vaters gespielt?
Nach dieser Abschluss-Frage gilt es auch, Dank auszusprechen. Das Konzert war gefährdet, hatte sich der „junge Bartolomey“ doch zwei Tage zuvor beim Fußballspielen eine Wirbelverletzung zugezogen. Er entschloss sich dennoch, das Konzert zu spielen. Dass das wohl nicht ohne Schmerzen abging, merkte man an den betont vorsichtigen Bewegungen bei den Auf- und Abgängen (Gute Besserung!).
Karl Masek