Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

WIEN/ MuTH Konzertsaal der Wiener Sängerknaben: CARMINA AUSTRIACA“-Von der ältesten Musik Österreichs

02.02.2019 | Konzert/Liederabende


Gerald Wirth, Wr. Sängerknaben, Chorus Juventus, Schubert-Akademie. Foto: Andrea Masek

WIEN/MuTh Konzertsaal der Wiener Sängerknaben: „CARMINA AUSTRIACA“-Von der  ältesten Musik Österreichs

1.2. 2019 – Karl Masek

Kantate nach Liedern des Mittelalters für Soli, Knabenchor, Chor und Orchesterin einer kammermusikalischen Fassung mit Tanz: So lautet der ausufernde Untertitel für „Carmina Austriaca“ von Gerald Wirth (Komponist und Arrangeur der Originalmusiken aus dem Mittelalter). Der am Mozarteum in Salzburg ausgebildete Michael Korth trug die ältesten Lieder aus Österreichs Früh- und Hochmittelalter zusammenund übersetzte sie behutsam in eine heute verständliche – und dabei poetisch bleibende Sprache. Walther von der Vogelweide, Oswald von Wolkenstein, Neidhart von Reuenthal oder der „Mönch aus Salzburg“ (hinter dem Pseudonym verbarg sich wahrscheinlich Erzbischof Pilgrim von Salzburg und er gilt auch als der Schöpfer eines der ältesten Weihnachtslieder, “Joseph, lieber Joseph mein…“):  Sie alle klingen sprachlich wie musikalisch verblüffend frisch, modern, geradezu heutig. Und sie waren gewiss „Pop-Barden“ ihrer Zeit …

„Carmina Austriaca“ sind eine Art Pendant zu Carl Orffs berühmten „Carmina Burana“ aus dem Jahr 1936. Natürlich gibt es viele stilistische Anlehnungen an das bayerische Vorbild mit den Minne- und Vagantenliedern aus Benediktbeuren. Und doch geht Gerald Wirth, der charismatische künstlerische Leiter derWiener Sängerknaben, in vielem eigene Wege. Dort wo Orff mit effektsicherer Pranke und lautstarker rhythmischer Verve auftrumpft und damit die Diretissima zu jubelnder Publikumsreaktion einschlägt (das funktioniert auch nach mehr als 80 Jahren immer noch), ist Wirth viel differenzierter. Seine musikalische Inspiration korrespondiert meines Erachtens nach sensibler mit den Textvorlagen. Die Musik dieser kammermusikalischen Fassung ist synkopenfreudig, rhythmisch vielschichtig wie der frühe Strawinsky mit häufigen Taktwechseln. Dabei aber kaum je „primitiv“ stampfend, sondern in den Effekten verhaltener. Schillernd in den Orchesterfarben, gekonnt in seiner Instrumentationskunst.

Die Hauptrolle spielt in dieser knapp zweistündigen Kantate mit 24 Nummern der Chor. Sowohl die Wiener Sängerknaben als auch der Chorus Juventus (das ist der gemischte Chor aller Schülerinnen und Schüler des Oberstufenrealgymnasiums der Wiener Sängerknaben mit Schwerpunkt Vokalmusik) haben dankbare Aufgaben, durchaus mit Schwierigkeiten gespickt. Klangnuancen werden beiden Chören abverlangt von aparter Farbigkeit, zärtlich-keuscher Filigranzeichnung – bis hin zu unverhohlener Erotik, suggestiv-rhetorischer Wucht. Großes Pauschallob!

Köstlich die 8. Kantate („Mittagsschlaf“, Mönch von Salzburg) mit nachweisbarem „Salzburger Ton“, den Michael Korth als leichten, fröhlichen alpenländischen Silberklang“ bezeichnet und den Wirth geradezu genial in „seinen“ Klang umsetzt. Da kommt sogar ein grotesk-tiefer Männerjodler vor – die Jünglinge aus der Oberstufe intonieren „Ho-e!“, so als hätte Senta im Fliegenden Holländer Stimmbruch. Wirklich witzig! Und die Trompete intoniert eine Art magisches Posthorn-Solo, man fühlt sich für Momente fast an Gustav Mahlers 3. Symphonie in der Attersee-Zeit erinnert…

Ja, und sonst der hurtige Wechsel von Minneliedern (Cornelia Horak fand mit ewigjungem silbrigem Sopran zu innigen, wunderschönen Gesangsbögen, Stefan Bleiberschnig beglaubigte mit schlankem, feingliedrigem Tenor die schüchternen Liebhaber) zu den Vagantenliedern der Carmina Burana-Sammlung (Irena Weber intoniert mit sinnlichem Mezzosopran das frivole Lied „Ein braves Mädchen war ich mal…“ mit den grundierenden lasziven  Posaunen-Glissandi samt frechen Xylophon-Einsprengseln)  sorgte für rasanten Ablauf des Abends. Aber auch der Lauf der Zeit, die Vergänglichkeit und Angst vor dem Altern wird besungen. Günter Haumer intonierte mit dunkel getöntem, mit Herbstfarben angereichertem Bariton sehr berührend Walther von der Vogelweides „Wohin sind sie verschwunden, alle meine Jahr…?“.


Tanzensemble „Das Collectif“, Wr. Sängerknaben. Foto: Andrea Masek

Die Tanzeinlagen bestritten Mitglieder des Orff-Institutes an der Universität Mozarteum. Die Gruppe Das Collectiv wurde von Lehrenden und Studierenden gegründet. Arbeitstänze, stilisierte Kampfszenen und Bilder des höfischen Lebens wurden gezeigt. Es war eine gut gelungene visuelle und moderne körpersprachliche Ergänzung (Choreographie: Irina Pauls).

Großartig, mit Totaleinsatz das Orchester, die Schubert-Akademie, fester Bestandteil der Programme des MuTh. Eine Stammbesetzung von ca. 40 „High-End“-Student/innen, angeführt vom Konzertmeister Mikkel Simonsen, begeisterte. Gerald Wirth war der temperamentvoll zupackende Dirigent. Er strahlte absolute Sicherheit aus, gab penibel auch die kleinsten Einsätze, verlangte große Bandbreite der Farben und der Dynamik – und er bekam von allen Mitwirkenden sehr, sehr viel.

Stürmischer Beifall, Jubel im vollen Konzertsaal der Wiener Sängerknaben am Augartenspitz! Dass diese Wiederaufnahme des Auftragswerk fürs Festival  Grafenegg 2016 anscheinend nur einmal gespielt wird, ist eigentlich schade.

Karl Masek

 

 

Diese Seite drucken